Politik

Labours aussichtsloser Kampf Corbyn, ein Altstalinist und die Wahlen

Labour-Chef Corbyn will auch nach einer Wahlschlappe im Juni im Amt bleiben.

Labour-Chef Corbyn will auch nach einer Wahlschlappe im Juni im Amt bleiben.

(Foto: imago/PA Images)

Kurz vor den Wahlen in Großbritannien läuft es denkbar schlecht für die Labour Party. Sie schwächelt, ist zerstritten - und viele Abgeordneten geben schon jetzt einem Mann die Schuld für die Misere ihrer Partei.

Schlimmer kann es für einen Parteichef kaum kommen - wenn Kandidaten der eigenen Partei sich im Wahlkampf von ihm distanzieren. Doch Jeremy Corbyn, Chef der kränkelnden britischen Labour Party, hat dieses Problem. So schrieb der Labour-Abgeordnete für Sedgefield, Phil Wilson, vor wenigen Tagen auf Facebook, dass er "kein Unterstützer" seines Vorsitzenden sei. Vielmehr sei er "für Labour, nicht für Corbyn". Und im Übrigen, erklärte Wilson an anderer Stelle, gehe er davon aus, dass seine Partei die Wahlen im Juni verlieren werde.

*Datenschutz

Mit dieser Überzeugung steht er nicht allein. Tatsächlich verheißen die Umfragen zur Parlamentswahl am 8. Juni den Labour-Anhängern nichts Gutes. Als die Parteichefin der konservativen Tories, Premierministerin Theresa May, im April Neuwahlen ankündigte, lag Labour zum Teil 20 Prozentpunkte hinter den Konservativen - was sicher auch ein Grund für die vorgezogene Abstimmung war. In den vergangenen Wahlkampfwochen gingen die Zustimmungswerte für Labour zwar etwas nach oben, doch spätestens seit dem Anschlag in Manchester dürfte May weiter an Ansehen gewinnen - gilt die ehemalige Innenministerin doch als Verfechterin einer strikten Zuwanderungspolitik und einer Politik von Law und Order. Auch ihre Worte, mit denen sie den "feigen Anschlag auf unschuldige und wehrlose Kinder" kritisierte, trafen den richtigen Ton.

Ähnlich wie Wilson wissen viele Labour-Abgeordnete schon jetzt um ihre aussichtslose Lage, und sie wissen, wem sie die befürchtete Niederlage im Juni zuzuschreiben haben: ihrem Parteichef. Noch vor wenigen Jahren galt Corbyn, der Studienabbrecher mit einem festgefügten Weltbild, als Außenseiter bei Labour. Ein Hinterbänkler, der in mehr als 500 Fällen gegen die Parteilinie stimmte. Der die Nationalhymne nicht sang, an Feiern für IRA-Terroristen teilnahm und Mitglieder der Hamas-Organisation und der Hisbollah-Miliz als "Freunde" bezeichnete. Und er focht viele Kämpfe - nicht nur gegen die eigene Partei, sondern auch gegen den Krieg, gegen Atomwaffen, gegen Sozialkürzungen, gegen die Nato, aus der Großbritannien austreten sollte.

Seinen späteren Erfolg verhinderte das nicht: Im September 2015 wurde er zum Labour-Chef gewählt, danach strömten der Partei innerhalb kürzester Zeit Hunderttausende neuer Mitglieder zu. Viele von ihnen erhofften sich einen Linksrutsch, manche bescherten der Partei ein Antisemitismus-Problem.

Einstiger Stalin-Apologet im Wahlkampfteam

"For the many, not the few" heißt das Wahlprogramm der Labour Party.

"For the many, not the few" heißt das Wahlprogramm der Labour Party.

(Foto: REUTERS)

Was bei neuen Mitgliedern gut ankam, stieß bei der Mehrheit der Unterhausabgeordneten auf Widerstand. Nach Corbyns lauwarmem Wahlkampf für einen Verbleib in der EU rebellierte im vergangenen Sommer die Fraktion gegen ihn. 172 von 230 Abgeordneten sprachen ihm das Misstrauen aus. Mit Corbyn an der Spitze könne die Partei keine Wahl gewinnen, hieß es. Viele Mitglieder seines Schattenkabinetts traten zurück. Parteiinterne Gegner bezichtigten ihren Vorsitzenden, sich von linksradikalen Trotzkisten unterstützen zu lassen, die "die Labour Party als ein Vehikel für den revolutionären Sozialismus betrachten".

