Politik

Konservative dominieren Gericht Das Schreckgespenst heißt Supreme Court

Abtreibungsgegnerin vor dem Obersten Gericht in Washington D.C.

Abtreibungsgegnerin vor dem Obersten Gericht in Washington D.C.

(Foto: REUTERS)

So konservativ wie aktuell war das Oberste Gericht der USA seit fast einem Jahrhundert nicht. Die Polarisierung macht auch vor der Justiz nicht halt, die große gesellschaftliche Konflikte neu befeuern wird. Liberale befürchten einen Rückfall in die Vergangenheit. Etwa beim Abtreibungsrecht.

Wie sehen die Vereinigten Staaten in der Zukunft aus? Darüber entscheiden nicht nur Wahlen, der Kongress und der Präsident, sondern in Grundsatzentscheidungen auch der Supreme Court. Und so könnten die kommenden Monate das Leben vieler US-Amerikaner mehr verändern, als es der Mehrheit lieb ist. Seit fast einem Jahrhundert war das Oberste Gericht nicht mehr so konservativ orientiert. Auf dem Papier gelten 6 der 9 Richter eher republikanisch ausgerichtet.

Insbesondere die anstehende Entscheidung darüber, ob und in welcher Form Abtreibungen in Zukunft erlaubt sein werden, bewegt das Land. Aber auch in andere ständige gesellschaftliche Konflikte wird das Gericht eingreifen: das Waffenrecht und die Todesstrafe etwa. Das neu besetzte Oberste Gericht hat am Montag seine Arbeit aufgenommen. Die Gerichtsperioden am Supreme Court der USA beginnen im Oktober und enden im Juni des Folgejahres.

In der Vergangenheit haben die Richter häufig im Sinne der öffentlichen Meinung geurteilt, historisch gesehen allerdings mit konservativer Tendenz. Doch wegen der in den vergangenen Jahren neu ernannten Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett hat der Supreme Court nun eine sehr deutliche politische Schlagseite. Eine Studie legt zudem nahe, dass die Richter im stark polarisierten politischen Umfeld weniger auf die öffentliche Meinung achten, sondern eher nach ihren Überzeugungen urteilen könnten als früher.

Umstrittener neuer Richter: Brett Kavanaugh

Umstrittener neuer Richter: Brett Kavanaugh

(Foto: AP)

Während die Konservativen große Hoffnungen auf das kommende Jahr haben, fürchten Liberale einen erzwungenen Rückschritt in vergangene Zeiten. "Die nächsten Monate könnten der Anfang einer Ära sein, in der konservative Richter deutlich davon wegbewegen, wo sich die meisten Amerikaner bei Hauptproblemen positionieren", analysiert das Magazin "FiveThirtyEight". Es fehlt demnach politischer Druck, bei zu abweichenden Entscheidungen die Macht des Gerichts einzuschränken. Je mehr entsprechende Gesetze in der Vergangenheit in den Kongress eingebracht wurden, desto weniger abseitige Urteile fällte der Supreme Court.

Die Tendenz der Richter, gegen die Mehrheiten zu entscheiden, könnte zu großen Konflikten führen. Schon jetzt glaubt mehr als die Hälfte der US-Amerikaner laut einer YouGov-Umfrage, der Supreme Court entscheide parteiisch. Und das bei einem Gericht, dass eigentlich neutral darüber wachen soll, welche Gesetze dem Verfassungsrahmen entsprechen. Je nachdem, wie die kommenden Urteile aussehen, könnte das Vertrauen weiter schwinden.

Abtreibungen

Sollten Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich erlaubt sein oder nicht? Bislang gilt das Präzedenzurteil des Prozesses "Roe gegen Wade", in dem das Gericht vor fast 50 Jahren landesweit Abtreibungen erlaubte und dieses zwanzig Jahre später im Fall "Planned Parenthood" noch einmal bestätigte. In den vergangenen Jahren haben konservativ geprägte Bundesstaaten immer wieder Gesetze verabschiedet, die dagegen verstießen, um so eine Neuverhandlung dieser Frage zu erzwingen. So auch aktuell: Ein Gesetz im Bundesstaat Mississippi will alle Abtreibungen ab der 16. Woche verbieten. Bei "Roe gegen Wade" wurden jedoch 24 Wochen festgeschrieben.

