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Migrationstalk bei Lanz "Die Union wird dadurch aufgefressen werden"

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"Es war ein schwerer politischer Fehler", sagt Habeck bei Markus Lanz über die Abstimmung in der vergangenen Woche im Bundestag.

"Es war ein schwerer politischer Fehler", sagt Habeck bei Markus Lanz über die Abstimmung in der vergangenen Woche im Bundestag.

(Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto)

Die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD in der vergangenen Woche bereitet vielen Sorge. Grünen-Kanzlerkandidat Habeck fürchtet mit Blick auf andere europäische Staaten vor allem die Konsequenzen. So würden am Ende oft die Konservativen verlieren - und "die Rechtsradikalen übernehmen".

Hinter dem Bundestag liegt eine historische Woche. Eine, in der hitzig über die Asyl- und Migrationspolitik des Landes gestritten wurde. Und eine, in der ein Antrag erstmals mit den Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD eine Mehrheit bekam. CDU und CSU hatten ihn eingereicht - inhaltlich geht es in dem Entschließungsantrag um eine weitreichende Verschärfung des Migrationsrechts. Faktisch geht die Wirkung des angenommenen Antrags allerdings nicht über die reine Symbolkraft hinaus. Die war allerdings enorm, schwebt der Begriff "Tabubruch" über der Abstimmung in der vergangenen Woche.

"Es war ein schwerer politischer Fehler", beurteilt der Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, die Ereignisse im Bundestag am vergangenen Mittwoch und Freitag im ZDF bei Markus Lanz. Am vergangenen Freitag hatte die Union zusätzlich zu ihrem Antrag einen Gesetzentwurf eingereicht, inhaltlich ging es darin vor allem um die Begrenzung des Familiennachzugs von Geflüchteten. Obwohl die AfD erneut für die Pläne der Union stimmte, bekam der Entwurf keine Mehrheit. "Ich glaube nicht, dass die Union selbst glaubt, dass so eine Abstimmung und sie so herbeizuführen keinen Einfluss auf die politische Debattenkultur und die Folgewirkung hat. Aber Fehler kann man heilen. Das würde voraussetzen, dass man sie als Fehler akzeptiert. Aber das ist seit dem letzten Wochenende aus meiner Sicht nicht passiert", sagt Habeck.

Seit der Einheit hätten demokratische Parteien zwar gestritten, am Ende aber immer wieder einen Konsens gefunden. Das sei verloren gegangen, so der Grünen-Politiker. Besonders am vergangenen Freitag habe sich im Bundestag ein echter Graben zwischen den demokratischen Parteien gebildet. "Wenn man der Logik folgt, dass man die Mehrheitsfindung mit der AfD nicht nur billigend in Kauf nimmt, sondern quasi einkalkuliert oder einpreist, dann wird die deutsche Debattenkultur am Ende entlang dieser Abstimmungslinie zerrissen werden", warnt der Grünen-Politiker.

Habeck appelliert an Scholz und Merz

"Dann haben wir nicht mehr zwei, drei, vier politische Machtmöglichkeiten innerhalb der demokratischen Parteien, sondern einen Block, der die AfD mit einschließt. Und das wird die anderen Parteien auch verändern. Das zieht sie dann mit rüber. Meiner Prognose nach wird die Union am Ende dadurch aufgefressen werden. Wir sehen in allen anderen europäischen Ländern, dass die konservativen Parteien verlieren und am Ende die Rechtsradikalen übernehmen." Das mache ihm Sorgen, sowohl als Bürger als auch als Politiker. Am Ende des Talks appelliert Habeck an die Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Friedrich Merz, noch vor den Wahlen gemeinsame Ziele zu formulieren.

Doch allein von einem Tabubruch zu sprechen, ist zweifellos nicht die ganze Wahrheit. "Wir haben die Situation, dass in der Asylpolitik während drei Jahren Ampel-Koalition nicht sehr viel passiert ist", kritisiert Julia Löhr von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Es haben immer viele Leute erklärt, was alles nicht geht, aber es wurde wenig gemacht." Merz habe nach dem Anschlag von Aschaffenburg eine Entscheidung herbeiführen wollen. Doch sein Verhalten sei nicht klug gewesen, sagt die Journalistin. Ein Entschließungsantrag habe im Grunde keine Wirkung. "War es das wert, den mit den Stimmen der AfD abzuschließen? Ich glaube nicht", so Wöhr weiter.

