Politik

Probleme, Probleme, Probleme Der Zustand der Schulen ist eine Katastrophe

Beim Bildungsgipfel in Berlin geht es um die Probleme der Schulen und eine mögliche neue Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Dabei ist längst bekannt, was die Probleme sind. Eine Erinnerung.

Es liest sich wunderbar, was das Bundesbildungsministerium selbst zum Bildungsgipfel an diesem Dienstag in Berlin schreibt: Der könne ein "Auftakt für die Erneuerung des Aufstiegsversprechens und einer neuen Kultur der Zusammenarbeit gesehen werden".

Doch mit der Zusammenarbeit ist es so eine Sache. Nur zwei Bildungsministerinnen aus den Ländern haben zugesagt - die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Astrid-Sabine Busse aus Berlin, sowie Hamburgs Schulsenator Ties Rabe. Die Bildungsminister aus den CDU-geführten Ländern haben allesamt abgesagt. Statt einer gemeinsamen Erklärung gibt es vielstimmige Kritik. Dabei sollte das Ganze der Auftakt für einen Dialog sein. Doch es ist längst klar, woran das Bildungssystem krankt. Und das seit Jahren. Hier die wichtigsten Punkte:

Dramatischer Lehrermangel

Laut einer Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung vom vergangenen Jahr fehlen 50.000 Lehrer. Zu wenig Lehrer bedeuten, dass die Klassen größer sein müssen als gut für den Unterricht ist, dass in der Oberstufe bestimmte Kurse nicht angeboten werden können, wenn die Nachfrage nicht groß genug ist, und auch, dass Unterricht ausfällt. Fünf Prozent der Unterrichtsstunden fallen aus, ermittelte die "Zeit" vor ein paar Jahren - doppelt so viel wie von den Bundesländern behauptet.

Das alles ist vor allem für die schwächeren Schüler schlecht, denn die brauchen die Hilfe am dringendsten. Viele der Lehrkräfte, die noch die Stellung halten, sind dadurch außerdem stärker belastet. Der Unterricht ist stressiger, und mehr Klassenarbeiten oder Klausuren stapeln sich auf dem Schreibtisch. Die Folge: mehr Erschöpfung, ein höherer Krankenstand - und damit weiterer Unterrichtsausfall. Die Länder tun einiges dagegen, haben etwa vielerorts die Gehälter von Grundschullehrern erhöht. Doch die Ausbildung dauert lange, sodass sich das Problem nur mittel- bis langfristig lösen lässt.

Digitalisierung? Durchgefallen

Ganz Deutschland hat bei der Digitalisierung geschlafen, und auch in den Schulen passierte lange zu wenig. Es ist aber nicht so, dass die noch geschlossen in der "Kreidezeit" steckten. So schreibt Bildungsforscher Klaus Hurrelmann in einem Vorwort zur jüngsten Cornelsen-Schulleitungsstudie, es herrsche Aufbruchstimmung an vielen Schulen. Die Einrichtungen investierten in Lehrkräftefortbildung, schulten die Medienkompetenz der Schüler, und förderten über digitale Tools individualisiertes und selbstbestimmtes Lernen.

So richtig angekommen ist das allerdings noch nicht. Etwa zwei Drittel der Eltern in Deutschland sind mit der Digitalisierung der Schulen ihrer Kinder nach der Corona-Krise unzufrieden. Etwa 50 Prozent bewerteten den Stand laut einer Umfrage des Hightechverbands Bitkom als "ausreichend" oder "mangelhaft", also mit den Schulnoten vier und fünf. Fast 20 Prozent vergaben sogar ein "ungenügend". Die Länder fordern schon seit längerem eine Verlängerung des Digitalpaktes Schule. Der startete Mitte 2019 und soll über fünf Jahre 6,5 Milliarden Euro vom Bund an die Länder umverteilen.

