Politik

Seenotrettung endet Flüchtlinge sollen wieder ertrinken

Aufgegriffene Flüchtlinge auf einem Schiff der italienischen Marine. Italien will die Seenotrettung beenden.

Aufgegriffene Flüchtlinge auf einem Schiff der italienischen Marine. Italien will die Seenotrettung beenden.

(Foto: REUTERS)

Ein Jahr lang hat sich Italien darum bemüht, Menschen im Mittelmeer das Leben zu retten. 150.000 Flüchtlinge wurden aufgegriffen. Damit ist es nun vorbei.

Die Flüchtlingssaison geht zu Ende, in den Wintermonaten versuchen in der Regel weit weniger Menschen, das Mittelmeer gen Europa zu überqueren. Und so ist es möglich, dass der neue Umgang mit Flüchtlingen erst einmal wenig Aufmerksamkeit erregt. Spätestens im Sommer aber, wenn sich die Menschen aus Syrien und Eritrea wieder aufs Wasser wagen, wird die neue EU-Mission im Mittelmeer Tausende das Leben kosten.

Von Frontex registrierte Grenzübertritte in die EU. Quelle: Frontex, http://frontex.europa.eu/assets/Publications/Risk_Analysis/FRAN_Q2_2014.pdf

Von Frontex registrierte Grenzübertritte in die EU. Quelle: Frontex, http://frontex.europa.eu/assets/Publications/Risk_Analysis/FRAN_Q2_2014.pdf

Denn die italienische Marine zieht sich von der libyschen Küste zurück, wo sie in den vergangenen 12 Monaten bereitstand, um in Seenot geratene Flüchtlinge zu retten. Bis zu 150.000 Menschen verdanken der italienischen Mission "Mare Nostrum" ("Unser Meer") ihr Leben. Die EU-Mission "Triton", die an diesem Samstag auf "Mare Nostrum" folgt, wird das nicht leisten können.

Keine Suche nach Flüchtlingen mehr

Nach der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa, bei der Anfang Oktober 2013 rund 400 Menschen starben, hatten die Italiener ihre Vorgehensweise geändert. Sie schickten ihre Schiffe überall hin, wo sie Flüchtlingsboote vermuteten. Ein großes Unglück gab es seitdem nicht mehr, die vielen kleinen Unglücke blieben unter der Aufmerksamkeitsschwelle. Die Zahl von 3200 Toten in den ersten 9 Monaten des Jahres 2014 gilt als Erfolgsbilanz.

Am 31. Oktober endete die italienische Mission aber. Das Flüchtlingsproblem liegt nun wieder in den Händen der EU. Genauer: in den Händen der Grenzschutzagentur Frontex. Und die ist angewiesen, sich mit ihren Schiffen nicht weiter als 30 Seemeilen, also knapp 56 Kilometer von der italienischen Küste zu entfernen. So weit schaffen es viele Flüchtlingsboote gar nicht, die libysche Küste ist knapp 160 Seemeilen von der italienischen Insel Lampedusa entfernt.

Abschottung statt Seenotrettung

Flüchtingsströme nach Regionen. Zuletzt kamen Menschen vor allem über das zentrale Mittelmeer. Quelle: Frontex, http://frontex.europa.eu/assets/Publications/Risk_Analysis/FRAN_Q2_2014.pdf

Flüchtingsströme nach Regionen. Zuletzt kamen Menschen vor allem über das zentrale Mittelmeer. Quelle: Frontex, http://frontex.europa.eu/assets/Publications/Risk_Analysis/FRAN_Q2_2014.pdf

Statt 9 Millionen Euro pro Monat, die Italien für "Mare Nostrum" ausgab, hat die EU monatlich weniger als 3 Millionen Euro für "Triton" eingeplant. Um überhaupt arbeiten zu können, braucht Triton außerdem weitere Schiffe von den EU-Mitgliedstaaten. Die bisherigen Zusagen reichten nicht aus, hieß es noch vor wenigen Tagen. Starten soll die Mission trotzdem.

Dass "Triton" am 1. November startet, genau einen Tag, nachdem "Mare Nostrum" eingestellt wurde, erweckt den Anschein, dass die eine Mission die Aufgaben der anderen übernimmt. Doch das ist nicht der Fall. "Frontex ist für die Überwachung der Grenzen zuständig und hat nicht den Auftrag, Flüchtlinge zu retten", sagt Frontex-Chef Gil Fernández. Zwar wird auch Frontex Menschen in Seenot helfen, wenn sie es bis in die Küstengewässer schaffen. Nach gefährdeten Flüchtlingsbooten suchen wird Frontex aber selbst in dieser Zone nicht.

"Mare Nostrum" scheitert an eigenem Erfolg

Die vollmundigen Versprechen, so etwas wie die Lampedusa-Katastrophe dürfe nicht mehr passieren, sind nach einem Jahr schon wieder vergessen. Die Grünen-Politikerin Ska Keller spricht von einem "Todesurteil für viele Flüchtlinge", Pro Asyl will mit einer E-Mail-Aktion das Europaparlament dazu bringen, "legale gefahrenfreie Wege für Flüchtlinge" zu schaffen.

Dass die EU "Mare Nostrum" nicht einfach fortsetzt, hängt wohl auch mit dem Erfolg der Mission zusammen. 150.000 aufgegriffene Flüchtlinge sind eine beeindruckende Zahl, sie müssen aber in Europa auch irgendwo aufgenommen werden. Zudem liegt der Verdacht nahe, dass Schlepperbanden die veränderte Situation ausnutzten. Von April bis Juni 2014 kamen 50.000 Menschen über den von "Mare Nostrum" geschützten Teil des Mittelmeers – so viele wie nie zuvor in einem Dreimonatszeitraum. Das mag zum einen mit der schlimmen Situation in Syrien zu tun haben, von wo aus viele Menschen kommen. Es ist aber sicher auch eine Reaktion auf die höhere Erfolgschance, Europa zu erreichen. Die Boote der Schlepper seien noch schlechter und noch überladener geworden, sagt Karl Kopp von Pro Asyl. Es gehörte in den vergangenen Monaten offenbar zu ihrem Plan, früh in Seenot zu geraten und sich dann retten lassen kann. EU und Schlepperbanden seien in ihrem Kalkül gleichermaßen zynisch, sagt Kopp.

Quelle: ntv.de

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