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Nord-Stream-Anschlag Eine solche Mission mit einer Jacht: Kann das wirklich sein?

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Aufgebockt auf einem ehemaligen NVA-Gelände auf der Rügener Landzunge Bug: Von diesem Schiff aus sollen angeblich die Nord-Stream-Pipelines gesprengt worden sein.

Aufgebockt auf einem ehemaligen NVA-Gelände auf der Rügener Landzunge Bug: Von diesem Schiff aus sollen angeblich die Nord-Stream-Pipelines gesprengt worden sein.

(Foto: RTL/ntv)

Sechs Personen, tonnenweise Sprengstoff und eine Segeljacht - jüngsten Medienberichten zufolge sind das die Zutaten für die Sprengungen an den Pipelines Nord Stream 1 und 2. Doch Zweifel sind angebracht.

Das Schiff, welches die sechs mutmaßlichen Täter zu den Pipelines Nord Stream 1 und 2 transportiert haben soll, hat eine spießige Inneneinrichtung. Wände, Schränke und Tisch sind aus hellem Holz, der Boden ist braun-weiß gestreift. Die "Andromeda" bietet wenig Luxus, dafür viel Platz. Und den brauchten die Täter auch - jedenfalls dann, wenn die Fakten, die unlängst von der ARD und der "Zeit" gemeldet wurden, wirklich stimmen.

Ihnen zufolge sollen mit dem Schiff zwei Taucher, zwei Tauchassistenten, eine Ärztin und ein Skipper über Rostock und Rügen auf die Ostsee gefahren sein. Dort sollen sie mit bis zu zwei Tonnen Sprengstoff die Pipelines gesprengt haben. In bis zu 80 Metern Tiefe. Das alles klingt wie ein spektakulärer Agententhriller.

Für viele zu spektakulär. Es gibt erhebliche Zweifel an der kürzlich veröffentlichten Geschichte. Zweifel hat auch Jens Höner. Der pensionierte Kampfschwimmer der Bundeswehr konnte sich zusammen mit Reportern von RTL und ntv das Schiff ansehen. Hält er die Abläufe für plausibel? "Meine persönliche Einschätzung ist: Nein, das ist nicht möglich", sagt Höner. Doch er gibt auch zu bedenken: "Theoretisch denkbar ist natürlich alles. Dann müssten das aber außergewöhnliche Leute gewesen sein. Ansonsten halte ich das für nicht durchführbar."

"Das halte ich für relativ unwahrscheinlich"

Zwei Tonnen Sprengstoff, Tauchequipment, sechs Personen und Proviant für einen Monat. Ganz schön viel für eine Jacht von 15 Meter Länge, die bis zu 11 Personen transportieren kann. Zu viel? Höner überlegt kurz und atmet laut aus.

"Von der Menge her bekomme ich das untergebracht. Die Frage ist eher, wie ich mit dem Material vor Ort arbeiten kann." Die Jacht ist eng, schon ohne zwei Tonnen Sprengstoff an Bord, der wahrscheinlich vor Ort zusammengesetzt und mit einem Zünder versetzt worden sein muss. "Dass alles so angewendet werden kann, wie es vorgesehen ist, das halte ich für relativ unwahrscheinlich", sagt der ehemalige Kampfschwimmer.

Seit Monaten rätselt die Öffentlichkeit in Deutschland und anderen Ländern darüber, wer für die Explosionen an den Pipelines verantwortlich sein könnte. Im März folgten dann die Enthüllungen rund um die "Andromeda".

BKA war drei Tage an Bord

Von der Bundesanwaltschaft hieß es dazu lediglich, dass sie im Januar ein Schiff durchsuchen ließ, und zwar "im Zusammenhang mit einer verdächtigen Schiffsanmietung". Es bestehe der Verdacht, dass das Schiff zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sei, die am 26. September 2022 an den Pipelines explodiert waren.

"Aus Sicht der Tarnung ist die Wahl der 'Andromeda' nicht schlecht. Aber aus militärischer Sicht würde man so ein Schiff für eine solche Mission nicht einsetzen. Ein Segelboot ist einfach unhandlich", kommentiert Höner.

