Politik

Polens Premier in Berlin Der Mann, der viel erklären muss

Morawiecki und die Kanzlerin haben viele Themen zu besprechen.

Morawiecki und die Kanzlerin haben viele Themen zu besprechen.

(Foto: REUTERS)

Es gibt bessere Zeiten für einen Antrittsbesuch des polnischen Regierungschefs Morawiecki in Deutschland: Polen steht in der EU unter Druck, überall schwelt der Streit. Sogar die Kanzlerin kann da nur wenig beschönigen.

Polens Premier hat keinen leichten Stand bei seinem Antrittsbesuch in Berlin. Erst seit Kurzem steht Mateusz Morawiecki der polnischen Regierung vor und schon hat er viel zu erklären. Warum Polen seine Justiz umbaut, warum es mit einem Holocaust-Gesetz Empörung in weiten Teilen der Welt hervorruft, warum die EU mit der "Nuklearoption" - dem Entzug des Stimmrechts - drohen muss. Noch nie war das Verhältnis zwischen der EU und Polen so zerrüttet, der einstige Musterknabe im Osten ist in Brüssel längst zum Paria mutiert.

Morawiecki zeigt sich schon vor seinem Besuch selbstkritisch. "Ich gebe mir selbst die Schuld", sagt er n-tv.de. "Wir hätten einiges viel besser kommunizieren, die Details viel besser erklären müssen." Dann, so der unausgesprochene Gedanke, dann wäre alles anders. Dann gäbe es diese ganzen "Missverständnisse" nicht.

An diesem Freitag nun kann er endlich alles erklären. Der 49-Jährige, der noch bis vor Kurzem Wirtschaftsminister der nationalkonservativen PiS-Regierung war, ist zu Gast bei der Körber-Stiftung in Berlin. Knapp eine Stunde hat er Zeit, um über die EU, Polen und Deutschland zu reden. Doch auch hier zeigt sich: Kommunikation ist ein kompliziertes Unterfangen, obwohl Morawiecki sogar Deutsch spricht und eine Weile hier gelebt hat. Vielleicht will er auch über bestimmte Themen nicht so gerne reden oder kann es nicht - so wie im Interview, als es um den Status von Jerusalem geht. "Was ich persönlich denke, kann ich nicht öffentlich sagen."

In seiner Rede umschifft er denn auch viele der schwelenden Streitpunkte. Lieber spricht er lange von einer "neuen globalen Strategie", die jetzt nötig sei. Von Solidarität und Demokratisierung, von der Industrie 4.0, von einer starken Verteidigung und Grenzschutz gegenüber den hybriden Kriegsattacken aus Russland. Er fordert, dass die großen Unternehmen mehr Steuern zahlen müssten und will Regeln für die dominierenden "globalen Monopole". Die Regierungen müssten mehr auf die Menschen zu- und auf ihre Ängste eingehen.

"Unsere Wirtschaft ist in den Händen von Ausländern"

Morawiecki war zwar Mitglied der polnischen Kommission, die die Beitrittsbedingungen für die EU aushandelte. Als leidenschaftlicher Europäer zeigt er sich aber hier in Berlin nicht. In Polen und den Visegrad-Staaten hätten die Menschen kein Interesse an den Vereinigten Staaten von Europa, sagt er. Und er zählt vor allem auf, was nicht funktioniert: In den vergangenen Jahren habe die EU viele neue Regelungen beschlossen, die das Wachstum aufstrebender Unternehmen in Osteuropa behinderten. "Unsere Wirtschaft ist in den Händen von Ausländern", so seine Klage. Auch in den Händen von Deutschen.

Dabei kann sich Morawiecki allerdings nur begrenzt beklagen. Die polnische Wirtschaft floriert, die Stimmung in den Unternehmen ist gut, das Wachstum liegt im europäischen Vergleich an der Spitze. Und auch die EU-Mitgliedschaft rentiert sich. Wie kein anderes Land profitiert Polen von den Finanzhilfen in der Union: Mit mehr als 7 Milliarden Euro war es 2016 der größte Nettoempfänger von EU-Geldern. Als früherer Banker und Finanzexperte weiß Morawiecki den steten Geldsegen aus Brüssel zu schätzen, so wie er auch weiß, dass sich das Land einen EU-Austritt - einen Polexit - kaum leisten kann.

