Braun zu Nacht der langen Messer "Ich bin sicher, dass es nicht blutig wird"
16.11.2023, 07:31 Uhr Artikel anhören
Der frühere Kanzleramtsminister Helge Braun ist mittlerweile Vorsitzender des Haushaltsausschusses.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Haushaltspolitiker im Bundestag erwartet in der Nacht von Donnerstag auf Freitag ein "irrer Berg an Arbeit", wie der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, CDU-Politiker Helge Braun, sagt. In der Bereinigungssitzung, auch als "Nacht der langen Messer" bekannt, wird letzte Hand an den Bundeshaushalt gelegt. Dieses Jahr gibt es eine Änderung, weil das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes alles auf den Kopf stellt. So wird die abschließende Abstimmung nicht in der kommenden Nacht angestrebt - stattdessen soll eine Expertenanhörung in der kommenden Woche abgewartet werden. Der frühere Kanzleramtsminister erklärt die Folgen im Interview.
ntv.de: Herr Braun, heute Abend ist die Bereinigungssitzung für den Haushalt 2024. Das klingt trocken, aber man redet ja auch von der Nacht der langen Messer. Warum so blutig?
Helge Braun: Ich bin ziemlich sicher, dass es nicht blutig wird, trotzdem ist diese Bereinigungssitzung nach dem Verfassungsgerichtsurteil gestern natürlich eine besondere. Normalerweise ist der Hintergrund der Bereinigungssitzung ganz einfach: Wir gehen den Haushalt einmal komplett durch und schauen auf alle Fragen, die da auftauchen. Unser Land ist so dynamisch, dass auch in der letzten Minute noch Finanzierungslücken auftauchen können. Deshalb muss man ganz am Schluss noch einmal alle Bereiche ansehen, um letzte Änderungen vorzunehmen. Das ist ein irrer Berg an Arbeit. Allein die Bundesregierung hat -auch ohne neues Urteil- uns für die letzte Nacht 480 Seiten Änderungswünsche an die Hand gegeben. Ich denke, aus dem Parlament wird mindestens eine ähnliche Größenordnung kommen.
Es gibt keine Messer, aber irgendwann schreit man sich an?
Nein, wir hatten auch in den letzten Sitzungen keine schlechte Stimmung. Aber es ist eine Nacht der Entscheidungen. Es ist keine allgemeine Aussprache. Es geht am Ende um jede einzelne Position. Geld rauf, runter, ja, nein. Deswegen ist es eine sehr angespannte und konzentrierte Arbeitsweise. Beim letzten Mal hatten wir über 3000 Einzelabstimmungen in dieser einen Nacht. Ganz zum Schluss unterbrechen wir die Sitzung und dann rechnet das Finanzministerium noch einmal alles durch, damit klar ist, dass wir die Schuldenbremse eingehalten haben.
Die Sitzung steht im Schatten des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, das die Umwidmung von Corona-Krediten für den Klimaschutz verboten hat. 60 Milliarden Euro brechen der Ampel damit weg. Was heißt das für die Bereinigungssitzung?
Das Verfassungsgerichtsurteil ist sehr weitgehend. Es hat seine Entscheidung nicht nur damit begründet, dass man im neuen Jahr noch einmal in die Kasse des alten Jahres gegriffen hat. Es hat zwei weitere Punkte deutlich gemacht: Schulden müssen jährlich auf die Schuldenbremse angerechnet werden, auch wenn sie aus Sondervermögen kommen. Außerdem muss die Zweckbindung sehr viel genauer begründet werden. Neben dem Umstand, dass der Nachtragshaushalt für nichtig erklärt wurde, kommt noch hinzu, dass geprüft werden muss, wie und wann künftige Ausgaben aus schuldenfinanzierten Sondervermögen auf die Schuldenbremse angerechnet werden müssen.
Bricht Ihnen dadurch im aktuellen Haushalt etwas weg?