Die "Andromeda" liegt aktuell auf dem Trockenen. Die Segeljacht steht auf dem Gelände eines ausrangierten Militärhafens. Seetüchtig ist sie derzeit nicht. Der Grund dafür sind die Ermittlungen des Bundeskriminalamtes (BKA). Nach Informationen von RTL und ntv war das BKA im Januar drei Tage auf dem Schiff, um Spuren zu sichern. Dabei entdeckten sie wohl auch Sprengstoffrückstände auf dem Tisch im Inneren der Jacht. Dass die Spuren noch nachweisbar waren, liegt vermutlich daran, dass die Jacht nach der mutmaßlichen Sabotagefahrt nicht mehr vermietet wurde. Es gab keine Buchungsanfragen.

Sprengstoff in Tüten

Doch warum fanden die Ermittler nur Spuren auf dem Tisch? Und nicht auf dem ganzen Schiff, das bei einer mutmaßlichen Menge von bis zu zwei Tonnen Sprengstoff wohl bis unters Dach beladen gewesen sein muss? Das könnte Höner zufolge daran liegen, dass der Sprengstoff in Tüten verpackt gewesen sein dürfte. Erst am Tisch habe man ihn dann zusammengesetzt. Die Frage sei eher, wie man die Sprengladung vom Tisch auf das Deck bekommen habe. Der schmale Eingang ist höchstens einen Meter breit, eine steile Holztreppe führt hinaus. Das nächste Problem: Wie bekommt man den Sprengstoff ohne Kran ins Wasser und verhindert, dass er nicht sofort davontreibt?

Auf diesem Tisch fand das BKA Sprengstoffspuren.

Auf diesem Tisch fand das BKA Sprengstoffspuren.

(Foto: RTL/ntv)

Nach den Berichten von ARD und "Zeit" sollen vier Sprengladungen mit jeweils bis zu 500 Kilo Sprengstoff verwendet worden sein. Für Höner wären auch sogenannte Grundminen denkbar. Diese sind vom Militär extra für solche Einsätze konzipiert worden - und würden bedeuten, dass die mutmaßlichen Täter Unterstützung eines staatlichen Akteurs gehabt haben müssen. Und: dass ein zweites Schiff diese an den Ort gebracht und ins Wasser gelassen haben muss.

Die Sache mit dem Tanker

Für Verwirrung und Spekulationen sorgte zudem ein Tanker, der zum mutmaßliche Tatzeitpunkt in dem Seegebiet umherfuhr - ohne erkennbaren Grund. Der dänische Datenanalyst Oliver Alexander hatte auf den Tanker bereits vor Bekanntwerden der jüngsten Berichte hingewiesen. Wenn die Jacht aus Rostock den Sprengstoff dort platziert hätte, dann müssten die beiden Schiffe zwischenzeitlich vielleicht sogar in Sichtweite gefahren sein. Alexander bringt eine mögliche Mittäterschaft der "Minerva Julie" ins Spiel, die bislang allerdings nicht bestätigt werden kann.

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Kampfschwimmer Höner hält eine Zwei-Boot-Theorie für möglich - mit Einschränkungen: "Sinnvoll wäre es, wenn das zweite Boot die Sprengladungen gebracht hätte. Aber angeblich wurden ja Rückstände auf dem Segelboot gefunden." Höners Fazit: "Ich kann mir das alles nicht erklären."

Die für die "Minerva Julie" zuständige Reederei schreibt auf Anfrage von RTL und ntv, das "Treiben in einem Seegebiet in Erwartung von Fahrtaufträgen ist übliche Schifffahrtspraxis, und in diesem Fall gab es nichts Ungewöhnliches". Und weiter: "Minerva Marine Inc. stand und steht allen zuständigen Behörden bei allen Untersuchungen zur Verfügung und handelt stets auf legitime und transparente Weise." Transparent ist die Geschichte rund um die "Andromeda" allerdings noch lange nicht.

Quelle: ntv.de

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