Ein Urteil wird im Juni kommenden Jahres erwartet. Nur wenige Monate vor der Kongresswahl könnten die Richter etwa entscheiden, bislang landesweit erlaubte Abtreibungen zur Sache der Bundesstaaten zu machen. Politische Bedeutung bekommt dies deshalb, weil die US-Amerikaner in dieser Frage grundsätzlich gespalten sind, vor allem auf religiöser Basis. Es gibt aber eine Tendenz dahin, dass Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sein sollten.

Im September hatte das Gericht aus dem Urlaub heraus ein Gesetz im Bundesstaat Texas gewähren lassen, das noch wesentlich strengere Grenzen als die Neuregelung in Mississippi setzt. Es verbietet Abtreibungen schon dann, wenn die meisten Frauen noch nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind. Denunzianten, die gegen abtreibende Ärzte oder Einrichtungen vor Gericht ziehen, werden finanziell belohnt. Der Bundestaat lobe ein Kopfgeld aus, sagen Kritiker. Über die vorläufige Entscheidung herrscht breites Entsetzen. Sogar die Mehrheit der Republikaner ist damit nicht einverstanden.

Etwas mehr als die Hälfte der Amerikaner ist für Abtreibungen, die andere dagegen.

Etwas mehr als die Hälfte der Amerikaner ist für Abtreibungen, die andere dagegen.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Ebenfalls im vergangenen Monat stellten die Meinungsforscher von Gallup fest, dass die öffentliche Meinung über die Arbeit des Gerichts schlechter geworden ist. Im vergangenen Jahr waren 53 Prozent mit der Arbeit des Supreme Court zufrieden, nun sind es nur noch 40 Prozent, und 53 Prozent sind unzufrieden. Das sind schlechtere Werte als je zuvor. Ob es einen Zusammenhang mit dem Anti-Abtreibungsgesetz aus Texas gibt, ist unklar. Der Supreme Court betonte zwar, seine vorläufige Entscheidung darüber sei keine inhaltliche Bewertung gewesen. Aber viele sehen sie als einen Fingerzeig für das kommende Urteil und deshalb "Roe gegen Wade" vor dem Fall.

Waffenrecht

Zwei Kläger aus dem Bundesstaat New York wollten Handfeuerwaffen in der Öffentlichkeit tragen - und klagen dagegen, dass die Behörden ihnen dies nicht zugestanden. Laut zweitem Verfassungszusatz ist dies US-Bürgern erlaubt, aber die Bundesstaaten können dies mit Gesetzen einschränken, um die öffentliche Sicherheit zu verbessern. In New York gilt seit einem Jahrhundert die Regel, dass Lizenzantragsteller einen triftigen Grund darlegen müssen, warum ihnen zur Selbstverteidigung das Tragen einer Waffe außerhalb ihres Zuhauses erlaubt sein sollte.

Die mächtige und mit den Republikanern verbandelte Waffenlobbyorganisation National Rifle Association (NRA) unterstützt die Klage. Sie hofft auf ein Urteil, das ähnliche Gesetze im ganzen Land nichtig macht. Die Verteidigung beruft sich jedoch darauf, das New Yorker Gesetz sei "im Einklang mit dem Geltungsbereich des Verfassungszusatzes" und sei für öffentliche Sicherheit und Verbrechensbekämpfung im Bundesstaat zwingend notwendig.

Die bislang letzte große Entscheidung des Gerichts hatte vor mehr als einem Jahrzehnt festgelegt, dass jeder das Recht habe, zumindest in seinen eigenen vier Wänden eine Waffe zur Selbstverteidigung zu tragen. Die Richter haben eine Anhörung für den 3. November angesetzt.

Todesstrafe

Übereinstimmen könnten die konservativen Richter mit der Forderung von Präsident Joe Biden und seiner Regierung, die Todesstrafe für den Attentäter des Boston Marathon zu erlauben. Es ist ein Sonderfall, bei dem die konservativen Richter der Argumentation der Demokraten folgen könnten. Deren Argument zufolge habe sich eine niedrigere Instanz geirrt, als sie im vergangenen Jahr das Todesurteil gegen Dschochar Zarnajew aufhob. Auch der damalige Präsident Donald Trump hatte dies scharf kritisiert.