Doch die Basis unterstützte Corbyn, er blieb Parteichef und er blieb bei seiner Linie. Erst kürzlich holte er sich zur Unterstützung Andrew Murray ins Wahlkampfteam. Murray war lange Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens, er machte den "westlichen Imperialismus" für das Erstarken der Terrormiliz IS verantwortlich, pries einst den sowjetischen Diktator Josef Stalin und zeigte sich solidarisch mit Nordkorea.  

Bis zur Wahl müssen Murray und Corbyn allerdings nicht nur die Parteibasis, sondern die breite Wählerschaft überzeugen. "Corbyn kümmert sich nicht um die Themen, die die Wähler beschäftigen", sagt die Politikprofessorin Diana Panke von der Universität Freiburg n-tv.de. "Auf die hohe Arbeitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit vieler gibt er keine überzeugenden Antworten." Für die Wähler sei nicht mehr ersichtlich, wofür Labour überhaupt stehe.

Zwar hat die Partei erst vor Kurzem ein Programm vorgelegt, doch nach Ansicht Pankes spricht es die traditionellen Labour-Wähler nicht an. So fordert Corbyn darin unter anderem die Verstaatlichung der Bahn und der Wasserversorger. Der Mindeststundenlohn soll steigen, Studiengebühren sollen gestrichen, die Steuern für Gutverdiener erhöht werden. Außerdem möchte er Anleihen im Wert von 250 Milliarden Pfund aufnehmen, um in Transport, Energie, Kommunikation und Bildung zu investieren. Eine Million neue Wohnungen sollen gebaut werden, gleich vier neue Feiertage verspricht er nach einem Wahlsieg - orientiert an den Schutzheiligen Englands, Schottlands, Wales' und Nordirlands. Das sind so viele Versprechen, dass seine Kritiker von einem "Wünsch-dir-was-Programm" sprechen.

Der "Mayism" der Tories

Neben dem Kampf um die Labour-Wählerschaft muss sich Corbyn noch mit Tory-Chefin Theresa May auseinandersetzen. Auch wenn diese manche Vergünstigungen für Rentner und das kostenlose Mittagessen an Schulen streichen will, bemüht sie sich doch, die soziale Seite der Konservativen hervorzukehren. In ihrem Wahlprogramm, das May symbolträchtig in der einstigen Industriehochburg Halifax vorgelegt hat, geißelt sie den "ungezügelten freien Markt" und verspricht wie Corbyn den Bau von Wohnungen; bei ihr sind es allerdings 1,5 Millionen. Schon kurz nach ihrem Amtsantritt hatte sie klargemacht, dass sie eine Regierung wolle, die jedermann diene - und nicht nur den Privilegierten im Lande. Jetzt fordert May die Deckelung von Stromrechnungen, besser Verdienende sollen weniger staatliche Leistungen bekommen, der Staat stärker investieren. Schon sprechen Kommentatoren in Großbritannien von "Mayism" - was vor allem bedeutet, dass sich die Tories nach links bewegt haben und im Labour-Becken fischen.

May agiert zudem mit einer gehörigen Prise Populismus, die wohl auch viele traditionelle Labour-Wähler anspricht. So will sie ihre Einwanderungspolitik verschärfen und ein Kopfgeld für ausländische Mitarbeiter von Firmen, das bereits im April eingeführt worden war, verdoppeln. "Eine zu schnelle und zu hohe Einwanderung erschwert den Aufbau einer Gesellschaft, die zusammenhält", so Mays Credo. Ihre Kampagne für die Begrenzung der Einwanderung und für einen harten Brexit kommt gut an, auch bei vielen Labour-Wählern. Bereits beim Brexit-Referendum landeten die meisten Labour-Wahlkreise auf der Leave-Seite, viele von ihnen könnten nun bei der Unterhauswahl den Konservativen in den Schoß fallen. Umfragen zufolge haben die Briten beim Thema Brexit mehr Vertrauen in die Tories als in die Labour Party - obwohl auch May noch vor einem Jahr eine Brexit-Gegnerin war.

Corbyn selbst reagiert darauf, indem er das Thema EU-Austritt nach Möglichkeit zu umschiffen versucht. Die Wahl nennt er einen Wettstreit zwischen "dem Establishment und dem Volk". Als selbsternannter Kandidat des Anti-Establishments setzt Corbyn wohl auf den Bernie-Sanders-Effekt. Der linke US-Senator hatte sich auch als Außenseiter präsentiert und bei den Vorwahlen der Demokraten Hillary Clinton unerwartet stark Konkurrenz gemacht. Corbyns Wahlkampfhelfer werden inzwischen von Sanders' Unterstützern geschult. Von dessen Wahlkampagne habe man viel gelernt, heißt es im Corbyn-Lager. Nur: Letztlich setzte sich Sanders nicht durch.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen