Abstimmung über neue Asylregeln Dies ist die wichtigste Europa-Entscheidung des Jahres
10.04.2024, 11:45 Uhr Artikel anhören
Es waren langwierige Verhandlungen im vergangenen Jahr, doch am Ende stand doch noch eine Einigung. Die Staaten der EU einigten sich auf neue, gemeinsame Asylregeln. Jetzt ist das Gesetz im Europaparlament angekommen. Die Abstimmung hat gewaltige Tragweite für die Europawahl im Juni.
Wenn das Europaparlament am heutigen Mittwochnachmittag abschließend über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) abstimmt, ist das die vielleicht wichtigste Entscheidung vor der Europawahl am 9. Juni. Spätestens seit dem vergangenen Jahr bestimmt die irreguläre Zuwanderung die Schlagzeilen, Landräte und Bürgermeister klagen über die hohe Belastung. All das dürfte entscheidend zu den hohen Umfragewerten der AfD beigetragen haben.
Zwar wird vor dem Wahltermin vom neuen Asylsystem noch nichts zu spüren sein, doch zumindest gäbe es den Parteien der Mitte die Möglichkeit, auf die dann beschlossenen Pläne zu verweisen. Ein Scheitern im Europaparlament wäre dagegen Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten in Deutschland und anderen Ländern.
Worum geht es?
Nach jahrelangem Streit will die EU damit die Lehren aus den Jahren 2015 und 2016 ziehen, als mehr als eine Million Menschen alleine nach Deutschland kamen. Im Kern geht es bei den Gesetzestexten um schärfere Asylregeln. Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland sollen entlastet werden. Die Asylagentur der Europäischen Union hatte im vergangenen Jahr rund 1,1 Millionen Anträge verzeichnet, den höchsten Wert seit 2016. Mit rund 330.000 entfiel ein Drittel dieser Anträge auf Deutschland.
Was ist an Europas Außengrenzen vorgesehen?
Erstmals soll es dort Asylverfahren geben, um Migranten mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise zu hindern. Dies betrifft etwa Menschen aus Marokko, Tunesien oder Bangladesch, die eine höchstens 20-prozentige Anerkennungsquote in der EU haben.
In Grenzverfahren behandelt werden sollen zudem Fälle von Migranten, die als Sicherheitsgefahr eingestuft werden, oder welche die Behörden in die Irre geführt haben, etwa mit einem falschen Pass. Betroffene sollen einen kostenlosen Rechtsbeistand erhalten.
Was passiert bei den Grenzverfahren?
Die Migranten sollen in Grenznähe festgehalten und von dort aus direkt abgeschoben werden können. Juristisch werden sie als nicht in die EU eingereist betrachtet. Das Asylverfahren und die Rückführung sollen im Regelfall bis zu zwölf Wochen dauern. Die Mitgliedsländer wollen zunächst 30.000 Plätze in Grenzlagern schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000 sein.
Warum war dies umstritten?
Die Bundesregierung und insbesondere die Grünen in der "Ampel" wollten neben unbegleiteten Minderjährigen auch Familien mit Kindern von den Grenzverfahren ausnehmen. Dies scheiterte jedoch. Auf Druck des EU-Parlaments sollen Familien mit Kindern aber als letzte in die Grenzverfahren kommen, ihre Anträge als erste bearbeitet werden und sie "geeignete Aufnahmebedingungen" vorfinden. Die EU-Asylagentur mit Sitz in Malta soll dies überwachen.
Wo soll es noch Asylverfahren geben?
Die Mitgliedsländer können Asylbewerber künftig in "sichere Drittstaaten" wie Tunesien oder Albanien zurückschicken. Voraussetzung ist, dass Migranten eine Verbindung zu dem Drittstaat haben, etwa durch Angehörige. Eine Durchreise reicht nicht aus. Eine EU-Liste sicherer Länder gibt es bisher nicht, sie soll aber erarbeitet werden.
Was ist bei der Verteilung von Migranten geplant?
Auch künftig ist das Land der ersten Einreise in der Regel für einen Asylantrag zuständig. Es greift aber ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus. So will die EU jährlich mindestens 30.000 Migranten aus Italien oder Griechenland umverteilen.
Auf Deutschland kämen theoretisch rund 6600 Menschen pro Jahr zu. Allerdings können Vorjahresankünfte abgezogen werden. Staaten wie Ungarn können sich von einer Aufnahme zudem freikaufen, im Gespräch sind 20.000 Euro pro Kopf. Alternativ können sie Grenzbeamte entsenden oder Projekte in Drittländern finanzieren.
Was ist mit der Erfassung der Migranten?
Bislang kommen zahlreiche Menschen unregistriert in Deutschland an. Dies soll sich mit der Reform ändern. Grenzländer wie Italien oder Griechenland sollen biometrische Fingerabdrücke oder Fotos der Migranten in der Eurodac-Datenbank der EU registrieren.
Erstmals sind Kinder ab sechs Jahren davon betroffen, bisher galt 14 als Untergrenze. Wer ein "Sicherheitsrisiko" darstellt, soll speziell gekennzeichnet werden, vor allem bei Verbindungen zu "Terrorgruppen". Der Schnell-Check soll maximal sieben Tage dauern.
Was passiert bei Ankunft besonders vieler Geflüchteter?
Dies regelt eine Krisenverordnung. Auch Migranten mit bis zu 50-prozentiger Anerkennungsquote sollen dann die Grenzverfahren durchlaufen. Sie können dann sogar 18 statt 12 Wochen festgehalten werden.
Wenn Russland oder andere Drittländer bestimmte Geflüchtete "instrumentalisieren", müssen diese vollständig in Grenzverfahren behandelt werden. Das träfe derzeit auch Syrer oder Afghanen, die mit die höchsten Anerkennungschancen in Europa haben.
Wie geht es weiter?
Vor den Europawahlen am 9. Juni wollen die EU-Länder den Asylpakt noch formell billigen. Danach haben sie zwei Jahre Zeit zur Umsetzung. Im Sommer, wenn wieder besonders viele Migranten in Europa erwartet werden, würde die Reform noch nicht greifen.
Quelle: ntv.de, vpe/AFP