Das Berufungsgericht hatte im vergangenen Jahr eine neue Entscheidung über das Strafmaß gegen Zarnajew gefordert. Das Gericht hatte nicht festgestellt, ob die Geschworenen unvoreingenommen gewesen seien, lautete die Begründung. Einer der Geschworenen hatte Zarnajew zuvor öffentlich als "Abschaum" bezeichnet. Er hatte die Tat gestanden, die er gemeinsam mit dessen Bruder und selbstgebauten Sprengsätzen im April 2013 durchgeführt hatte. Drei Menschen wurden getötet und 260 verletzt. Zarnajew sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis im Bundesstaat Colorado.

Religionsfreiheit

In den Vereinigten Staaten wird Religionsfreiheit traditionell sehr breit ausgelegt. Verschiedene Kläger könnten von der konservativen Ausrichtung des Obersten Gerichts profitieren. So etwa mehrere Eltern aus dem Bundesstaat Maine. Im ländlichen Raum sind öffentliche weiterführende Schulen nicht flächendeckend vorhanden, weshalb mancherorts Privatschulen von Steuergeldern mitfinanziert werden dürfen - nicht aber, wenn sie eine religiöse Grundausrichtung haben. Die Kläger wollen erreichen, dass auch Privatschulen mit religiöser Orientierung mit Steuergeldern unterstützt werden dürfen. Sie argumentieren, die momentane Ungleichbehandlung verstoße gegen die Verfassung.

Mindestens zwei weitere Fälle berühren diese Freiheit: So etwa der zum Tode verurteilte John Ramirez, der im Jahr 2004 bei einem Raubzug mehrere Menschen getötet hatte. Er möchte, dass sein persönlicher Geistlicher bei seiner Hinrichtung anwesend sein darf, ihn berühren und hörbar beten darf. Und eine Gruppe muslimischer Männer aus Kalifornien wirft dem Inlandsgeheimdienst FBI vor, sie nach den Terroranschlägen von 9/11 illegalerweise nur wegen ihres Glaubens überwacht zu haben.

Die neuen Richter

"Ruth hat mich geschickt" - eine Demonstrantin für das Abtreibungsrecht, gekleidet wie in "Der Report der Magd".

"Ruth hat mich geschickt" - eine Demonstrantin für das Abtreibungsrecht, gekleidet wie in "Der Report der Magd".

(Foto: REUTERS)

Die drei neuen konservativ orientierten Richter wurden von Ex-Präsident Donald Trump vorgeschlagen und vom republikanisch dominierten Senat bestätigt. Bei Neil Gorsuch geschah das relativ geräuschlos. Beim zweiten, Brett Kavanaugh, geriet die Anhörung zum medialen Spektakel, weil mehrere Frauen dem Juristen sexuelle Belästigung und Komplizenschaft bei Vergewaltigungen in seiner Jugend vorgeworfen hatten. In einer hitzigen Anhörung wurden Dutzende Frauen entfernt, die gegen den Juristen protestierten. Kavanaugh gab sich im Senat unbeherrscht, was mehr als 2400 Juraprofessoren dazu brachte, sich in einem gemeinsamen offenen Brief gegen seine Ernennung auszusprechen. Das FBI ermittelte gegen Kavanaugh, bestätigte die Vorwürfe jedoch nicht.

Amy Coney Barrett wurde im letzten Moment von Trumps Präsidentschaft nominiert und bestätigt. Für die Liberalen war das ein harter Schlag, denn die konservative Richterin hat die kurz vor Trumps endender Amtszeit verstorbene Ruth Bader Ginsburg ersetzt. Die war in den vergangenen Jahren wegen ihres Abstimmungsverhaltens zur Ikone bei Liberalen und Feministen geworden. Bevor Ginsburg starb, half sie noch, mit denkbar knapper Mehrheit von 5 zu 4 Richterstimmen ein Gesetz aus dem Bundesstaat Louisiana zu blockieren, das Abtreibungen einschränken wollte.

Demokraten befürchten, dass die Tendenz des Gerichts noch konservativer als die derzeitigen 6 zu 3 werden könnte: Richter Stephen Breyer wurde unter Bill Clinton ernannt und ist 83 Jahre alt. Im kommenden Jahr finden Kongresswahlen statt, die Partei von Präsident Joe Biden könnte dann ihre Mehrheit im Senat und damit die Möglichkeit verlieren, nur mit eigenen Stimmen einen neuen Richter zu bestätigen. Um den "liberalen" Sitz vorher zu sichern, müsste Breyer also rechtzeitig zurücktreten. Dann wäre der Weg für einen jüngeren Nachfolger frei.

Quelle: ntv.de

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