Stromnetze: Berliner Volksentscheid könnte Signal setzen Der Staat als besserer Unternehmer
01.11.2013, 11:04 Uhr
Das Rote Rathaus in Berlin: Die Stromversorgung in Bürgerhand - darüber können die Berliner am 3. November abstimmen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Bürger vertrauen wieder dem Staat. Mehr als 200 Städte und Gemeinden haben ihre Energienetze schon zurückgekauft. Jede dritte Kommune spielt mit dem Gedanken. Der Volksentscheid über die Zukunft des Berliner Stromnetzes könnte diesen Trend weiter befeuern.
Die Blütezeit des Neoliberalismus in Deutschland ist offensichtlich vorbei. Um die Jahrtausendwende lechzten Städte und Kommunen noch danach, ihre Betriebe zu privatisieren. Der Verkauf von Stadtwerken, Energienetzen oder Nahverkehrsangeboten kam nicht nur als Mittel gegen die Überschuldung gelegen. Er galt als die einzige ökonomisch sinnhafte Entscheidung. "Der Staat ist nie der bessere Unternehmer." Das war das Credo jener Tage.
Ein Jahrzehnt und eine internationale Finanzkrise später erscheint diese Denkweise widerlegt: Städte und Kommunen hadern mit dem Verkauf ihrer Betriebe. Vor kaum zwei Monaten stimmten die Hamburger in einem Volksentscheid dafür, dem Energieriesen Vattenfall die Strom-, Gas- und Fernwärmenetze wieder zu entreißen. Jetzt hofft der "Berliner Energietisch" darauf, durch einen Volksentscheid an diesem Wochenende das Stromnetz der Hauptstadt wieder in Bürgerhand zu legen. Auch ein neues Stadtwerk soll her. Ein Erfolg der Initiative birgt das Potenzial, einen bundesweiten Trend zu befeuern.
Vom Monopol der Bürokratie zum Monopol der Unternehmenskasse

Die Initiatoren des "Berliner Energietisches" versuchen zu mobilisieren, was es zu mobilisieren gibt.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die Kräfte des Marktes zwar gewaltige Gewinne produzieren können. Sie hat aber auch offenbart, dass die Gesetze der Logik und der Vernunft dabei keine Größe sind, dass das freie Spiel jener Kräfte unüberschaubare Risiken birgt. Zugleich zeigte sich, dass die Privatisierung kommunaler Betriebe zwar das Monopol überbürokratisierte Management über Versorgungsnetze beendet. Dass die Alternative aber lediglich ein privatwirtschaftliches Monopol ist. Das arbeitet zwar kosteneffizienter, allerdings nicht zum Wohle der Bevölkerung. Unverhältnismäßig steigende Preise bei unveränderter Leistung waren vielerorts die Folge.
Heute klingt daher vor allem ein Gedanke verheißungsvoll: Gewinne aus dem Betrieb von Strom- oder Gasnetzen könnten künftig in die regionale Infrastruktur fließen statt in die Kassen schwedischer Großkonzerne. Hinzu kommt der Wunsch nach mehr Bürgerbeteiligung und damit dem Einzug ethischer Erwägungen bei Unternehmensentscheidungen. Sozialtarife sind ein Beispiel oder der Umbau der kohle- und gasbasierten Energieversorgung hin zu einem ökologischen System. Dinge, die auch der "Berliner Energietisch" plant.
Großes Potenzial für weitere Rekommunalisierungen
Schon jetzt haben nach Angaben des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) mehr als 200 Städte und Gemeinden ihre Energienetze zurückgekauft. 70 haben wieder Stadtwerke gegründet. Von schätzungsweise 14.000 Konzessionsverträgen für Stromnetze laufen in den nächsten Jahren mehr als die Hälfte aus und müssen neu vergeben werden. Das Potenzial für weitere Rekommunalisierungen ist also gewaltig.
Nicht immer enden die Unterfangen in einem Triumph. Während Hamburg schon jetzt als "strahlendes Vorbild" gefeiert wird, obwohl die Netze noch nicht einmal in der Hand der Stadt liegen, zeigen sich in Thüringen die ersten Probleme. Die Kommunen des Landes haben die Energienetze durch eine Mehrheitsbeteiligung an der Aktiengesellschaft "Thüringer Energie" übernommen. Bürgermeister, die bisher nur die Finanzen ihrer Kommune im Griff haben mussten, sitzen plötzlich im Aufsichtsrat eines milliardenschweren Stromkonzerns – und sind maßlos überfordert. Mitte Oktober weigerten sie sich, ihren Vorstand zu entlasten. Wegen eines Streits über Honorare für einen Berater. Dass ihre Verweigerungstaktik, die in einer Stadtverordnetenversammlung üblich sein mag, bei einer Aktiengesellschaft die Kreditwürdigkeit des Gesamtunternehmens beeinflussen kann, war ihnen nicht bewusst. Auch ein Streit zwischen den Kommunen über die Höhe der Dividenden ist entbrannt.
"Ob die Rekommunalisierung in jedem Fall sinnvoll ist, muss sich zeigen", sagt ein Sprecher des Städte- und Gemeindebundes mit einer gewissen Skepsis. Trotzdem: Nach einer Welle enttäuschender Privatisierungsprojekte, scheint die Richtung zu stehen. Nach Angaben der Wirtschaftsprüfer von KPMG spielt schon ein Drittel der deutschen Kommunen mit dem Gedanken, Energieinfrastruktur zurückzukaufen.
Angesichts dieser Grundstimmung wäre es ein Wunder, würde ein erfolgreicher Berliner Volksentscheid keinen weiteren Impuls geben. Er könnte bei einem Scheitern die Euphorie allerdings auch gehörig bremsen.
Senat sabotiert Volksentscheid
Für einen Erfolg sind 625.000 Ja-Stimmen nötig. Entscheidend ist neben einer Mehrheit auch, dass mindestens jeder vierte Berliner an dem Votum teilnimmt. In Hamburg war die Wahlbeteiligung kein Problem. Die Abstimmung fand zusammen mit der Bundestagswahl statt. In Berlin gibt es Zweifel daran, ob die Initiatoren an einem Sonntag im November ausreichend Bürger mobilisieren können. Auch, weil die Berliner Politik sich für ein Nein beim Volksentscheid einsetzt und eine Gegenkampagne betreibt.
Der Senat scheut die möglichen hohen Kosten und Risiken der Rekommunalisierungspläne. SPD und CDU verfolgen darum offensichtlich die Strategie, den Volksentscheid zu sabotieren, indem sie die Wahlbeteiligung drücken. Zunächst bewarb sich der landeseigene Betrieb "Berlin Energie" um die Konzession für die Stromnetze. Zudem lehnte der Senat einen Termin für den Entscheid am Tag der Bundestagswahl ab – weil es nicht möglich gewesen sei, die gesetzlich vorgeschriebene, amtliche Informationsbroschüre rechtzeitig zu drucken. Ausgerechnet Ende Oktober, Tage vor dem Entscheid, beschloss der Senat dann noch, selbst ein Stadtwerk zu gründen. So entsteht der Eindruck, als wäre der Volksentscheid überflüssig. Eine Täuschung – davon sind zumindest die Initiatoren überzeugt. Sie befürchten, dass die Stadt die Bewerbung von "Berlin Energie" nach einem erfolglosen Volksentscheid scheitern lässt und das Stadtwerk nur mit geringstmöglichen Mitteln ausstattet. Ein schwerer Vorwurf. Ganz unplausibel ist er nicht.
Quelle: ntv.de