Extreme regionale Wahltrends Wo die Parteien gewonnen und verloren haben
01.03.2025, 17:30 Uhr Artikel anhören
Die Bundestagswahl verschiebt die Machtbalance, die Union steigt als neue stärkste Kraft in Koalitionsgespräche ein. Doch wie sieht der Wahlausgang gemessen an den regionalen Gewinnen und Verlusten aus? Schnell wird klar, die CDU hat nicht überall gewonnen. Die Daten enthüllen zwei heimliche Wahlsieger.
Bei der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag haben die Menschen in Deutschland regional sehr unterschiedlich abgestimmt. Die Parteien der im November 2024 geplatzten Ampel-Koalition haben bei den Zweitstimmen in fast allen 299 Wahlkreisen im Vergleich zur vorausgegangenen Wahl vor dreieinhalb Jahren verloren.
Einzige Ausnahme sind die vier saarländischen Wahlkreise, wo die Bundeswahlleiterin 0 Prozentpunkte Differenz zur Wahl 2021 ausweist. Das liegt aber daran, dass die Grünen bei der Bundestagswahl 2021 im Saarland nur mit Direktkandidatinnen und -kandidaten antreten durften, es also keinen Vergleichswert für die Zweitstimmen gibt. Abgesehen davon fiel die Partei in allen übrigen Regionen ins Minus - so wie bundesweit auch SPD und FDP.
Gleichzeitig entfielen die größten Zugewinne nicht auf den Wahlsieger, die beiden Schwesterparteien CDU und CSU. Die Union zieht zwar mit bundesweit 28,5 Prozent der Stimmen als neue stärkste Kraft in den Bundestag ein. Doch der Erfolg war nicht so groß, wie er auf den ersten Blick scheint. Nach dem historisch schlechten Wahlergebnis von 2021 konnten die Christdemokraten diesmal längst nicht in allen Regionen Deutschlands auch am meisten Stimmen hinzugewinnen.
Welche Partei hat wo in Deutschland zugelegt, wo verloren? Ein Blick auf die Zweitstimmen und die Verteilung der Gewinne und Verluste in den Wahlkreisen:
Der Trend ist nicht zu übersehen: Die AfD legte überall kräftig zu. Das rechte Lager konnte im Wahlkampf offenbar am stärksten von den Streitigkeiten und den Querelen der Ampeljahre sowie von der Befeuerung der Migrationsthemen durch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz profitieren. Die in Teilen rechtsextreme Partei gewann in ausnahmslosen allen Wahlkreisen mehr Stimmen als bei der vorausgegangenen Wahl im Herbst 2021.
Dabei handelt es sich um mehr als schmale Veränderungen oder knappe lokale Vorsprünge. In mehr als der Hälfte der Wahlkreise gewann die AfD mehr als fünf Prozentpunkte hinzu. In der Spitze konnte sich die Partei um Spitzenkandidatin Alice Weidel in einzelnen Regionen sogar um fast 20 Prozentpunkte verbessern.
Auf solche herausragenden Erfolge blickt die AfD zum Beispiel in den beiden dünn besiedelten Wahlkreisen der Mecklenburgischen Seenplatte (Nr. 16 und 17) sowie in den beiden ebenfalls eher strukturschwachen Regionen Mansfeld (Nr. 73) bei Magdeburg und im Wahlkreis Nr. 67 "Börde - Salzlandkreis". Bundesweit steigt die AfD zur neuen zweitstärksten Kraft auf.
AfD auch im Westen im Aufwind
Die Entwicklung bleibt nicht auf die ostdeutschen Flächenländer beschränkt. Die stärksten Zugewinne im Westen verzeichnet die AfD im Freistaat Bayern. Dort konnten die Rechten ihr Ergebnis zum Beispiel im niederbayerischen Deggendorf (Wahlkreis Nr. 226) um 15,1 Prozentpunkte auf regional 29,2 Prozent der Stimmen verbessern. Den schwächsten Zuwachs erzielte die AfD im Berliner Wahlkreis Nr. 75 "Pankow", wo es nur plus 1,2 Prozentpunkte nach oben ging auf 15,7 Prozent.
Die Sozialdemokraten dagegen haben im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 überall in Deutschland an Rückhalt verloren. In keinem einzigen der 299 Wahlkreise weist das vorläufige Ergebnis für die SPD eine Verbesserung bei den Zweitstimmen aus. Das mag angesichts des historisch schlechten Abschneidens mit bundesweit 16,4 Prozent nicht überraschen. Allerdings war auch das Ergebnis 2021 mit 25,7 Prozent parteihistorisch betrachtet keineswegs herausragend. Es hatte der SPD zwar die Kanzlerschaft beschert, war aber damals das zweitschlechteste Ergebnis seit 1949.
