Politik

Bautzen-Talk bei Anne Will Auf dem rechten Auge blind?

Kein "rechtes Nest": Bautzens Bürgermeister versucht bei Anne Will auch, das Image seiner Stadt zu retten.

Kein "rechtes Nest": Bautzens Bürgermeister versucht bei Anne Will auch, das Image seiner Stadt zu retten.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Nach der Eskalation in Bautzen hat die Polizei für die "UMF" eine Ausgangssperre verhängt. Oberbürgermeister Ahrens sieht darin eine erzieherische Maßnahme. Verleger Augstein vielmehr ein Versagen der Polizei. Hat er recht?

Tagelang kommt es in Bautzen zu Spannungen zwischen jungen Flüchtlingen und Rechtsextremen. Die Situation auf dem Kornmarkt, der sogenannten Platte in der Mitte Bautzens, eskaliert, als sich etwa achtzig Rechte und zwanzig minderjährige unbegleitete Flüchtlinge gegenseitig mit Bierflaschen attackierten. Nach Darstellung der Bautzener Polizei ist die Gewalt zuvor von den Flüchtlingen ausgegangen.

Was steckt hinter dieser Eskalation in Sachsen? Hätte sie verhindert werden können? Darüber diskutiert Anne Will mit Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens, Familienministerin Manuela Schwesig, dem Generalsekretär der CDU in Sachsen, Michael Kretschmer, dem Verleger Jakob Augstein sowie dem Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke.

Ein offenes Herz für Integration - aber nicht nur!

Weil es in Bautzen immer wieder zu Problemen mit Flüchtlingen kommt, hat die Polizei nach den letzten Ausschreitungen eine Ausgangsperre und ein Alkoholverbot verhängt - allerdings nur für die jugendlichen Flüchtlinge. Obwohl Jakob Augstein die Polizei nicht vorverurteilen möchte, findet er, dass sie in Sachsen manchmal "aber ein Teil des Problems" sei: "Warum kriegen die Flüchtlinge Ausgangsverbot und nicht die rechten Gewalttäter", möchte er wissen. Kretschmer rechtfertigt die Entscheidung der Polizei: "Wenn die Flüchtlinge angefangen haben, muss man das in aller Schärfe verurteilen. Integration verlangt ein offenes Herz, aber auch klare Regeln und Richtlinien."

Bautzens Oberbürgermeister Ahrens findet die Ausgangsperre für die "UMF", so die Behördenabkürzung für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge, für einen kurzen Zeitraum für sinnvoll. Vielleicht solle man das Ganze eher wie eine erzieherische Maßnahme betrachten, wie sie etwa einem Stubenarrest gleichkommt.

Wer in Bautzen zuerst Flaschen geworfen habe, interessiert ihn dabei nicht: "Wenn sich zwei Gruppen zanken, ist mir egal, von welcher Seite der Streit ausging. Die Probleme sind da und 16-jährige Jungs sind so oder so schwierig, da spielt die Nationalität keine Rolle." Mit dieser Meinung konform geht auch Jaschke, der die Ausgangsperre auch "als Schutz für die Flüchtlinge und nicht als deren Bestrafung" ausmacht.

"Die Fehler der Polizei sind die Fehler der Politik"

Schnell aber kommt die Runde auf ein anderes Problem in Bautzen zu sprechen, nämlich die vermeintlich rechtsextremistische Einstellung in der Bevölkerung. "Ist die Polizei in Sachsen auf dem rechten Auge blind?", fragt Anne Will. Jaschke findet, man könne nicht alles der Polizei, die ihn Sachsen ohnehin unterbesetzt sei, in die Schuhe schieben: "Die Fehler der Polizei sind die Fehler der Politik."

Kretschmer verweist auf den jahrelangen Kampf gegen Rechtsextremismus, der wie eine Klette an Ostdeutschland haftet. Deswegen fühlt er sich auch von Augstein düpiert, wenn dieser verallgemeinernd sagt: Die Polizei habe "kläglich versagt". "Die sächsische Polizei zu beleidigen, ist verheerend. Die halten den Rücken hin", kontert der Generalsekretär der CDU.

Bautzens Bürgermeister versucht, für seine Stadt eine Lanze zu brechen: "Wenn Bautzen wirklich ein rechtes Nest wäre, wäre ein linker Vogel wie ich nicht Oberbürgermeister geworden! Kaum einer bei uns hat das Gefühl in einer rechten Hochburg zu leben." Das Problem ist vielmehr die Stigmatisierung: Wer gegen Flüchtlinge ist, ist automatisch ein Nazi. Das führe zu einer Wut in der Bevölkerung, die immer schlimmer werde.

Wenn dann aber einer dieser sogenannten "Wutbürger" das Gespräch mit Ahrens sucht und er merkt, sein Gegenüber ist nicht nur "extrem erregt", sondern auch noch angetrunken, laufen seine Argumente schon mal ins Leere. Im Zuweisen von Vorwürfen: "Du bist total besoffen, das bringt jetzt nichts, mit dir zu reden", sieht Bautzens Bürgermeister keinen Nutzen. Dass Augstein hingegen wenig von Deeskalation zu verstehen scheint, offenbart seine Frage, warum Ahrens dem Besoffenen eben nicht einfach auf den Kopf zusage, dass er zu besoffen sei, um jetzt vernünftig miteinander zu reden. Daraufhin erklärt Ahrens: "Weil ich kein Öl ins Feuer gießen will."

"Da spring' ich aus'm Anzug!"

Auch wenn im neuerlichen Fall in Bautzen auch von einem "Fehlverhalten der Flüchtlinge" die Rede ist, könne es nicht sein, dass Leute sich in sozialen Netzwerken verabredeten, um auf diese Jagd zu machen. "Da spring ich aus'm Anzug!", gesteht Ahrens unverblümt. Der parteilose Politiker nutzt die Gelegenheit zur Medienschelte und kommt auf den kürzlichen Besuch des Bundespräsidenten zu sprechen: "Herr Gauck war sechs Stunden in Bautzen, ich war immer an seiner Seite. Da waren Hunderttausende. Und in diesen sechs Stunden wurde der Bundespräsident dreißig Sekunden lang von wenigen Leuten angepöbelt - und diese Sekunden werden dann überall in den Medien gezeigt."

Mit Sicherheit hat Ostdeutschland, insbesondere Sachsen, ein Problem mit Rechtsextremismus, doch bei genauerer Betrachtung, wird sich jeder eingestehen müssen, dass das braune Gedankengut in allen Bundesländern auf nährbaren Boden fällt. Bundesministerin Schwesig warnt davor, da jetzt wieder, "so eine Ost-West-Debatte draus zu machen". Doch die Probleme werden sich nicht einfach wegdiskutieren lassen. Einige Menschen in Deutschland fühlen sich im Stich gelassen. Man muss sie ernst nehmen.

Am Ende fragt Will in die Runde, ob für die unbegleiteten Flüchtlinge, von denen in Deutschland inzwischen über 9000 als vermisst gelten, genug getan werde. Die Gäste sind sich uneins. Und damit offenbart sich auch das grundlegende Dilemma. Unser Land findet keinen einheitlichen Kurs. Obwohl die "UMF" "einen Sonderstatus genießen", so der Politikwissenschaftler, "geben wir zu viel Geld für Repression aus und zu wenig Geld für Prävention".

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen