Politik

Irak bekommt deutsche Militärgeräte Berlin schließt Waffenlieferungen nicht aus

Zehntausende Jesiden und andere Minderheiten sind auf der Flucht.

Zehntausende Jesiden und andere Minderheiten sind auf der Flucht.

(Foto: REUTERS)

Die Bundesregierung ändert ihre Meinung über Waffenlieferungen an den Irak. Zwar will das Verteidigungsministerium zunächst nur Ausrüstung wie Fahrzeuge liefern. Der Export von Waffen wird aber nicht mehr ausgeschlossen. Schließlich warnt die UN erneut vor einem Völkermord.

Die Bundesregierung will die irakische Armee im Kampf gegen die Terrormiliz IS mit Rüstungsgütern wie gepanzerten Fahrzeugen und Sprengfallen-Detektoren unterstützen. Sie sollen aus Bundeswehrbeständen kommen und unter Beteiligung der deutschen Luftwaffe so schnell wie möglich ins Krisengebiet geschafft werden, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Berlin. Auch Waffenlieferungen schließt die Bundesregierung nicht mehr kategorisch aus.

"Ich bin angesichts der dramatischen Lage dafür, bis an die Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren zu gehen", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Bisher hatte die Bundesregierung lediglich humanitäre Hilfe für den Irak zugesagt.

Die zusätzliche Unterstützung kündigte CDU-Politikerin von der Leyen nach einem Treffen mit ihrem britischen Amtskollegen Michael Fallon an. "Ziel ist es, dass wir mit großer Geschwindigkeit europäische Hilfe leisten können", sagte sie. "Wir sprechen eher über Tage." Die Ausrüstung geht nur an die irakische Armee und nicht an die kurdischen Kräfte, die im Norden des Landes gegen die IS kämpfen. Umfang und Art der Militärhilfe ist noch unklar. Die Bundesregierung halte an dem Grundsatz fest, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, sagte die Ministerin. "Aber unterhalb dieser Schwelle möchte ich alle Möglichkeiten ausnutzen, die zu Verfügung stehen."

Forderung nach einer Schutzzone

Zur Frage, ob zu einem späteren Zeitpunkt Waffenlieferungen möglich sein könnten, sagte die Verteidigungsministerin: "Zurzeit prüfen wir ausschließlich nicht-lethale (nicht-tödliche) Ausrüstungsgegenstände." Unbenommen dessen gebe es eine politische Debatte, die durchaus geführt werden müsse. "Wenn nachher die Frage im Raum steht, einen Genozid zu verhindern, dann müssen wir Dinge intensiv auch innerhalb Deutschlands noch einmal miteinander diskutieren."

Auch schiitische Milizen kämpfen gegen den IS: Waffenlieferungen könnten auch in ihre Hände fallen.

Auch schiitische Milizen kämpfen gegen den IS: Waffenlieferungen könnten auch in ihre Hände fallen.

(Foto: dpa)

Ähnlich hatte sich zuvor SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel nach einem Treffen mit Vertretern der jesidischen Gemeinde in Deutschland geäußert. "Das ist die Vorbereitung eines Völkermords, eines Genozids. Um nichts anderes geht es dort", sagte er. "Die Glaubens- und Kulturgemeinschaft der Jesiden im Irak soll ausgerottet werden." Der Vizekanzler unterstützt eine Forderung der Jesiden nach Schutzzonen für die religiöse Minderheit im Nordirak.

Deutsche Waffenlieferungen an kurdische Peschmerga-Kämpfer oder das irakische Militär lehnte Gabriel zum jetzigen Zeitpunkt ab, schloss diesen Schritt für die Zukunft aber nicht prinzipiell aus. Der Westen müsse sich die Freiheit nehmen, die Situation jederzeit neu zu bewerten, sagte er. Dann werde Deutschland im Rahmen der EU "über alle Fragen der Hilfe reden müssen" - also auch über Waffen. Eine Aufrüstung etwa der regulären irakischen Armee aus Deutschland sei rechtlich grundsätzlich möglich.

UN: "Unmittelbare Gefahr von Massakern"

Deutschland und Frankreich dringen derweil auf eine humanitäre Hilfsaktion der EU im Nordirak. "So bald wie möglich" solle sich die EU an der bereits angelaufenen, humanitären Hilfe beteiligen, hoben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande in einem Telefonat hervor, wie der Elysée-Palast mitteilte. Dadurch solle der Zivilbevölkerung "angesichts der IS-Übergriffe geholfen werden. Zugleich stockte die EU-Kommission ihre humanitäre Hilfe für den Irak um fünf Millionen Euro auf. Damit steige die Summe auf insgesamt 17 Millionen Euro in diesem Jahr, teilte die Kommission in Brüssel mit.

In den vergangenen drei Tagen flohen etwa 50.000 Menschen aus dem nordirakischen Sindschar-Gebirge in die kurdischen Autonomiegebiete und nach Syrien. Die Menschen seien erschöpft und dehydriert, teilte das Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit. Viele hätten bei Temperaturen von bis zu 45 Grad einen Hitzeschlag erlitten. Noch immer seien 20.000 bis 30.000 Menschen ohne Wasser und Nahrung im Gebirge eingeschlossen.

Nach Angaben von UN-Experten sind Tausende Jesiden "der unmittelbaren Gefahr von Massakern" durch den IS ausgesetzt. "Es muss dringend alles getan werden, um massenweise Gräueltaten und möglicherweise gar einen Völkermord" an Angehörigen der religiösen Minderheit zu verhindern, forderte die UN-Sonderberichterstatterin für Minderheiten, Rita Izsák, in Genf. Zugleich verwies die UN-Berichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, Rashida Manjoo, auf Informationen, IS-Mitglieder hätten Hunderte von Kindern und Frauen entführt und viele von ihnen vergewaltigt. Viele Frauen seien ermordet worden.

Linksfraktionschef Gregor Gysi stieß mit seinem Ja zu Waffenlieferungen in den Irak unterdessen auf Widerstand in den eigenen Reihen. Seine beiden Stellvertreter Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch stellten sich gegen ihn. "Waffenlieferungen in Spannungsgebiete unverantwortlich", twitterte Wagenknecht. Die Position der Linken bleibe: Rüstungsexporte seien Geschäfte mit dem Tod und gehörten verboten. Ähnlich äußerte sich Bartsch in der "Mitteldeutschen Zeitung": "Ich finde, dass in der Region schon genug Waffen sind. Deutschland sollte beim Waffenexport entschlossen auf die Bremse treten."

Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP

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