Studie offenbart Versorgungslücken Jeder zweite Ältere stirbt im Krankenhaus
02.11.2015, 16:01 Uhr
In Regionen mit vielen Ärzten mit einer Zusatzqualifikation in Palliativmedizin, verbringen mehr Menschen ihre letzten Tage in den eigenen vier Wänden.
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Nur sechs Prozent der Deutschen möchten ihre letzte Lebensphase im Krankenhaus verbringen. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung aber zeigt: 46% der Älteren sterben in einer Klinik. Oft ist das medizinische und pflegerische Angebot vor Ort entscheidend.
Die meisten Menschen möchten ihren letzten Lebensabschnitt zu Hause verbringen, doch fast jeder zweite Ältere stirbt im Krankenhaus. Das zeigt der von der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh veröffentlichte "Faktencheck Gesundheit". In der Debatte über die Sterbehilfe würdigte Bundespräsident Joachim Gauck die Hospizbewegung. Durch deren Engagement werde manchem die Angst genommen, "aus der sonst der Ruf nach Sterbehilfe erwächst", sagte er.
Der Bertelsmann-Studie zufolge möchten nur sechs Prozent der Deutschen die letzten Tage im Krankenhaus verbringen und 76 Prozent lieber zu Hause. Doch nur jeder Fünfte (20 Prozent) beschließt sein Lebensende tatsächlich in den eigenen vier Wänden. Wie ein schwerkranker oder alter Mensch betreut wird und ob er im häuslichen Umfeld bleiben kann, entscheidet nicht zuletzt das medizinische und pflegerische Angebot vor Ort. In Regionen mit vielen niedergelassenen Ärzten, die eine Zusatzqualifikation im Bereich Palliativmedizin haben, verbringen laut Studie mehr Menschen ihre letzten Tage in den eigenen vier Wänden.

Gauck sagte, er sei dankbar für die Verbreitung der Hospizbewegung in Deutschland.
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In Baden-Württemberg zum Beispiel mit seiner gut ausgebauten ambulanten Versorgung sterben nur 41 Prozent der älteren Menschen im Krankenhaus. In Nordrhein-Westfalen, wo die Krankenhauskapazitäten hoch sind, verbringen hingegen 49 Prozent der Älteren ihre letzte Lebensphase in einer Klinik. Wäre in allen Bundesländern das regionale Versorgungsangebot vergleichbar organisiert wie in Baden-Württemberg, müssten der Studie zufolge "jährlich rund 37.000 Menschen weniger im Krankenhaus sterben".
Palliativ-Gesetz wird für Sterbende nichts verbessern
Die Menschen würden in den Krankenhäusern sterben, obwohl sie das nicht wollten, kritisierte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Auch das Hospiz- und Palliativ-Gesetz, das am Donnerstag im Bundestag verabschiedet werden soll, werde in seiner jetzigen Form für pflegebedürftig Sterbende nichts verbessern. Die Linken-Politikerin Birgit Wöllert kritisierte ebenfalls, die im Gesetz vorgesehenen 200 Millionen Euro seien für eine bedarfsgerechte Versorgung in allen Regionen des Landes bei weitem nicht ausreichend.
Gauck sagte bei einer Diskussionsveranstaltung in Berlin, er sei dankbar, dass die Hospizbewegung auch in Deutschland immer weitere Verbreitung finde. Er sei zudem froh, dass die Diskussionen über Palliativmedizin und über Suizidbeihilfe im Bundestag "mit so großer Nachdenklichkeit und so viel Verantwortungsbewusstsein geführt werden". Die Palliativmedizin ist darauf ausgerichtet, sterbenskranken Menschen die letzte Lebensphase zu erleichtern - etwa durch eine Schmerzbehandlung.
Kritik gegen Liberalisierung
Der Zentralrat der Juden wandte sich gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe. "Hilfe zur Selbsttötung darf nicht zum Regelangebot von Ärzten oder zur normalen Dienstleistung und damit zur Alternative der Sterbebegleitung werden", erklärte Zentralrats-Präsident Josef Schuster mit Blick auf die für Freitag im Bundestag geplante Abstimmung über eine mögliche neue Sterbehilferegelung. Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, appellierte an die Abgeordneten, die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid zu verbieten.
Über die Fraktionsgrenzen hinweg liegen vier Anträge zur Abstimmung vor, die von einem Verbot der Sterbehilfe bis zur weitgehenden Freigabe reichen. Es ist noch ungewiss, ob einer der Anträge die erforderliche Mehrheit erreicht.
Quelle: ntv.de, jki/AFP