KAS-Expertin im Interview "Die Russen in Transnistrien sind ein akutes Risiko für die Ukraine"
19.08.2023, 08:08 Uhr Artikel anhören
Die Ukraine hat die Grenze zu Moldau und Transnistrien geschlossen - in dem von Russland gestützten Grenzregion kam es daher zu Protesten.
Die Republik Moldau ist ein kleines Land, das direkt an die Ukraine grenzt und am Schwarzen Meer liegt. Seit Jahrzehnten übt Russland dort Einfluss aus - und alimentiert die abtrünnige Region Transnistrien. Brigitta Triebel vom dortigen Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung erklärt im Interview, warum das wichtig für den Krieg ist und wie die europäischen Interessen aussehen.

Dr. Brigitte Triebel leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau, der Hauptstadt Moldaus.
(Foto: privat)
ntv.de: Frau Triebel, die Republik Moldau grenzt direkt an die Ukraine - was bekommt man vor Ort vom Krieg im Nachbarland mit?
Brigitta Triebel: Auf der einen Seite geht der Alltag ganz normal weiter. Es gibt keine erhöhten Sicherheitsrisiken. Aber nach dem Beginn des Krieges befürchteten viele, dass Moldau ebenfalls bedroht sein könnte. Das wäre besonders dann der Fall gewesen, wenn die russische Armee Odessa eingenommen hätte. Die Stadt liegt nur zwei, drei Autostunden entfernt. Die Sorge war groß, dass die Russen dann in die abtrünnige Moldauer Provinz Transnistrien einmarschieren und die Regierung in der Hauptstadt Chisinau unter Druck setzen würden.
Zu einem russischen Einmarsch kam es dann aber nicht.
Dafür gewann aber der hybride Krieg, etwa mit Fake-News-Kampagnen gegen die EU-freundliche Regierung, an Intensität. Außerdem stellte Russland die Gaslieferungen vollständig ein, was für das kleine Land mit seinen rund 2,6 Millionen Einwohnern eine Katastrophe war.
Welche strategische Bedeutung hat Moldau für den Ukraine-Krieg?
Auf der einen Seite ist Moldau für uns wichtig, weil die proeuropäische Regierung mit aller Kraft das Land reformiert und modernisiert, um es in die EU zu führen. Das Land ist seit dem vergangenen Jahr EU-Beitrittskandidat. Die andere Seite betrifft die Sicherheitslage in der Region. Die Republik Moldau ist ein Nachbarland der Ukraine und eine ehemalige sowjetische Teilrepublik. Deswegen ist sie Teil der russischen Pläne, das eigene Territorium auszuweiten.
Was heißt das konkret?
Würde Russland dort einmarschieren, könnte es die Ukraine auch aus dem Südwesten angreifen. Wir hätten aber auch ein instabiles Land direkt an der Grenze Bulgariens und Rumäniens, also zweier NATO- und EU-Staaten. Damit würde der Schwarzmeerraum weiter destabilisiert. Es ist für uns wichtig, dass Moldau stabil bleibt, sich demokratisch reformiert und nach Europa bewegt.
Etwa 1500 russische Soldaten sind bereits in der Republik Moldau, in der abtrünnigen Region Transnistrien. Was bedeutet das für die Ukraine und den Krieg?
Die russischen Truppen in Transnistrien sind ein akutes Sicherheitsrisiko für die Ukraine. Neben der Republik Moldau selbst wird die Ukraine das Land sein, das am stärksten darauf dringen wird, dass der Transnistrien-Konflikt so schnell wie möglich gelöst wird, die russischen Truppen also von dort abziehen. Schon jetzt hat die Ukraine die Grenze komplett geschlossen. Das macht die Lage für das Regime in Transnistrien nicht einfacher.
Ist es denn denkbar, dass die Russen abziehen und Transnistrien wieder Teil Moldaus wird?
Das hängt vom Ausgang des Krieges in der Ukraine ab. Falls Russland sich tatsächlich aus der Ukraine zurückziehen muss und geschwächt wird, könnte es zu einer Reintegration Transnistriens kommen. Wenn Russland nicht mehr in der Lage wäre, Einfluss zu üben, wird der Konflikt lösbar sein. Dann müssten sich die herrschenden Eliten in Transnistrien fragen, wer sie unterstützen soll. Eine funktionierende Wirtschaft gibt es dort nicht. Das Regime überlebt nur aufgrund der Subventionen aus Russland und vor allem auch aufgrund der Soldaten, die dort stationiert sind.
