Innenminister legt Asylstatistik vor Große Ungewissheit trotz harter Zahlen
08.04.2016, 12:35 Uhr
Innenminister de Maizière und Bamf-Chef Weise geben sich vorsichtig optimistisch.
(Foto: dpa)
Innenminister Thomas de Maizière weiß: Viele Menschen in Deutschland warten sehnsüchtig auf eine Prognose der Flüchtlingszahlen für das Jahr. Die Kommunen wünschen sich Planungssicherheit, die Bürger sind nach den turbulenten Zeiten, die das Land hinter sich hat, neugierig oder besorgt. Doch nach der Auswertung der Asylstatistiken des ersten Quartals 2016 will der CDU-Politiker diese Vorhersage noch nicht liefern. Keine Jahresprognose heute und auch nicht in den nächsten Wochen, sagt er. Obwohl es Grund für Optimismus gibt, sind die Unsicherheiten einfach noch zu groß. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Flüchtlingskrise.
Wie viele Flüchtlinge sind im ersten Quartal nach Deutschland gekommen?
Im Januar kamen rund 90.000 Menschen an, im Februar waren es 60.000 und im März 20.000 Personen. Zumindest laut der sogenannten Easy-Statistik. Das Erfassungssystem ist allerdings fehleranfällig, unter anderem, weil es Doppelregistrierungen zulässt. Klar ist aber: Es werden immer weniger Flüchtlinge. Im Dezember 2015 lag die Zahl noch bei rund 120.000.
Woher kamen die Menschen?
Die meisten neuen Flüchtlinge stammen aus Syrien (66.487). Darauf folgen Menschen aus dem Irak (33.544) und aus Afghanistan (32.287). Die Zahlen von Flüchtlingen aus anderen Ländern - seien es nun Staaten wie der Iran oder Pakistan, die Balkan- oder die Maghrebländer - sind deutlich geringer.
Kommt das Bamf mit der Bearbeitung der Anträge hinterher?
Ja. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im ersten Quartal rund 150.000 Asylentscheide gefällt. Im selben Zeitraum des Vorjahres waren es nur 58.000 Bescheide. Mehr als 60 Prozent der Flüchtlinge wurden dabei anerkannt. Zwar ist die Bearbeitungszeit im Durchschnitt von fünf auf sechs Monate gestiegen, doch liegt das laut dem Leiter des Bamf, Frank-Jürgen Weise, daran, dass das Bundesamt jetzt auch in der Lage ist, viele Altfälle mit sehr langer Verfahrensdauer abzuarbeiten. Diese schlagen sich negativ auf die Statistik nieder. Bei Neuankömmlingen liegt die Bearbeitungszeit Weise zufolge im Schnitt unter der Zielmarke von drei Monaten.
Stellt Deutschland die Kontrollen an der Grenze zu Österreich bald wieder ein?
Danach sieht es zumindest aus. De Maizière hat diesen Schritt bereits in einem Interview mit dem ORF angekündigt. Das führte zwar zum lautstarken Widerstand aus der CSU. Und auch Kanzlerin Angela Merkel war über das Interview angeblich nicht glücklich, weil der Vorstoß nicht mit den Chefs der Regierungsparteien und Bundesländern abgestimmt war. Doch de Maizière sagt jetzt selbstbewusst, dass es nun mal der Innenminister sei, der diese Entscheidung zu treffen habe. Um den gerade erst beigelegten Streit nicht neu zu entfachten, fügt er sicherheitshalber hinzu: "Diese Entscheidung werde ich selbstverständlich mit den Bundesländern und insbesondere mit dem hauptbetroffenen Bundesland besprechen." De Maizière beruft sich vor allem darauf, dass EU-Staaten die Schengen-Regeln nur vorübergehend aufheben dürfen. Da am Tag kaum 200 neue Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sind die innereuropäischen Kontrollen für ihn nur noch schwer zu rechtfertigen.
Ist der Rückgang der Flüchtlingszahlen das Verdienst der Bundesregierung?
Jein. Die Hauptursache ist sicherlich, dass die Staaten im Südosten Europas die Balkan-Route geschlossen haben. Doch es gibt auch Faktoren, die durchaus auf die Asylpolitik Berlins zurückzuführen sind. Innenminister de Maizière verweist darauf, dass immer weniger Flüchtlinge aus den Balkan-Staaten kommen. Im ersten Quartal 2015 machten diese rund 60 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland aus, jetzt sind es nur noch 5 Prozent. Berlin hat, begleitet von einer Abschreckungskampagne für Wirtschaftsflüchtlinge, im vergangenen Jahr mehrere Balkan-Staaten zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt und versprochen, Menschen aus diesen Ländern schnell wieder abzuschieben.
Schiebt die Bundesregierung konsequent ab?
Die Zahlen der Abschiebungen steigen zumindest. Im ersten Quartal wurden rund 4500 Menschen in ihre Heimat zurückgebracht - mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Auch die Zahl der Menschen ohne Aussicht auf Asyl, die freiwillig wieder in ihre Heimat gehen, ist deutlich gestiegen.
Hält der Trend an?
Das hängt von vielen Faktoren ab. "Wir wissen nicht, wie das EU-Türkei-Abkommen langfristig wirkt", sagt Innenminister de Maizière. Zudem sei unbekannt, ob sich neue Fluchtrouten, zum Beispiel über Libyen nach Italien entwickeln. Berichten zufolge warten in Libyen bereits bis zu 200.000 Menschen auf die Überfahrt. De Maizière sagt dann auch, dass bisher kaum Ausweichbewegungen syrischer Flüchtlinge wegen des Türkei-Deals festzustellen seien, dass es wahrscheinlich aber sehr viele afrikanische Flüchtlinge gebe, die sich nach einem Leben in Europa sehnten. "Ich halte diese Schätzung eher für zu niedrig begriffen", so de Maizière. Doch der CDU-Politiker hat schon schlechte Erfahrungen mit Prognosen gemacht. Als diese im vergangenen Jahr immer wieder nach oben korrigiert werden mussten, hagelte es Kritik. Und so fügt de Maizière prompt hinzu, dass man in Zeiten wie diesen aus aufbordendem Optimismus heraus wohl nur zu niedrige oder aus Angst viel zu hohe Prognosen abgeben könne. Sehr vorsichtig reagiert de Maizière auch auf die Frage, für wie viele Flüchtlinge die Bundesrepublik nach den Anstrengungen der vergangenen Monate nun gewappnet sei. Auf keinen Fall will er den Eindruck hinterlassen, dass es eine Obergrenze gebe. Er weicht aus und sagt: "Das hängt von den Standards ab." Dann bezeichnet er das "Leistungsvermögen" ziemlich unbestimmt als "hoch".
Quelle: ntv.de