Kaputte Schulgebäude

Dreckige Schultoiletten, Dächer, durch die es reinregnet, Schimmel an den Fenstern: An vielen Schulen in Deutschland herrschen Zustände, die kein Arbeitnehmer tolerieren würde. Viele Schulen seien "eher Baracken der Bildung als Kathedralen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds vor fünf Jahren. Viel besser geworden ist die Situation seither nicht, die GEW fordert ein 100-Milliarden Sofortprogramm allein für den Sanierungsstau an den Bildungseinrichtungen in Deutschland. Obwohl bereits der größte Teil der kommunalen Investitionsplanungen auf die Schulen entfällt, liegt in diesem Bereich auch aus Sicht der Schulen der größte Investitionsrückstand. Auf mittlerweile 45,6 Milliarden Euro wird er im aktuellen KfW-Kommunalpanel beziffert.

Das Problem ist nicht nur das Geld, sondern wie so häufig in der Schulpolitik die Zuständigkeit: Schulträger der staatlichen Schulen sind meist Städte, Gemeinden oder Landkreise. Ob Schülerinnen und Schüler also an einem verschimmelten Fenster sitzen müssen, hängt auch davon ab, ob sie das Glück haben, in einer wohlhabenden Kommune zu leben. Es gibt zwar Hilfen vom Bund, doch die kommen nur schleppend an. 3,5 Milliarden Euro wurden 2018 bereitgestellt. Nach Informationen von ntv wurden davon aber erst 750 Millionen Euro abgerufen.

Miese Leistungen

Wenn zu wenig Fachpersonal unter kaum ausreichenden digitalen Bedingungen in maroden Gebäuden unterrichten muss, wie wird sich das wohl auf den Lernerfolg auswirken? Richtig: nicht gut. Das Deutsche Schulbarometer kam gerade erst zu dem Schluss, dass viele Schülerinnen und Schüler unter Lernrückständen leiden.

Demnach ist aus Sicht der Schulleitungen bei 35 Prozent der Schülerinnen und Schüler ein deutlicher Lernrückstand zu erkennen. Natürlich schneiden Schulen in sozial benachteiligten Lagen schlechter ab als andere. Dort leiden nach Ansicht der Schulleitungen 65 Prozent unter Lernrückständen. Fast 80 Prozent der Schulen sagen zudem, dass sie nicht allen Kindern und Jugendlichen die benötigte Unterstützung beim Lernen bieten können.

"Alarmierende Befunde" vor allem an Grundschulen meldeten auch die Bildungsforscher Felicitas Thiel und Michael Becker-Mrotzek in einem Gutachten für die Kultusministerkonferenz. Jeder fünfte Viertklässler erreiche die Mindeststandards in Deutsch und Mathe nicht, fast jedes vierte sieben- bis zehnjährige Kind zeige ein erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten. Klar ist dabei, dass Corona nur einen Trend verstärkt hat, den es ohnehin gibt. Die Ursachen sind vielfältig: Sie fangen beim Personalmangel in den Kitas an und hören bei der relativen Vernachlässigung der Grundschulen noch lange nicht auf.

Föderalismus, Bürokratie, aktuelle Herausforderungen

Würde alles funktionieren, kämen die Schulen auch mit anderen Herausforderungen zurecht, mit der Förderung von Flüchtlingen etwa. Schon allein die Zersplitterung auf 16 Bundesländer sorgt dafür, dass es kaum eine bundesweite Aufmerksamkeit für das alltägliche Schuldrama gibt. Hinzu kommt: Schulpolitik ist ein Verliererthema: Läuft sie gut, nutzt es der jeweils verantwortlichen Partei praktisch nichts. Und da es im Bundesland nebenan im Zweifel kaum besser ist, können Probleme leicht wegdiskutiert werden - wenn sie es überhaupt in den Aufmerksamkeitsradar der Öffentlichkeit schaffen.

Auch deshalb fordert ein breiter Kreis von Verbänden, Stiftungen und Gewerkschaften aus dem Bildungsbereich "einen echten Nationalen Bildungsgipfel" unter der Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz. Formal mag der Bund nicht zuständig sein - ohne seine Einflussnahme jedoch dürfte es für den von den Verbänden geforderten "grundlegenden, gesamtgesellschaftlichen Reformprozess" keine Chance geben.

Quelle: ntv.de

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