Politik

Deutsche Entwicklungshilfe Das Märchen vom 315-Millionen-Euro-Radweg in Peru

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Ein Radweg in Lima, der Hauptstadt Perus (Archivbild).

Ein Radweg in Lima, der Hauptstadt Perus (Archivbild).

(Foto: REUTERS)

Wie kann es sein, dass Deutschland einen dreistelligen Millionenbetrag für Radwege in Peru ausgibt? Warum werden die Regime in Afghanistan und China unterstützt? Was sich bei X als angeblicher Beweis für das Versagen der Ampelkoalition verbreitet, ist in Wirklichkeit ganz anders, als es scheint.

Auf dem Höhepunkt der Bauern-Proteste wird Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner von Landwirten am Brandenburger Tor in Berlin ausgebuht. Derweil postet der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern an jenem Montag auf X, dem ehemaligen Twitter: "Allein mit dem Geld für Radwege in Peru und ein paar Groschen drauf hätten Sie [die] Bauern befrieden können."

So nimmt die Geschichte von absurd hoher Entwicklungshilfe aus Deutschland ihren Lauf. Wer bei Google "315 Millionen" eingibt, dem wird direkt "315 Millionen Euro für Busse und Radwege in Peru" vorgeschlagen. Ein Aufreger für viele. Wie Deutschland so viel Geld verpulvern könne, schreiben auch einige Medien.

Eins steht fest: Es gab nie 315 Millionen Euro aus Deutschland für Perus Radwege. Und es wird sie auch nicht geben. Eine Sprecherin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bestätigt dies ntv.de. Sie kann sich nicht erklären, woher diese Zahl kommt.

Ex-AfD-Abgeordnete erwähnt die Summe im Bundestag

Eine Spur führt zur ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Joana Cotar, die mittlerweile fraktionslos ist. Cotar erwähnt die 315 Millionen am 1. Dezember 2023 in einer Rede im Deutschen Bundestag, wie die "Tagesschau" recherchiert hat. Seitdem sei der Betrag im Umlauf.

Tatsächlich gibt es etwa 44 Millionen Euro an Zusagen für Radwege. Knapp die Hälfte davon wurde noch unter der Großen Koalition von Angela Merkel bewilligt. Darüber hinaus gibt es Kredite, also Gelder, die innerhalb von zehn Jahren zurückgezahlt werden müssen. Dies ist ein üblicher Prozess. So bekämen wirtschaftlich stärkere Länder wie Indien in der Entwicklungszusammenarbeit zu 90 Prozent Kredite, nur bei einem Zehntel handle es sich tatsächlich um Zahlungen, so das BMZ.

"Gerade mit Blick auf Schwellenländer ist die Vergabe vergünstigter Kredite eine gängige Praxis. Grundsätzlich wächst der Anteil von Zuschüssen mit der Bedürftigkeit eines Empfängerlandes, sprich: Je ärmer ein Land, desto höher sollte der Anteil der Zuschüsse sein", sagt Jörg Faust, Direktor des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval). Diese Zahlungen oder Kredite gibt es aber nicht einfach so. Sie seien in den meisten Fällen an ganz konkrete Ziele geknüpft. Sogenannte "Reformfinanzierungen" sollen Projekte in den Bereichen "Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Umwelt- und Klimaschutz, Staatsreformen etc. anstoßen und fördern", sagt Faust ntv.de.

Jörg Faust ist Direktor des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) und außerordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.

Jörg Faust ist Direktor des Deutschen Evaluierungsinstituts der Entwicklungszusammenarbeit (DEval) und außerordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen.

(Foto: DEval)

Doch warum leistet Deutschland überhaupt so viel Entwicklungshilfe? Schließlich wäre das Geld doch auch im Land selbst gut angelegt. Das sei zu kurz gedacht, denn Entwicklungspolitik lohne sich für alle, sagt die Sprecherin des BMZ. "Mit jedem Euro, mit dem wir heute weltweit Gesellschaften krisenfester machen, sparen die Steuerzahlenden laut Weltbank-Berechnungen später vier Euro an humanitärer Nothilfe." Ob Stadtentwicklung in Namibia oder Zentren für Migration in Ghana - wenn sich die Lage in den Ländern verbessert, gebe es auch weniger Gründe für eine Flucht. Es gibt auch ein wirtschaftliches Argument: "Jeder zweite Euro wird mit Export verdient. Wenn Deutschland ein starkes Exportland bleiben will, können wir uns keine Schneckenhaus-Mentalität erlauben", so die BMZ-Sprecherin. Schließlich könnten nur wirtschaftlich starke Länder unsere Waren kaufen.

Entwicklungshilfe auch in autokratischen Ländern

Auf der Liste der Länder, mit denen eine Entwicklungszusammenarbeit besteht, stehen aber auch Afghanistan, China oder andere autokratisch regierte Länder. Doch heute würden etwa 70 Prozent der Menschen in Autokratien leben, das mache die Zusammenarbeit schwierig, heißt es aus dem BMZ. Trotzdem finde das Ministerium Wege, wie man eben nicht das Regime fördert, sondern die Bedürftigen. "In Autokratien arbeiten wir stärker mit Nichtregierungsorganisationen oder UN-Organisationen, um die Menschen direkt zu erreichen und demokratische Kräfte möglichst zu stärken", heißt es. Zum Beispiel gebe es keine staatliche Zusammenarbeit mit China.

Seit Jahrzehnten fördert Deutschland etwa Projekte aus den Bereichen Bildung, Klimaschutz, Hungerbekämpfung oder auch nachhaltige Mobilität - und es gibt tatsächlich auch Erfolge. "Entwicklungszusammenarbeit hat etwa den Zugang zu Bildung verbessert, positive, wenn auch kleine Wirkungen auf das Demokratieniveau von Staaten gezeitigt oder zur Verringerung von Kindersterblichkeit in Afrika beigetragen", sagt Jörg Faust vom DEval.

Trotz der Erfolge: In 20 Jahren Entwicklungshilfe habe man auch viele Fehler gemacht, kritisiert Faust. "Im Hinblick auf die Zusammenarbeit, Synergien und Arbeitsteilung zwischen den Ressorts wie auch auf internationaler Ebene besteht noch einiges an Verbesserungspotenzial."

Dazu gehört, dass neue Technologien unterstützt werden, die auch für Europa und Deutschland wichtig sind. Ein Beispiel sind Frühwarnsysteme gegen Naturkatastrophen. Aber natürlich muss die Zusammenarbeit immer wieder überprüft werden, gerade in Zeiten knapper Kassen. Laut Ministerium werden in diesem Jahr 11,1 Milliarden Euro für verschiedenen Projekte ausgegeben - genau eine Milliarde weniger als noch ein Jahr zuvor.

Quelle: ntv.de

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