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Mit Marcel Grzanna durch Asien "In Menschen stecken wahnsinnig viele Geschichten"

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Grzanna und seine Kinder auf Neuseelands Nordinsel - schon fast auf dem Heimflug.

Grzanna und seine Kinder auf Neuseelands Nordinsel - schon fast auf dem Heimflug.

(Foto: privat)

Am Ende ihres mehrjährigen China-Aufenthaltes reist der Journalist und Autor Marcel Grzanna mit seiner damaligen Frau und den gemeinsamen Kindern quer durch Asien. In 96 Tagen besuchen sie sieben Länder und treffen immer wieder faszinierende Menschen. Die intensiven Begegnungen hinterlassen Spuren. Inzwischen ist daraus das Buch "Lebenslinien" entstanden.

ntv.de: Vor einigen Jahren seid ihr drei Monate durch Asien gereist, mit damals noch kleinen Kindern, wie anstrengend war das?

Marcel Grzanna: Ich glaube, es ist ein bisschen wie beim Kinderkriegen. Frauen erzählen immer davon, dass sie wahnsinnig Schmerzen haben. Und ein halbes Jahr später erinnern sie sich nicht mehr daran. Es war auf der Reise sicher beschwerlich, gerade mit dem ganzen Gepäck. Du musst halt ständig auf Sendung sein, wenn du so viel Zeugs hast und dann noch zwei relativ kleine Kinder dabei. Insofern ist das anstrengend. Aber es war nicht zwingend Stress. Du stellst irgendwann fest, wie entspannend das ist, weil du wirklich mit nichts anderem beschäftigt bist als nur mit dieser Reise. Ich war so weit weg von der anderen Realität meines Lebens. Das hat wahnsinnig gutgetan.

Da kann man sich vorstellen, wie jemand einfach immer weiterreist. Ging es dir auch so?

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Du bist natürlich in einer Parallelwelt und hast das Gefühl, das könnte endlos weitergehen. Aber trotz aller Begegnungen in Backpacker Hotels oder in irgendwelchen Resorts am Strand, ist das nun mal nicht die echte Welt, sondern Touristenpfade, weniger oder mehr ausgetrampelte. Wenn du da aber 24/7 irgendwie deinen Lebensunterhalt finanzieren musst, dann ist das natürlich etwas ganz anderes.

Warst du schon immer voller Fernweh?

Ich habe als Jugendlicher leider nie eine Weltreise gemacht oder mich nach dem Abi ausgeklinkt. Also hatte ich ein bisschen was nachzuholen, dazu kam der große Wunsch, Abschied von Asien zu nehmen, weil natürlich dieser Lebensabschnitt zu Ende ging (Grzanna und seine Familie verließen nach neun Jahren China, Anm. d. Red.). Wir hatten schon viel von Asien gesehen und das auch sehr intensiv aufgenommen. Aber jetzt wollten wir, bevor die Kids in der Schule sind, eine Auszeit nehmen und einfach drei Monate lang versuchen, diese Welt noch mal ein bisschen besser kennenzulernen. Und dann habe ich sehr schnell festgestellt, dass in den Menschen, die ich da getroffen habe, wahnsinnig viele Geschichten stecken.

Wie schafft man es, bei diesen Gesprächen über Small Talk hinauszukommen?

Iqbal (r.) ist Fahrer in Colombo, hat aber jahrzehntelang in Saudi-Arabien gelebt, um seine Familie zu ernähren.

Iqbal (r.) ist Fahrer in Colombo, hat aber jahrzehntelang in Saudi-Arabien gelebt, um seine Familie zu ernähren.

(Foto: privat)

Wenn du Interesse hast, dich mit Leuten auseinanderzusetzen oder auch einfach nur ins Gespräch zu kommen und Fragen stellst und wirklich interessiert bist, dann sind die Leute eher bereit, etwas von sich preiszugeben. Mir ging es ja nicht darum, Dinge kritisch einzuordnen, sondern um Erfahrungen. Dann spielt es keine Rolle, ob die Wahrheit von anderen anders gesehen wird. So haben sie die Dinge wahrgenommen und das hat sie zu dem gemacht, was sie sind.

Ich hatte den Eindruck, dass sich auf Reisen eine andere Art der Intensität in den Begegnungen ergibt. Man kennt sich nicht und sieht sich vielleicht nie wieder.

Das habe ich auch festgestellt. Aber ich musste auch meinen Teil dazu beitragen. Es ist relativ leicht, mit Leuten ins Gespräch zu kommen und ein bisschen zu quatschen. Was habt ihr gemacht und wo habt ihr gegessen? Um tiefer zu gehen, musste ich dann von mir aus die Energie reingeben, um den Leuten zu signalisieren, dass ich mich echt für sie interessiere. Nur deshalb ist diese Intensität zustande gekommen.

Sind aus diesen Gesprächen dauerhafte Kontakte entstanden?

Mit ganz vielen Leuten, über die ich geschrieben habe, bin ich noch in Kontakt. Und ich glaube tatsächlich, dass dieses Kennenlernen schon eine Art von Vertrautheit geschaffen hat. Es gibt eine Ebene, auf der ich den Leuten immer wieder sehr schnell begegne, auch wenn ich jetzt mal ein Jahr lang oder anderthalb nichts gehört habe. Mit einigen bin ich tatsächlich bis heute befreundet. Bei anderen ergibt sich sporadisch übers Internet, bei Facebook oder so, immer mal wieder ein Kontakt.