Die Verluste bewegen sich bei der SPD in fast allen Bundesländern in einer vergleichsweise engen Bandbreite. Lediglich in Brandenburg, MV, im Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen stellt sich das Stimmenminus für die bisherige Kanzlerpartei deutlich umfangreicher dar.
Im Wahlkreis Nr. 56 "Prignitz - Ostprignitz-Ruppin - Havelland I" zum Beispiel sackte die SPD in den vorgezogenen Neuwahlen nach dem Ampel-Aus um 18,1 Prozentpunkte auf 15,9 Prozent ab. Im bereits erwähnten Wahlkreis 17 "Mecklenburgische Seenplatte II – Landkreis Rostock III" büßte die SPD sogar minus 18,5 Prozentpunkte ein.
Nirgendwo sonst reagierten die Wahlberechtigten enttäuschter als auf halbem Weg zwischen Hauptstadt und Ostseeküste. Und: Außer bei SPD und FDP lagen die Stimmverluste bei keiner anderen Partei jenseits der Marke von minus zehn Prozentpunkten.
Harte Folgen für die Ampel-Koalitionäre
Für die Grünen ging es nach den Ampeljahren ebenfalls überall nach unten - von den erwähnten vier Wahlkreisen im Saarland aufgrund des Wahl-Ausschlusses der Landesliste der Saar-Grünen 2021 abgesehen.
Auch für die FDP galt: Sie schnitt in allen Bundesländern und allen Wahlkreisen durchgehend schwächer ab.
Ganz anders sieht die Entwicklung bei der Linkspartei aus. Der zweite der beiden heimlichen Wahlgewinner konnte bei der Bundestagswahl 2025 entgegen vieler Erwartungen überwiegend an Wählervertrauen gewinnen. Ausnahmen sind hier nur in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu erkennen, wo die Linke in insgesamt einem knappen Dutzend Wahlkreisen schwächer abschnitt als bei der vorausgegangenen Bundestagswahl.
Das bundesweite starke Ergebnis stützt sich jedoch auf eine solide Basis: Im breiten Feld der Wahlkreise in den übrigen Bundesländern konnten die Linken Stimmenzuwächse zwischen zwei und zehn Prozentpunkten verbuchen.
Die regional höchst unterschiedlichen Bewegungen schlagen sich auch im Wahlausgang auf Länderebene nieder. Beim Blick auf die Ergebnisse aus den 16 Bundesländern stechen sofort große Abweichungen zu den bundesweiten Zweitstimmenanteilen der Parteien ins Auge.
In den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen etwa liegen die Parteien mit ihren Prozentwerten sehr viel dichter beieinander als in Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Dort konnte die CDU die Wahl jeweils mit deutlichem Vorsprung für sich entscheiden. In den urbanen Wahlkreisen in Berlin, Hamburg und Bremen mündete der Unionswahlkampf in deutlich schwächere Ergebnisse.
Und: Ein vollkommen anders gelagerter Wahlausgang zeigt sich in den fünf ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In diesen fünf Ländern entschied sich der relativ größte Anteil der Wahlberechtigten dafür, ihre Zweitstimme lieber den Rechten zu leihen. Die CDU taucht dort - mit großem Abstand - nur als regional zweitstärkste Kraft auf.
Welche Lehren die Parteien aus den Wahlergebnissen ziehen, ist so kurz nach dem Wahltag noch offen. Die Angaben beruhen bisher nur auf den vorläufigen Zahlen zur Bundestagswahl 2025. Die Bundeswahlleiterin hat die Daten zum vollständig überprüften amtlichen Endergebnis für den 14. März 2025 angekündigt.
Korrektur: In der ersten Text-Version fehlte der Hinweis, dass die Grünen bei der Bundestagswahl 2021 mit ihrer Landesliste im Saarland von der Wahl ausgeschlossen waren - und sich ihr Zweitstimmen-Ergebnis im Wahlkreis Saarlouis und den drei anderen saarländischen Wahlkreisen deshalb nicht verschlechtern konnte. Die Bundeswahlleiterin weist für Parteien in diesem Fall eine Veränderung von 0 Prozentpunkten aus.
Quelle: ntv.de