Das macht unsere Beratungen in der Tat schwierig. Nach langen Diskussionen im Haushaltsausschuss gehen wir heute in die Bereinigungssitzung und nächste Woche wird es eine Expertenanhörung geben. Dann werden wir schlauer: Ist es so, wie Olaf Scholz es in der Regierungsbefragung gesagt hat, dass es lediglich um den Wirtschaftsplan des Klima- und Transformationsfonds geht? Oder ist es so, dass auch die Finanzierung weiterer Schuldentöpfe durch das Urteil berührt werden? Dann wäre die Herausforderung wesentlich größer. Der Haushaltsausschuss steht im Zwiespalt, möglichst bis zum Jahresende einen Haushalt aufzustellen und nichts zu beschließen, was die Folgen des Urteils noch nicht berücksichtigt.
Das heißt zu den 480 Seiten Änderungswünschen kommt jetzt noch das große Fragezeichen, ob nun Klimaschutz-Vorhaben, die aus dem KTF finanziert werden sollten, aus dem Bundeshaushalt gestemmt werden?
Die Grundentscheidung der Regierung, den KTF zu sperren und die 60-Milliarden-Kreditermächtigung aus dem Nachtragshaushalt aus dem KTF herauszunehmen, den Haushalt ansonsten aber nicht neu zu priorisieren, bedeutet, dass genau die Dinge jetzt mit einem finanziellen Risiko behaftet sind, die im KTF stehen. Deshalb gibt es viel Kritik an der Klage und dem Urteil, aus Sorge um den Klimaschutz. Aber nur weil der Klimaschutz falsch finanziert wurde, darf der nicht automatisch der leidtragende Bereich sein. Das darf nicht die politische Antwort sein. Mit dem von der Bundesregierung gewählten Mittel können wir darauf nur teilweise reagieren.
Das Urteil kommt einen Tag vor der Bereinigungssitzung. Wie soll das so kurz vor knapp noch berücksichtigt werden?
Das muss sich jetzt zeigen. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht das Urteil gefällt, bevor die Haushaltsverhandlungen abgeschlossen sind. Sonst wären alle Fragen auf den nächsten Haushalt verschoben worden. Wir haben beschlossen, die abschließende Abstimmung nicht wie üblich in der Bereinigungssitzung, sondern erst eine Woche später nach der Anhörung durchzuführen. Ich hoffe, wir haben bis dahin mehr Klarheit über die juristischen Folgen des Urteils. Vorläufige Haushaltsführung durch Zeitverzug wäre schlecht, ein nicht verfassungsgemäßer Bundeshaushalt wäre schlechter.
Für die Lage wirken Sie überraschend entspannt.
Ich bin ja von Hause aus Notarzt und Intensivmediziner. Je schwieriger die Lage ist, desto ruhiger und konzentrierter muss man sie angehen.
Der Haushalt liegt also auf der Intensivstation?
Ausgabenvorstellungen der Regierung in dreistelliger Milliardenhöhe stehen infrage. Das ist eine grundlegende Zäsur für die Regierung und das, was sie sich vorgenommen hat. Deswegen ist das eine sehr, sehr ernste Lage.
Es wäre auch ohne das Urteil keine leichte Sitzung geworden. Das Bürgergeld wird um 3,3 Milliarden Euro teurer, die Ukraine-Hilfen sollen um vier Milliarden Euro steigen. Wo soll das Geld nun herkommen?
Das Problem ist eben, dass schon der Finanzminister im Haushalt an vielen Stellen überreizt hat. Alle möglichen haushaltstechnischen Verschiebebahnhöfe wurden bereits genutzt. Jetzt muss man wirklich ernsthaft über Prioritäten und Notwendigkeiten reden. Dass man die Unterstützung der Ukraine nicht hintanstellen kann, ist klar. Aber dann muss die Regierung klären, was stattdessen gestrichen wird.
Da bleibt ja nichts anderes, als die Pläne zusammenzustreichen. Steuererhöhungen macht die FDP nicht mit. Schuldenbremse aussetzen geht nicht. Für eine theoretisch denkbare Abschaffung der Schuldenbremse gibt es keine Mehrheit.
Das meine ich mit Prioritäten setzen, ja.
Kanzlerin Angela Merkel, dessen Kanzleramtsminister sie waren, war ja bekannt dafür, vor wichtigen Sitzungen vorzuschlafen. Werden Sie das auch tun?
Das hätte ich gemacht, wenn es das Urteil nicht gegeben hätte. Aber angesichts der dynamischen Lage könnte das schwierig werden. Es sind so viele Fragen offen, da muss noch sehr viel gesprochen werden.
Mit Helge Braun sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de