So muss sich denn Polen wohl oder übel auch mit der EU-Kritik an seinem Justizumbau befassen. Seitdem die PiS Ende 2015 an die Macht kam, hat sie in einem atemberaubenden Tempo mehr Druck auf die Justiz ausgeübt. Sogar die konservative Zeitung "Rzeczpospolita" sprach von einem "Blitzkrieg" gegen die Gerichtsbarkeit. Davon will Morawiecki in Berlin aber nichts wissen. Als er bei der Körber-Stiftung zum Schluss doch noch auf das Thema zu sprechen kommt, nennt er die Reform eine notwendige Veränderung, die eigentlich viel zu spät komme. Ziel sei es, die Justiz unabhängiger, effektiver und transparenter zu machen. Außerdem seien jetzt noch immer die selben Richter aktiv, die schon in den kommunistischen 1980er Jahren Freiheitskämpfer verfolgt hätten. Allerdings sei es "für Leute von außerhalb" sehr schwierig, "das Klein-Klein des polnischen Systems zu verstehen".

Und auf noch einen Kritikpunkt geht Morawiecki schließlich ein, als er darauf angesprochen wird: das umstrittene Holocaust-Gesetz. Dieses stellt Äußerungen unter Strafe, die den polnischen Staat oder das polnische Volk für den Holocaust mitverantwortlich machen. Allein 300 Mal hätten polnische Botschafter im vergangenen Jahr gegen Begriffe wie polnische Todeslager, polnische Gestapo protestieren müssen, so der Ministerpräsident. Kritiker fürchten, dass mit dem neuen Gesetz die Mittäterschaft einiger Polen während der NS-Zeit nicht mehr erwähnt werden darf.

Tausende Gerechte unter den Völkern

Tatsächlich gab es in Polen - wie überall unter der deutschen Besatzung - Kollaborateure. Gleichzeitig hat Polen auch extrem unter dem Terror der Deutschen gelitten, sechs Millionen Menschen starben, ganze Landstriche wurden verwüstet. Zugleich hat Polen auch die meisten Gerechten unter den Völkern in Yad Vashem - also Personen, die Juden retteten. Und das, obwohl diese im Fall der Entdeckung nicht nur mit dem eigenen Tod, sondern der Ermordung ihrer ganzen Familie rechnen mussten.

Kanzlerin Angela Merkel verweist daher auch deutlich auf die Schuld Deutschlands. "Wir sind verantwortlich als Deutsche für die Dinge, die während des Holocaust, der Shoah, im Nationalsozialismus passiert sind", machte die Kanzlerin bereits am vergangenen Wochenende klar. Sogar in ansonsten Deutschland-kritischen regierungsnahen Medien rief das in Polen positive Kommentare hervor. Auch an diesem Freitag erklärt Merkel, als sie am Mittag erstmals mit Ministerpräsident Morawiecki zusammentraf, die historische Verantwortung Deutschlands.

Ansonsten beschönigt Merkel wenig, was das derzeit angespannte deutsch-polnische Verhältnis angeht: Sie spricht von "ernsthaften Meinungsverschiedenheiten" und einem intensiven Dialog. "Es ist eine Menge zu tun, was wir noch besser machen können." Morawiecki seinerseits kritisiert nach der Unterredung mit Merkel insbesondere den geplanten Bau einer weiteren Gas Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland. Aus Warschauer Sicht macht sich Europa damit zunehmend von Russland abhängig. Bei der Körber-Stiftung drückt Morawiecki es dann so aus: Wenn durch Nordstream 2 die jetzige Pipeline durch die Ukraine überflüssig werde, dann mache Russland dort bald, was es wolle.

Trotz aller Streitpunkte, immerhin am Ende seines Besuchs bei der Körber-Stiftung zeigt sich Morawiecki entspannt. Da spricht der Ministerpräsident von der polnischen "Geheimwaffe": Robert Lewandowski. Mit dieser, so prophezeit er, werde Polen im Finale in Moskau gegen Deutschland spielen. Und, natürlich, gewinnen.

Quelle: ntv.de

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