Grexit wird wahrscheinlicher "Athen hätte das Angebot annehmen sollen"
07.07.2015, 10:18 UhrWenn es nicht sehr bald einen Durchbruch gibt, fällt Griechenland aus der Eurozone, sagt der in Berlin lehrende US-Ökonom Mark Hallerberg. Warum die Drachme der griechischen Wirtschaft nicht helfen würde, erklärt er am Beispiel der Olivenölproduktion des Landes.
n-tv.de: Hat der Ausgang des Referendums in Griechenland einen Grexit wahrscheinlicher gemacht?
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Mark Hallerberg lehrt Political Economy und Public Management an der Hertie School of Governance in Berlin.
(Foto: Hertie School of Governance)
Mark Hallerberg: Für viele Beobachter ist der Grexit das wahrscheinlichere Szenario geworden. Die Europäische Zentralbank sollte den griechischen Banken keine zusätzlichen Notkredite mehr gewähren. Die Märkte werden der Regierung auch nichts leihen, und ein weiteres Programm der Europäischen Union oder des Internationalen Währungsfonds gibt es nicht. Trotzdem wird die griechische Regierung Renten und Gehälter auszahlen müssen. Dazu wird sie nur in der Lage sein, wenn sie Schuldscheine ausgibt. Mein Heimat-Bundesstaat Kalifornien hat dies in der jüngsten Wirtschaftskrise in den USA in sehr begrenztem Ausmaß so gemacht. Der Unterschied ist allerdings, dass Kalifornien andere Mittel hatte, sich auf dem Markt zu finanzieren, so dass die Schuldscheine nur für kurze Zeit benötigt wurden. In Griechenland werden sie wahrscheinlich zu einer zweiten Währung. Ein Schlüsseldatum auf dem Weg dahin ist der 12. Juli, wenn die Gehälter im öffentlichen Dienst fällig werden.
Ist ein Grexit abzuwenden, wenn eine Parallelwährung erst einmal eingeführt wurde?
Es ist natürlich möglich, dass die griechische Regierung aufhört, Schuldscheine auszugeben – so, wie es in Kalifornien passiert ist. Aber realistischerweise führt eine Parallelwährung zu einer neuen Drachme und schließlich dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone.
Demnach wäre es besser gewesen, die griechische Regierung hätte das letzte Angebot angenommen?
Das kommt darauf an, für wen. Für Griechenland wäre es besser gewesen. Der Regierungspartei Syriza dagegen hätte nach einer Annahme dieses Angebots die Zersplitterung gedroht. Das ist ein grundsätzliches Problem: Welche politische Kraft in Griechenland ist bereit und in der Lage, eine Einigung mit den Gläubigern zu unterzeichnen?
Ökonomen wie Ifo-Chef Hans-Werner Sinn argumentieren, ein Grexit wäre im griechischen Interesse, weil die Drachme abgewertet werden könnte und Griechenland dann wieder wettbewerbsfähig werden würde.
Die Argumentation von Prof. Sinn ist plausibel, aber ich fürchte, dass der Rebound-Effekt länger dauern wird, als es die Vertreter dieser Sichtweise erwarten. Eine Abwertung bedeutet zweierlei: Importe werden teurer. Damit steigen die Preise für alltägliche Güter wie Medikamente, Lebensmittel und so weiter. Normalerweise spornt das einheimische Produzenten an, solche Importe zu ersetzen. Zur gleichen Zeit werden Exporte billiger. Wenn Griechenland eine vielschichtige Wirtschaft hätte, die von diesen Entwicklungen profitieren könnte, dann würde die Abwertung für einen Aufschwung sorgen. Aber die griechische Wirtschaft ist nicht vielschichtig. Nehmen Sie Olivenöl. Es gibt viele griechische Olivenöl-Produzenten, aber das Land schafft es nicht, dieses Öl zu verarbeiten. Griechenland muss es exportieren, zum Beispiel nach Italien.
Auf der wirtschaftlichen Ebene: Wie gut war das letzte Angebot der Institutionen an Griechenland?
Man sollte beachten, dass Griechenland bis 2014 nicht einmal die Nettoverzinsung auf seine Schulden bezahlt hat, und das jüngste Angebot der Kreditgeber sah in den nächsten Jahren auch nichts anderes vor. Später hätte Griechenland seinen Primärüberschuss erhöhen müssen – also die Differenz aus Einnahmen und Ausgaben vor Abzug des Schuldendienstes. Dazu hatten die Kreditgeber zwar optimistische Wachstumsraten zugrunde gelegt. Wenn Griechenland diese Wachstumsraten nicht erreicht hätte, hätte es aber vermutlich weniger zurückzahlen müssen. Auf kurzfristige Sicht war das Angebot also in Ordnung. Auf mittlere Sicht wäre eine Umstrukturierung der Schulden allerdings vernünftiger.
Ex-Finanzminister Varoufakis hatte sich bei seinen Kollegen in der Eurogruppe mit dieser Forderung sehr unbeliebt gemacht.
Trotzdem wird eine Umstrukturierung kommen. Die Frage ist nur, wie und in welcher Form. Die Europäer erwarten einen Beweis für die griechische Reformbereitschaft, bevor sie eine Umstrukturierung anbieten. Die nachvollziehbare Furcht ist, dass es keine Reformen gibt, wenn diese "Möhre" gegeben wird, ohne dass Griechenland Fortschritte an der Reformfront erreicht hat. Aber die jüngste Analyse des IWF zeigt, dass die griechischen Schulden schlicht nicht tragfähig sind. Der IWF schlägt vor, die Laufzeiten zu strecken. Die Alternative wäre, dass Griechenland Konkurs anmeldet. Da wäre eine geordnete Umstrukturierung für beide Seiten besser.
Sie lehren in Berlin und in den USA – was denken Ihre amerikanischen Kollegen über die Verhandlungsstrategien der Regierungen in Griechenland und Deutschland?
Es gibt eine gewisse Enttäuschung, die ich teile, dass die Bundesregierung sich nicht schon 2010 für eine Umstrukturierung der griechischen Schulden eingesetzt hat. In den amerikanischen Medien gibt es auch ein paar unglückliche Stereotypen über "harte" und "fiese" Deutsche. Seine Kollegen hat Herr Varoufakis bei den Treffen in Brüssel ganz offensichtlich nicht beeindruckt, aber mit der internationalen Presse kann er gut. Seine Perspektive findet daher auch häufiger Beachtung als die von Herrn Schäuble.
Welche Perspektive finden Sie persönlich besser?
Die von Herrn Schäuble. Dennoch bin ich enttäuscht. Ein Großteil des Geldes für den Bail-out ging an reiche Griechen, die ihr Geld außer Landes gebracht haben. Zurück bleiben die weniger beweglichen, verletzlichen Menschen. Sie werden von einem wirtschaftlichen Tsunami getroffen, bei dem Banken geschlossen bleiben, wenn ihre Regierung nicht den Kurs ändert. Für die Europäische Union wäre jede ausdrückliche Umstrukturierung der Schulden die Transferunion, vor der viele gewarnt haben. Im Norden wird das Europa hochgradig unpopulär machen. Wenn es nicht sehr bald einen Durchbruch gibt, fällt Griechenland aus der Eurozone. Das ist für alle Beteiligten ein schlechtes Szenario.
Mit Mark Hallerberg sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de