Politik

Grün-schwarzer Stotterstart Hauptsache durch

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Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg gilt als Modellprojekt für den Bund. Doch schon der Auftakt verläuft nicht ohne Schönheitsfehler. Das bekommt vor allem Ministerpräsident Kretschmann zu spüren.

Um kurz nach zwölf ist es geschafft. "Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe", sagt Winfried Kretschmann und hebt die rechte Hand zum Eid. Der erste grüne Ministerpräsident bleibt für fünf weitere Jahre im Amt. Gleich im ersten Wahlgang holte er die nötige Mehrheit. Doch so ganz geräuschlos verlief der Start für Grün-Schwarz in Baden-Württemberg nicht.

Um neun Uhr am Donnerstagmorgen kommen die CDU-Abgeordneten in ihrem Fraktionssaal noch einmal zusammen. Die Atmosphäre ist angespannt. Bei der Probeabstimmung am Dienstag hatte es einen Eklat gegeben. 13 Abgeordnete verweigerten Kretschmann die Zustimmung. Ein Denkzettel für den umstrittenen CDU-Landeschef Thomas Strobl oder für den grünen Amtsinhaber – beides ist denkbar. Nach der Abstimmung verließ Strobl vorzeitig wutentbrannt den Raum. War es nur ein reinigendes Gewitter oder würde Grün-Schwarz platzen, bevor es richtig losginge?

Zwei Tage später beim Zählappell schwört die Fraktionsführung die Abgeordneten auf die Wahl ein. Auch Strobl, der designierte neue Innenminister, ist da. Für seinen Abgang am Dienstag habe Strobl sich "einfühlsam entschuldigt", sagt CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart später. Kretschmann nimmt ebenfalls an der Sitzung teil. Doch er erhält nur verhaltenen Applaus, heißt es. Nach der Sitzung sagt Strobl zu Journalisten: "Alles wird gut."

Kretschmann braucht mindestens 72 Stimmen

Viertel vor elf, 15 Minuten vor dem Beginn der Wahl: Das Plenum im frisch renovierten Stuttgarter Landtag füllt sich. Oben auf den Besuchersitzen ist kaum noch ein Platz frei. Unter den Zuschauern: Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer und Thomas Strobl. Beide blicken auf Kretschmann hinunter. Noch sitzt er in der ersten Reihe der Grünen-Abgeordneten, die Regierungsbänke sind leer. Der Regierungschef ist schließlich noch nicht gewählt, seine Minister noch nicht vereidigt. Eine Mehrheit im ersten Wahlgang ist das Ziel, aber vor allem die Grünen wollen sich einen Krimi möglichst ersparen.

Wie es sich anfühlt, wenn es im ersten Durchlauf nicht gelingt, wissen sie auch in der CDU. Der amtierende Ministerpräsident Erwin Teufel fiel 1996 im ersten Wahlgang durch und wurde erst im zweiten zum Regierungschef der schwarz-gelben Koalition gewählt. Sechs Abgeordnete der rechten Republikaner behaupteten später, für Teufel gestimmt zu haben. Bei Kretschmann lief es 2011 auf Anhieb rund. Im ersten Durchgang erhielt er sogar mindestens zwei Stimmen aus der Opposition. Fünf Jahre später verfügt die geplante grün-schwarze Regierung eigentlich über eine komfortable Mehrheit von 89 der insgesamt 143 Sitze. Kretschmann braucht 72 Stimmen.

Die Abstimmung läuft jetzt. AfD-Fraktionschef Jörg Meuthen kündigt derweil vor dem Plenarsaal an, dass seine Abgeordneten geschlossen mit Nein stimmen werden. Ob Kretschmann auf Stimmen von der FDP hoffen kann? "Ich nehme an, keine", sagt Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Sein CDU-Kollege Reinhart sichert Kretschmann die Unterstützung zu, ohne Nein-Stimmen. Der Ministerpräsident "kann auf uns zählen, muss aber auch mit uns rechnen", so Reinhart. Versehentlich spricht er zunächst von Schwarz-Grün und korrigiert sich dann.

Phantomschmerzen und weiße Blumen

Um 11.40 Uhr verkündet Landtagspräsidentin Muhterem Aras das Ergebnis: 82 Ja-Stimmen, 57 Mal Nein, eine Enthaltung. Die Anspannung weicht aus Kretschmanns Gesicht. Strahlend winkt er in Richtung Besuchertribüne. Parteikollegen und andere Abgeordnete gratulieren. Kurze Zeit später wird es formell und feierlich. Kretschmann schwört den Eid. "Ansonsten ist es ja so, dass Männer den Frauen Blumen überreichen", sagt die Parlamentspräsidentin und drückt ihm lachend einen weißen Strauß in die Hand.

Eine derbe Schlappe bleibt Kretschmann, dem beliebtesten Politiker Deutschlands, gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit zwar erspart. Aber gut ist das Ergebnis nicht. Eine Abgeordnete aus den Reihen der Koalitionsparteien fehlte krankheitsbedingt. Mutmaßlich haben sechs Parlamentarier, wahrscheinlich aus den Reihen der CDU, Kretschmann die Stimme verweigert. Ein mäßiger Start für das Bündnis, dem auch im Hinblick auf die Bundestagswahl eine große Symbolkraft bescheinigt wird. Alles andere als eine vertrauensbildende Maßnahme zwischen den Neu-Koalitionären.

Falls sich Kretschmann darüber ärgert, kann er das ganz gut verbergen. Als er nach seiner Vereidigung die ersten Interviews gibt, wirkt er gelassen. "Ich bin zufrieden, dass ich es gleich im ersten Wahlgang geschafft habe, es gab ja einige Turbulenzen", sagt der Grüne. Er wolle nun versuchen, diejenigen, die ihn nicht gewählt hätten, zu überzeugen. Der 67-Jährige spricht von "Phantomschmerzen", sagt, dass sich das "wieder geben" werde. Allerdings nur, "wenn wir verlässlich und vertrauensvoll zusammenarbeiten".

Nach der Mittagspause, um 14 Uhr, steht der alte und neue Ministerpräsident erstmals nach der Wahl auf dem Podium. Nüchtern und bürokratisch verliest er die Namen seiner Kabinettsmitglieder und die Änderungen in der Zuständigkeit der Ministerien. Regierungsalltag legt sich über den nervenaufreibenden Vormittag. Hauptsache durch. Nichts anderes zählt.

Quelle: ntv.de

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