Falsch sei, dass die Ampel-Regierung in den letzten drei Jahren nichts getan habe. Außenministerin Annalena Baerbock und Innenministerin Nancy Faeser seien an der Vereinbarung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems beteiligt gewesen, so Habeck. "Es sind jede Menge Regeln verschärft worden. Trotzdem haben Sie recht: Die Regeldurchsetzung lässt zu wünschen übrig."

Sundermeyer erklärt Probleme bei der Abschiebung

Dafür gibt es viele Gründe. Das hat Autor und RBB-Reporter Olaf Sundermeyer herausgefunden. Sundermeyer erklärt, dass viele irreguläre Migranten nicht abgeschoben werden können, weil sie ihre Heimatländer nicht mehr aufnehmen. "Länder wie der Iran, Somalia oder Kamerun stellen gar keine Papiere aus." Auch nach Russland fänden keine Rückführungen statt, außer über Georgien. "Aber das lässt Georgien sich gut bezahlen. 3900 Euro für einen georgischen Sicherheitsbeamten, der so eine Abschiebung begleitet", sagt Sundermeyer. Er habe in der vergangenen Woche einen solchen Flug begleitet. Darin wurde ein tschetschenischer Straftäter aus Brandenburg nach Georgien geflogen. Er wurde von drei georgischen Sicherheitskräften begleitet. Auf diesem Weg werden jedes Jahr einige Dutzend russische Straftäter abgeschoben.

Sundermeyer hat für eine ARD-Dokumentation in einer Ausländerbehörde in Brandenburg recherchiert. Er berichtet, dass er erlebt habe, vor welchen Problemen die Mitarbeiter dort stehen. Sie könnten oft Menschen nicht auffinden, die abgeschoben werden sollen. Auch gebe es eine Warn-App, die kurz vor dem Start von Abschiebeflügen sogenannten "Deportationsalarm" auslösen würde. Sundermeyer sagt, so würden sich Ausreisepflichtige verstecken können, dann seien sie von der Ausländerbehörde nicht mehr zu erreichen. "Solche Fälle gibt es in sehr hoher Zahl, die dann in der Summe dazu führen, dass die Zahl der Abzuschiebenden so gering ist", sagt Sundermeyer.

Zudem, so sagt Sundermeyer, würden einige Asylbewerber, die nach dem Dublin-Abkommen bereits in ein anderes europäisches Land abgeschoben worden sind, nach Deutschland zurückkehren. "Die steigen in den nächsten Flixbus und sind am nächsten Nachmittag wieder hier", so Sundermeyer. "Dublin ist Irrsinn, das funktioniert überhaupt nicht." 72 Prozent der aus Brandenburg nach dem Dublin-Abkommen abgeschobenen abgelehnten Asylbewerber seien innerhalb von vier Wochen wieder in Deutschland. "Viel Personal, teilweise unter Zuhilfenahme der Landespolizei, fährt quer durch Europa. Tagelang sind die unterwegs, um jemanden zum Beispiel über die holländische Grenze zu bringen. Der geht zum nächsten Bahnhof und ist teilweise am selben Tag wieder in Berlin."

"Lösen Sie das Problem"

Das Dublin-System funktioniert offenbar nicht. Das sei seit 2015 bekannt, sagt Habeck. Darum soll es durch ein neues System ersetzt werden, das GEAS, das "Gemeinsame Europäische Asylsystem". Daran hatte die Ampel-Regierung einen großen Anteil. Es sieht Kontrollen an den EU-Außengrenzen vor. Dabei werden auch biometrische Daten der Asylbewerber erfasst. Wer asylberechtigt ist, wird auf die einzelnen europäischen Länder verteilt. Die Herausforderung: Alle europäischen Länder müssen dieses Verfahren in nationales Recht umsetzen. Das dauert. Beobachter gehen davon aus, dass die Asylgesetze frühestens im kommenden Jahr umgesetzt werden können.

Habeck würde über die Umsetzung des europäischen Vorhabens in deutsches Recht gerne noch vor der Bundestagswahl abstimmen lassen. Allerdings ist das GEAS auch bei den Grünen umstritten. Im Europaparlament haben sie es abgelehnt und auch in Deutschland sind nicht alle damit einverstanden. Kritikpunkte sind vor allem die mögliche Verletzung von Menschenrechten sowie die hohen Kosten. Sundermeyer appelliert daher an Habeck: "Lösen Sie das Problem." Damit meint er jedoch nicht nur den Grünen-Politiker. Sein Appell richtet sich an alle demokratischen Parteien.

Quelle: ntv.de

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