Interview mit Carsten Linnemann "Die Kanzlerin allein reicht nicht mehr"
07.12.2016, 09:41 Uhr
Merkel auf dem CDU-Parteitag in Essen.
(Foto: REUTERS)
Eine Botschaft des CDU-Parteitags sei, dass es nicht mehr reiche, sich auf die Kanzlerin zu konzentrieren, sagt der CDU-Politiker Carsten Linnemann. Auch Angela Merkel wisse, dass die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung nicht mehr funktioniere – "Gott sei dank".
n-tv.de: Wie hat Ihnen die Rede von Angela Merkel gestern gefallen?
Carsten Linnemann: Ich fand sie inhaltlich stärker als im letzten Jahr in Karlsruhe, weil deutlich wurde, wofür die Union steht und wofür sie nicht steht. Frau Merkel hat zum ersten Mal klar gesagt, dass sie die Vollverschleierung verbieten will. Sie hat klar gesagt, dass wir Steuererhöhungen ablehnen, weil wir in einer Niedrigzinsphase und bei sprudelnden Steuereinnahmen die Pflicht haben, mit dem Geld auszukommen, das wir haben. Und sie hat die Seele der Partei getroffen, indem sie auch Themen angesprochen hat wie das Handelsabkommen mit Kanada und den USA.
Sie sagte, "wenn ein Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika Hunderttausende in Deutschland auf die Straße bringt, aber diese grausamen Bombardierungen auf Aleppo so gut wie keine öffentliche Proteste auslösen, dann stimmen die politischen Maßstäbe nicht mehr".
Sie hatte den Mut, auch mal zuzuspitzen.
Merkel bekam gut 89 Prozent der Stimmen.
Vor dem Parteitag hatte sie gesagt, sie wolle ein ehrliches Ergebnis. Das ist ein ehrliches Ergebnis. Die Botschaft ist, dass die Partei hinter der Kanzlerin und Kanzlerkandidatin steht. Aber es reicht eben nicht mehr aus, sich auf die Kanzlerin zu konzentrieren. Das haben wir in der Vergangenheit viel zu viel gemacht: dass wir die Spitzenkandidatin in den Mittelpunkt gestellt und zu wenig über Themen gesprochen haben.
Merkel hat betont, sie brauche die Hilfe der Partei, um erfolgreich zu sein. War das eine neue Botschaft?
Ich glaube, sie weiß so gut wie wir alle, dass die Strategie der asymmetrischen Demobilisierung, …
… bei der es darum geht, die Wähler der Konkurrenzparteien einzulullen …

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann ist Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT).
(Foto: picture alliance / dpa)
… dass diese Strategie nicht mehr funktioniert – Gott sei Dank nicht mehr funktioniert. Wahl kommt von auswählen, und auswählen kann man nur, wenn es Unterschiede gibt. Wenn die Strategie lautet, sich auf eine Person zu konzentrieren und Sachfragen abzuräumen, indem man die Unterschiede beseitigt, dann ist das schädlich für die Demokratie. Deshalb hat sie völlig Recht: Sie schafft es nicht allein, wir brauchen ein Team. Und das heißt auch: Wir brauchen die unterschiedlichen Köpfe, die verschiedenen Flügel, eben alles, was eine Volkspartei stark macht. Und wir brauchen wieder klare Überzeugungen, eine Erkennungsmelodie, wofür die Union steht und wofür nicht. Das müssen wir wieder lernen. Der Leitantrag ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.
In der Debatte nach Merkels Rede haben ein paar Delegierte beklagt, die Union habe die konservativen Mitglieder im Stich gelassen. Ist da was dran?
Natürlich haben wir in den vergangenen Jahren zu schnell und zu viele Positionen geräumt. Manches war nötig, wurde aber nicht genug erklärt. Anderes ging auch mir zu weit. Und wir waren in den vergangenen Jahren sehr stark im Krisenmodus unterwegs – erst die Energiewende, dann die Eurokrise, jetzt die Flüchtlingskrise. Viele wichtige Themen sind dadurch unter die Tischkante gerutscht. Der Konservative erwartet aber langfristiges Denken – wirtschaftspolitisch zum Beispiel, dass wir in der nächsten Legislaturperiode die größte Steuer- und Bürokratieentlastung seit der Wiedervereinigung machen, dass wir im Jahr 2020 die Voraussetzung zum autonomen Fahren schaffen, dass wir im Jahr 2022 eine digitale Verwaltung in Deutschland haben, die weltweit Maßstäbe setzt.
Im Leitantrag ist die Absage an Steuererhöhungen noch einmal verschärft worden. Warum eigentlich?
Vorher hieß es, die Steuerquote solle nicht erhöht werden. Das würde bedeuten, dass man eine Seite belasten kann, wenn man auf der anderen Seite entlastet. Die Quote bliebe dann gleich. Wir als Mittelstandsvereinigung meinen, dass es nicht darum gehen sollte, dem Staat mehr Geld zu geben, sondern dass die Union als ihren Markenkern solides Haushalten herausstellt. Der Bundeshaushalt profitiert von den niedrigen Zinsen – zulasten kleiner Sparer. Da wäre es absurd, wenn wir die Steuern erhöhen würden. Stattdessen müssen wir die unteren und mittleren Einkommen entlasten.
Ist mit der Absage an Steuererhöhungen eine Absage an Schwarz-Grün verbunden?
Über diese Debatte wundere ich mich immer. Wenn jede Partei strategisch überlegen würde, wie sie sich aufstellt, um mit dieser oder jener Partei koalieren zu können, dann wäre das der Anfang vom Ende der Demokratie. Es ist völlig normal, dass es in Koalitionsverhandlungen zu Kompromissen kommt. Aber jede Partei muss doch erstmal klar sagen, was sie will.
Die CDU hat sich schon vor einiger Zeit von der sogenannten Willkommenskultur verabschiedet, aber bei vielen Wählern scheint das noch nicht richtig angekommen zu sein. Glauben Sie, dass das Signal dieses Mal deutlich genug war?
Ich glaube, dass die Bürger es dann spüren, wenn die Menschen, die keinen Anspruch auf Asyl haben und keine Kriegsflüchtlinge sind, das Land wieder verlassen. 90 Prozent der Menschen in Deutschland sind offen für Flüchtlinge. Aber die Leute mögen es nicht, wenn sie den Eindruck haben, dass der Bogen überspannt wird – wenn jene, die keine Berechtigung haben, trotzdem in Deutschland bleiben können. Dieser Unterschied wird durch den Leitantrag klar herausgestellt. Jetzt muss die Umsetzung folgen.
Mit Carsten Linnemann sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de