Rachefeldzug der alten Kader Der Geist von Saddam Hussein
18.06.2014, 12:25 Uhr
Saddam Hussein herrschte von 1979 bis 2003 über den Irak. Das Bild aus dem Jahr 1998 zeigt ein Wandgemälde in Bagdad.
Die Isis-Dschihadisten kontrollieren einen großen Teil des Iraks und stehen vor den Toren von Bagdad. Sie erhalten Unterstützung von an den Rand gedrängten Sunniten, zu denen Anhänger des ehemaligen Diktators Saddam Hussein gehören.
Der rasche Vormarsch der Dschihadisten der Organisation "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" (Isis) hat viele Militärstrategen überrascht. Tagelang wurde gerätselt, wie es den Islamisten eigentlich gelingen konnte, gegen die zahlenmäßig weit überlegene irakische Armee so große Geländegewinne zu erzielen. Die Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki hat lange Zeit versucht, die Gefahr, die von Isis ausgeht, herunterzuspielen. Nun stehen deren Einheiten kurz vor Bagdad. In der irakischen Hauptstadt werden Vorkehrungen getroffen, um ein Einsickern von Isis-Kämpfern zu verhindern. Mit viel Mühe gelang es Armee, Freiwilligen und Kurden, den Isis-Vormarsch wenigstens an einigen Stellen zu stoppen.
Die dramatischen Ereignisse verdeutlichen, dass d ie irakische Armee, die rund 800.000 Mann zählen soll, allein nicht in der Lage ist, das Land zu kontrollieren. Bereits amerikanische Kommandeure hatten vor einigen Jahren die mangelnde Zuverlässigkeit der einheimischen Einheiten beklagt. Dabei hatte der Neuaufbau der irakischen Armee 25 Milliarden US-Dollar gekostet. Präsident Barack Obama ließ die letzten US-Einheiten dennoch vor zweieinhalb Jahren abziehen.
Die Schuld, die der schiitische Regierungschef Al-Maliki an der derzeitigen Situation in seinem Land trägt, ist unbestritten. Er verhinderte die Aussöhnung von Schiiten, Sunniten und Kurden. Schiitische Vertreter sind an den Schalthebeln der Macht. Die Sunniten, die unter Diktator Saddam Hussein den Irak beherrschten, wurden an den Rand gedrängt. So ist das Land bereits seit Jahren im Zerfall begriffen, seine Bevölkerung ist ethnisch und religiös zersplittert - ein idealer Nährboden für die Isis-Dschihadisten, deren Ziel die Schaffung eines sunnitischen Kalifatstaates ist.
Die seltsame Allianz

Er war Saddam Husseins Stellvertreter: Izzat Ibrahim ad-Duri (3. von links).
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Aber auch die USA tragen Mitschuld am irakisc hen Chaos. Nach dem Sturz des Saddam-Regimes im Frühjahr 2003 wurden Armee und Sicherheitskräfte aufgelöst. Anstatt zuverlässige Einheiten zusammenzustellen, um sie zur Sicherung von Grenzen und Verkehrswegen einzusetzen, wurden Hunderttausende Offiziere, Soldaten und Polizisten in die Arbeitslosigkeit entlassen. So schuf die Bush-Administration ein enormes Rekrutierungspotenzial von Unzufriedenen, die dann Teil der Aufstandsbewegung wurden.
So hat sich eine seltsame Allianz herausgebildet aus Isis und ehemaligen Kadern der verbotenen Baath-Partei, deren Ideologie ursprünglich den nationalistischen Panarabismus und revolutionären Säkularismus mit dem arabischen Sozialismus verband. Seit Saddam Husseins Sturz befindet sich die ehemalige Staatspartei im Untergrund und wird seit sieben Jahren vom ehemaligen stellvertretenden Staatspräsidenten Izzat Ibrahim ad-Duri geführt. Der 71-Jährige stammt wie der ehemalige Diktator aus Tikrit und ist aber im Gegensatz zu anderen Führungskadern des alten Regimes ein frommer sunnitischer Muslim.
Die Baath-Partei ist ihrerseits mit der Nakschbandi-Miliz - einem bewaffneten Arm des sunnitischen Sufi-Ordens - verbündet. Deren Kämpfer verübten zahlreiche Anschläge gegen die US-Truppen. Bereits vor dem Eintreffen der Isis-Einheiten lieferte sich die Nakschbandi-Miliz Kämpfe mit den irakischen Truppen. Ad-Duri (im bekannten US-Kartenspiel von 2003 war er der "Kreuz-König") ist ein wichtiger Verbindungsmann zu den Isis-Dschihadisten.
Isis konnte die nordirakische Millionenstadt Mossul auch deshalb ohne große Mühe einnehmen, weil dort Zehntausende zwangspensionierte Armeeangehörige, Geheimdienstler und Baath-Kader leben. Nicht unter Kontrolle hat die Al-Maliki-Regierung das nordwestlich von Bagdad gelegene sogenannte sunnitische Dreieck.
Die irakische Armee stand dort zuletzt auf verlorenem Posten. Viele sunnitische Soldaten der von Schiiten dominierten Armee sahen keinen Sinn mehr, gegen ihre Glaubensbrüder zu kämpfen und desertierten zu Tausenden oder liefen sogar über. Al-Maliki und schiitische Geistliche wie Großajatollah Ali al-Sistani riefen deshalb Freiwillige auf, die Waffe in die Hand zu nehmen, um gegen die sunnitischen Dschihadisten zu kämpfen. Ihnen bietet der Iran seine Unterstützung an.
Dieser für die Regierung in Bagdad überlebenswichtige Schritt zementiert aber die Zerstückelung des Iraks. Der wachsende iranische Einfluss ist Wasser auf die Mühlen von Ad-Duri, der die Al-Maliki-Regierung als Handlanger Teherans bezeichnet. Er hasst das iranische Mullah-Regime, gegen das Saddam Hussein 1980 einen acht Jahre andauernden verlustreichen Krieg angezettelt hatte, bei den auch Giftgas eingesetzt wurde. Alte Schlachten werden - diesmal im irakischen Zentrum - neu geschlagen.
Saddam Hussein hat den Irak jahrzehntelang mit brachialer Gewalt zusammengehalten und islamische Fundamentalisten foltern und töten lassen. Der Diktator ist seit Ende 2006 tot. Sein Geist lebt aber immer noch und fördert - nun unter religiösen Vorzeichen - ebenfalls die Spaltung der Republik Irak.
Quelle: ntv.de