
Die Pandemie verschärft sich gerade rapide, doch die "epidemische Notlage von nationaler Tragweite" soll auslaufen. Das sorgte im Bundestag für Streit.
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Dass die "epidemische Notlage von nationaler Tragweite" auslaufen soll, wirft Fragen auf. Darüber streiten Union und Ampel im Bundestag erbittert. Die mögliche künftige Regierung erklärt, warum die Notlage nicht vorbei ist und trotzdem ein neues Gesetz gebraucht wird.
Bei der ersten großen Debatte im Bundestag seit der Wahl im September ging es gleich hoch her. Die wohl künftige Ampel-Koalition stritt mit der Opposition über die richtigen Maßnahmen gegen die vierte Corona-Welle. Wie ernst die Lage ist, hatten am Morgen die Zahlen gezeigt. Mehr als 45.000 Neuinfektionen, eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 250 und immer mehr Hospitalisierungen und schwere Verläufe. Tags zuvor hatte der Virologe Christian Drosten gewarnt, im kommenden Winter drohten Deutschland 100.000 weitere Todesfälle.
Dass ausgerechnet in dieser Situation die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" auslaufen soll, wirft Fragen auf. Denn tatsächlich könnte Deutschland die schlimmste Phase der Pandemie bevorstehen. Genau darauf hob die Union ab, die die Redner von SPD, Grünen und FDP hart attackierte. "Das ist doch Realitätsverweigerung", schimpfte Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Er bezeichnete es als schweren Fehler die epidemische Lage auslaufen zu lassen.
Das leuchtet ein, wenn man das Ende dieser Lage als offizielles Ende der Pandemie begreift. Das wäre tatsächlich kurios angesichts der immer dramatischeren Situation. Doch so einfach ist die Sache nicht. Die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" ist lediglich die Gesetzesgrundlage, die es der Bundesregierung in den vergangenen 20 Monaten erlaubte, einschneidende Maßnahmen wie Lockdowns, Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen zu erlassen.
Göring-Eckardt: Es braucht Rechtssicherheit
Im Gesetz dazu heißt es, diese sei gegeben, wenn sich eine "bedrohliche übertragbare Krankheit über mehrere Länder in der Bundesrepublik Deutschland" auszubreiten droht oder dies bereits passiert. Genau das sei doch nach wie vor der Fall, wetterte Brinkhaus. Doch diese Frage ist bei Juristen umstritten. Denn bei mehr als zwei Dritteln voll Geimpfter ist fraglich, ob die Gefahr für die öffentliche Gesundheit noch da ist. Sie ist definitiv nicht mehr so groß wie noch vor einem Jahr, als noch niemand geimpft war.
Genau deswegen haben sich die SPD, Grüne und FDP entschieden, die "Lage" auslaufen zu lassen. Denn die muss alle drei Monate verlängert werden, was in den vergangenen Monaten immer wieder geschehen ist. Am 25. November soll damit Schluss sein. Ampel-Vertreter wie beispielsweise Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt betonten, dass es der möglichen neuen Regierung darum gehe, Maßnahmen zu ermöglichen, die dann nicht von Gerichten kassiert werden könnten. Es solle Rechtssicherheit herrschen - die nach ihrer Ansicht mit der epidemischen Lage nicht mehr gewährleistet wäre.
Wenn aber die Notlage ausläuft, muss eine neue gesetzliche Grundlage her. Den Entwurf legten SPD, Grüne und FDP nun vor. Die Inhalte waren bereits vor der Sitzung im Bundestag bekannt. So soll 3G am Arbeitsplatz kommen, ebenso sollen die Länder 2G einführen dürfen, wozu sie SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz auch ermutigte und nebenbei eine neue Ministerpräsidentenkonferenz für kommende Woche ankündigte. Hinzu kommt eine Testpflicht für Pflegekräfte in Altenheimen. Doch etwas fehlt: Die Möglichkeit zum Lockdown und zu Kontaktbeschränkungen ist nicht mehr vorgesehen.
Keine Lockdowns mehr möglich
Die Union hat also Recht, wenn sie kritisiert, es stünden weniger Mittel als zuvor zur Verfügung. So sagte Brinkhaus, die Rechte der Länder würden geschwächt und Handlungsoptionen beschnitten. Allerdings haben Unionspolitiker in den vergangenen Monaten stets betont, dass es sowieso nicht zu neuen Lockdowns kommen sollte. Und anderseits gehen die nun neu vorgesehen Maßnahmen über das hinaus, was bisher möglich war. Brinkhaus kritisierte das Gesetz als unzureichend. Göring-Eckardt forderte ihn dazu auf, konkrete Vorschläge zu machen und zeigte sich offen, diese einzuarbeiten. Da der Gesetzgebungsprozess gerade erst begonnen hat, wäre das theoretisch möglich.
Die Union argumentierte, ein Ende der pandemischen Notlage werde unweigerlich so wirken, als ob die Pandemie tatsächlich vorbei sei. Das sei "kommunikativ das völlig falsche Signal", sagte Brinkhaus. Genau das kritisierten ja schon Intensivmediziner wie Uwe Janssens, als Gesundheitsminister Jens Spahn, bekanntlich CDU-Mitglied, vor mehreren Wochen ebenfalls das Ende der Notlage gefordert hatte.
Die Ampel-Vertreter wiesen diese Sicht aber zurück. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann, sagte etwa, der Name des alten Pakets führe zu Missverständnissen und er habe den Eindruck, diese würden bewusst geschürt. "Wir ermöglichen den Ländern alles, was sie brauchen", versprach er. In manchen Bundesländern seien im vergangenen Winter 90 Prozent der Toten in Pflegeheimen zu beklagen gewesen, meinte er. Wer angesichts dieser Lage das alte Maßnahmenpaket besser finde, verkenne die Lage.
Die Frage, ob die geplanten neuen Instrumente ausreichen werden, ist offen - auch weil sich die Ampel nicht an die Impfpflicht in Pflegeheimen herangewagt hat. Weil sonst zu viele Pflegende den Job wechseln könnten, wie es hieß. Doch die große Mehrheit der Deutschen wäre damit einverstanden. Laut einer Forsa-Umfrage für das Trendbarometer von RTL und ntv sind es immerhin 73 Prozent. Göring-Eckardt berührte die Frage, sagte aber wie schon zuvor, dass diese erst in "vielen Wochen" wirkten. Der Diskussion könne man sich aber nicht entziehen. Die hat mit der ersten Lesung des Gesetzes begonnen. Schon am 19. November soll es endgültig in Kraft treten.
Quelle: ntv.de