Die Republik Moldau war Teil der Sowjetunion, die russischen Truppen sind schon seit rund 30 Jahren dort. Wie muss man sich das vorstellen?
Das Interessante ist, dass Russland seit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion nie eine Landgrenze mit Moldau hatte, also geographisch relativ weit weg ist. Entscheidend ist aus Moskauer Sicht aber, dass die Republik Moldau ein Teil der Sowjetunion und auch schon davor teilweise Teil des Zarenreichs war. Für sie ist es einfach eine Region, die dazu gehört.
Was hat Russland davon?
Transnistrien war seit den frühen 90er-Jahren der Hebel, um Moldau an jedem Schritt nach Westen zu hindern. Schon 1990 hat der Kreml Separatisten unterstützt. Die hat man bei ihren mafiösen Geschäften wie Menschen- und Drogenhandel gewähren lassen. Transnistrien war das schwarze Loch der Region. Heute leben dort vielleicht noch 500.000 Menschen. In den 90er-Jahren wurde auch gekämpft, mittlerweile ist der Konflikt eingefroren. Es wurden staatliche Strukturen aufgebaut, mit Parlament, Fußballmannschaft und allem, was dazugehört. Das Regime ist aber vollständig abhängig von Russland.
Wie kann Moldau der EU beitreten, wenn ein Teil von Russland kontrolliert wird?
Das ist seit Jahren die große Frage. Im Alltag haben aber die Menschen in Transnistrien und Moldau gelernt, damit umzugehen. Die Grenze ist nicht abgeriegelt, manche leben in Transnistrien und arbeiten in Chisinau. Durch den Krieg hat sich die Lage noch einmal geändert. Jetzt ist Russland auch für die transnistrischen Herrscher weit weg. Daher ist das Verhältnis im Moment auf einen konstruktiven Status Quo ausgerichtet. Eine Wiedervereinigung wäre für Chisinau eine immense Herausforderung. Da würden zwei sehr unterschiedliche Gesellschaften aufeinander treffen.
Wäre ein EU-Beitritt ohne eine Wiedervereinigung denkbar? Dann müsste ja die EU-Außengrenze durch das Land verlaufen.
Da sind wir wieder bei dem Hebel, den Russland seit den 90er-Jahren aufgebaut hat. Die Abtrennung von Transnistrien hindert Moldau schon seit Jahrzehnten daran, sich entschlossener an den Westen zu binden. Das ist das Interessante: Russland nutzte schon kurz nach dem Ende der Sowjetunion das Instrument der Pseudo-Republiken. Das haben wir leider erst im Donbass verstanden. Bei der EU beobachte ich eine pragmatische Herangehensweise. Es wird durchaus in Brüssel und Chisinau so formuliert, dass ein EU-Beitritt daran nicht scheitern soll.
Gibt es echte Sympathie für Russland?
Bis heute gibt es in der gesamten Republik Moldau viele Menschen, die sagen, dass es ihnen in der Sowjetunion besser ging. Viele, rund 20 bis 25 Prozent, sprechen Russisch als Muttersprache und haben enge Verbindungen nach Russland. Momentan sagen etwa 60 Prozent, sie wollen den Weg nach Europa gehen, mit allen Konsequenzen. Die anderen wollen sich lieber nach Osten orientieren oder wünschen sich eine Neutralität zwischen West und Ost. Die Orientierung nach Osten ist in Transnistrien noch wesentlich stärker als im Rest des Landes. Die Gesellschaft dort hat sich in den vergangenen 30 Jahren in eine ganz andere Richtung entwickelt als der Rest der Republik Moldau, etwa durch das russisch geprägte Bildungssystem. Russland übt aber im ganzen Land starken Einfluss aus.
Mittels Gas? Das kennen wir ja aus Deutschland.
Ja, nur dass die Abhängigkeit in Moldau zu 100 Prozent bestand. Die Energieblockade ist für die Menschen ein riesiges Problem, auch wenn die EU mit Geld geholfen hat. Die Inflation lag dennoch lange weit über 30 Prozent. Selbst der Mittelschicht droht die Verarmung. Dann gibt es weiterhin Parteien, die aus Russland finanziert werden, außerdem steuert Russland Desinformationskampagnen. Da wird dann die EU-freundliche Regierung von Maia Sandu für die hohen Preise verantwortlich gemacht. In Umfragen ist ihre Partei von einst 60 Prozent auf 30 Prozent eingebrochen. Daran sehen wir, dass noch nicht entschieden ist, welche Richtung Moldau endgültig einschlagen wird.
Mit Brigitta Triebel sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de