Welche Geschichten sind dir denn besonders in Erinnerung geblieben?

Auf dem Flug nach Colombo kommt Grzanna (r.) mit Bischof Winston Fernando ins Gespräch.

Auf dem Flug nach Colombo kommt Grzanna (r.) mit Bischof Winston Fernando ins Gespräch.

(Foto: privat)

Das ist echt schwierig. Es gibt natürlich Geschichten, die leben von dem Spektakulären. Beispielsweise die von dem Typen in Sri Lanka, der seinen Onkel umgebracht hat. Aber es gibt auch einfach Begegnungen, wo du denkst, es ist krass, was die Leute mitgemacht haben in ihrem Leben. Du merkst, was in Menschen vorgeht und welche Hindernisse sie so mit sich führen. Der Typ, der in Sri Lanka mit seinem Bayern-Shirt online eine Frau gesucht hat. Oder dieser Deutsche, Sebastian, der durch Asien gereist ist und da einen Zusammenbruch hatte und dann die Liebe seines Lebens gefunden hat. Das ist eigentlich profan. Auch die Begegnung mit dem Bischof war für mich beeindruckend. Oder auch die Frau, die ich getroffen habe, diese Grande Dame, die das viktorianische Sri Lanka für mich dargestellt hat. Das waren alles sehr intensive Begegnungen. Im Buch sind ja gerade mal ein Drittel von den Geschichten, die ich gesammelt habe.

Im Buch ist immer wieder die Rede von beengten Wohnverhältnissen und unsicherer Zukunft, zum Teil auch von der Bedrohung des eigenen Lebens. Hattest du das Gefühl, dass euch das vor Augen führt, wie privilegiert wir in Deutschland leben?

Dadurch, dass wir so lange in China gelebt hatten, haben wir viele Lebensverhältnisse kennengelernt, die schon weit von dem entfernt waren, was in Peking oder Shanghai möglich war. Insofern war das dann keine Überraschung mehr. Aber mir ist dadurch sehr bewusst geworden, dass es uns allen am Ende des Tages immer nur darum geht, eine gewisse Zufriedenheit im Leben oder einen Glücksmoment zu erreichen. Im Grunde genommen bist du immer nur dein eigener Maßstab. Ich denke oft, ich könnte zufrieden sein. Es ist alles super und trotzdem zweifele ich und bin unzufrieden. Zufriedenheit zu erreichen, ist eigentlich der beste Zustand. Dass wir privilegiert sind, ist keine Frage. Das darf man nicht vergessen, wenn man diesen Leuten gegenübertritt. Ich glaube, es gehört dazu, dass man den Leuten mit Ehrfurcht und Respekt begegnet, weil du weißt, dass unsere Möglichkeiten ganz anders sind.

Was haben eure Kinder von dieser Reise mitgenommen?

Tochter Lily auf dem Nachtmarkt von Luang Prabang in Laos.

Tochter Lily auf dem Nachtmarkt von Luang Prabang in Laos.

(Foto: privat)

Ich glaube, die Kinder haben schon in China gelernt und verstanden, wie bereichernd es ist, wenn du wirklich offen und aufgeschlossen durch die Welt gehst. Auf dieser Reise haben sie dann auch mitgekriegt, dass man sehr intensiv mit Leuten Zeit verbringen kann, und sei es nur eine halbe Stunde. Sie haben keine Scheu vor verschiedenen Menschen, vor unterschiedlichem Aussehen, fremden Sprachen. Für sie ist es normal, sich in einer bunten Welt zurechtzufinden. Von daher war es für die Kinder sicherlich eine tolle Erfahrung, zu sehen, dass einem die Welt quasi zu Füßen liegt und man sich nur die Mühe machen muss, all das aufzunehmen. Ich will sie einfach motivieren, sich das alles anzugucken und sich selbst ein Bild zu machen. Irgendwann werden sie flügge und diese Reisen vielleicht allein machen. Gerade fahren wir aber eher zum Campingurlaub in die Eifel. Das ist eine Stunde mit dem Auto von Köln entfernt und wunderbar, einfach an einem Fluss zu sitzen und Zeit zu haben.

Gibt es noch ein Fernziel, wo du trotzdem noch hinwillst?

Immer wieder Japan. Das ist mein absoluter Favorit, die Städte dort, das Land. Tokio ist für mich der Inbegriff der Verstädterung. So pervers es klingt, aber ich mag diese Betonwüsten, diese urbane Mischung aus blinkenden Lichtern, Lärm. Die Gerüche, die Restaurants, die vielen Möglichkeiten und Menschen, das fasziniert mich immer wieder. Und ich würde gerne durch Patagonien reisen, auf dem Festland runter bis an den Rand der Arktis. Das habe ich mir mit einem Kumpel fest vorgenommen. Wenn die Kinder groß genug sind und den Papa nicht mehr so sehr brauchen, dann bin ich offen, wieder weiterzuziehen.

Mit Marcel Grzanna sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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