Politik

Union grollt der Ampel bereits Der Kanzler verspricht: "Es geht gut aus"

Die erste Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz gerät zur kleinteiligen Nachlese des Koalitionsvertrags. Dennoch hat der neue Regierungschef ein paar zentrale Botschaften mitgebracht. Der neue Oppositionsführer schäumt.

Wer sich am Ende der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz noch immer nicht gemeint fühlt, lebt entweder nicht in der Bundesrepublik oder war an der entsprechenden Stelle kurz weggenickt. Der neue Regierungschef nimmt sich eine Woche nach seiner Ernennung viel Zeit, die Vorhaben seiner Regierung vorzutragen. Das ist gut für die wenigen Menschen, die in den vergangenen Pandemie-Monaten verreist waren. Die überwiegende Mehrheit im Land hätte vielleicht keine Nachlese des Koalitionsvertrags der Ampel-Parteien gebraucht, schon gar nicht in Scholz‘ gewohnt Pathos-freier Vortragsweise.

Ausgeschlafene Zuhörer konnten dem Auftritt des 63-Jährigen dennoch einige Fingerzeige auf das Regierungshandeln in den ersten Ampelmonaten entnehmen. Und dies wird der Ampel mehr von außen diktiert, als dass sie sich die Themen ausgesucht hätte: die Bewältigung der Pandemie und die schleunige Dekarbonisierung Deutschlands. "Niemandem geht es gut in diesen Zeiten. Mir nicht, Ihnen nicht und den Bürgerinnen und Bürgern nicht", sagt Scholz in dem Part seiner Zeile für Zeile vorgelesenen Rede noch vergleichsweise eindringlich. "Wir werden den Kampf gegen diese Pandemie mit größter Entschlossenheit führen und ja, wir werden ihn gewinnen."

SPD schreibt Weihnachtskarten

Nachdem von einem Interview mit der "Bild am Sonntag" vor allem das Zitat hängengeblieben ist, dass Scholz sich auch als Kanzler der Ungeimpften sehe, nimmt der Kanzler eine kleine Positionskorrektur vor und rechnet mit denen ab, die sich noch immer einer Impfung verweigern: Die Bundesregierung verstehe sich als Stimme der Vernünftigen und Solidarischen, auch wenn sie bereit sei, den Skeptikern zuzuhören. Aber: "Dieser winzigen Minderheit der Hasserfüllten, die mit Fackelmärschen, mit Gewalt und Morddrohungen uns alle angreift, werden wir mit allen Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaates entgegentreten."

Da die AfD an dieser Stelle ohnehin mit empörten Zwischenrufen stört, passt das folgende Thema gut: Scholz nimmt sich noch einmal Zeit, Angela Merkel zu danken. Die Bundeskanzlerin habe "völlig uneitel und ohne Allüren, immer mit Mut, mit Pragmatismus und mit Umsicht" gehandelt. Merkel habe "alles Mögliche getan, um die Staffelübergabe an ihren Nachfolger so unaufgeregt wie möglich zu gestalten". Das sei "weltweit mit viel Respekt" aufgenommen worden.

An dieser Stelle applaudiert natürlich auch die Union, die die Regierungserklärung ansonsten weitgehend regungslos verfolgt. Vielem von dem, was Scholz referiert, hätte sie zur Bildung einer Jamaika-Verbindung wohl auch zugestimmt. Aber auch den Abgeordneten der Regierungsfraktionen verlangt Scholz' monotone Vortragsweise viel Konzentration ab. Nicht wenige haben offenbar viele wichtige Nachrichten auf ihrem Handy zu beantworten. Auf der SPD-Bank werden auch Weihnachtskarten für den Wahlkreis geschrieben.

Ein Sätzchen für jeden und über alles

Dabei trägt Scholz vieles vor, das die Herzen der Ampel-Abgeordneten erwärmen sollte, insbesondere die der Grünen: Ausführlich spricht er, der sich im Bundestagswahlkampf als "Klimakanzler" beworben hatte, über die Pläne der Ampel, um Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen: schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, ein europäischer Emissionshandel, neue Abschreibungsmöglichkeiten und steuerliche Verlustverrechnung, ein Klima- und Transformationsfonds, ein internationaler Klima-Club, und bis 2030 eine Verdopplung der Produktion Erneuerbarer Energien sowie 15 Millionen E-Autos auf den Straßen.

In gesellschaftlichen Fragen applaudiert auch die FDP-Bank stärker als bei den Themen Soziales und Klima mit den Ampel-Kollegen mit. Scholz sagt gleich zweimal, dass Deutschland ein "Migrationsland" sei: Bürgerinnen und Bürger mit Migrationsgeschichte hätten "Anspruch auf volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in unserem Land", sagt er und verspricht: "Alle, die sich in diesem Land anstrengen, um ein besseres Leben zu haben, haben mich an ihrer Seite."

Auch Ostdeutschland, Kinder, Bezieher von Grundsicherung und Rentner werden erwähnt. Scholz versucht zu vermitteln, dass er sich als Kanzler des ganzen Landes betrachtet. Er will ein Kanzler sein, der die Sorgen der Menschen ernst nimmt und angesichts der gewaltigen Umbrüche und Unwägbarkeiten der kommenden Jahre konstruktive Lösungen anbietet. Die Menschen sollten wissen: "Es geht gut aus für mich und meine Familie und für unser Land." Scholz will ein Kanzler der Zuversicht sein.

Brinkhaus: Kleinteiliges Referat statt großer Linien

Dass das bei den Gemeinten ankommt, bezweifelt der neue Oppositionsführer, CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus: "Fortschritt und Zukunft brauchen Begeisterung. Diese Begeisterung habe ich in den letzten 90 Minuten nicht gesehen", sagt Brinkhaus. Er erwarte, dass ein Kanzler in seiner Regierungsrede die großen Linien vortrage und nicht kleinteilig den Koalitionsvertrag referiere. Dennoch gratuliert er Scholz, wünscht bestes Gelingen und bietet eine konstruktive Opposition an.

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Doch der freundliche Ton ist nicht von Dauer, denn die Union ist sauer: Auf Antrag der Ampelparteien sollen die Unionsabgeordneten die Plätze mit der FDP tauschen, damit die Liberalen nicht länger neben der AfD sitzen müssen. Eine Aussprache hierzu ist im Antrag nicht vorgesehen. "Wie klein ist das denn?" empört sich Brinkhaus lautstark. Die FDP, der vermeintlich natürliche Bündnispartner der Union, steht besonders im Fadenkreuz von Brinkhaus Vortrag. Bundesfinanzminister Christian Lindner säge mit seinem Nachtragshaushalt am Fundament der Schuldenbremse.

Die Empörung auf der FDP-Bank ist groß. Die Union quittiert Brinkhaus Rede dagegen mit stehendem Applaus. Es ist der vielleicht beste Moment für die beiden Schwesterparteien, die einen fraglos schweren Tag erleben: den ersten ordentlichen Arbeitstag in der Opposition nach 16 Jahren mit Angela Merkel an der Spitze. Dass Scholz’ Versprechen "Alles wird gut" die Christdemokraten und Christsozialen beruhigt, ist eher nicht zu erwarten. Aber vielleicht war die Union in Scholz' Rede ja auch wirklich nicht gemeint.

Quelle: ntv.de

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