Schutz vor Taliban Kanada will 20.000 Afghanen aufnehmen
14.08.2021, 10:54 Uhr
Tausende Menschen in Afghanistan müssen ihre Häuser und Wohnungen verlassen, um der Gewalt zu entkommen. Das Bild entstand in Kabul.
(Foto: picture alliance / AA)
Der Siegeszug der Taliban in Afghanistan bringt schutzlose Zivilisten in Gefahr: Viele Frauen, Aktivisten und Angehörige von Minderheiten fürchten um ihr Leben. Kanada will Tausende von ihnen einfliegen lassen. Aus dem deutschen Außenministerium kommt derweil die Warnung vor einem Anstieg der Flüchtlingszahlen.
Angesichts des Vormarschs der radikalislamischen Taliban hat Kanada die Aufnahme von bis zu 20.000 Flüchtlingen aus Afghanistan zugesagt. "Die Lage in Afghanistan ist herzzerreißend und Kanada wird nicht tatenlos zusehen", sagte Einwanderungsminister Marco Mendicino. Kanada wolle "besonders verletzliche" Afghanen aufnehmen, die sich noch im Land aufhielten oder in Nachbarländer geflohen seien.
Das Aufnahmeangebot richtet sich laut Mendicino insbesondere an Frauen in Führungspositionen, Regierungsmitarbeiter, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Angehöriger verfolgter Minderheiten. Einige Flugzeuge mit Asylsuchenden aus Afghanistan seien bereits gestartet. Auch Personal der kanadischen Botschaft in Kabul soll nach Regierungsangaben ausgeflogen werden. Dafür würden auch kanadische Spezialkräfte eingesetzt. Details wollte die Regierung wegen der schwierigen Sicherheitslage am Hindukusch nicht nennen.
"Der Schutz der kanadischen Botschaft und unserer Mitarbeiter ist unsere oberste Priorität", erklärte Außenminister Marc Garneau. Bei Twitter verwies er auf die Afghanen, denen sein Land "Dankbarkeit" schulde, und sicherte zu, dass Kanada seine "Bemühungen fortsetzt, sie in Sicherheit zu bringen". Seit Beginn des vollständigen Abzugs der NATO-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen acht Tagen nahmen die Islamisten rund die Hälfte der 34 afghanischen Provinzhauptstädte ein, darunter zuletzt auch die zweitgrößte Stadt Kandahar.
Derweil arbeiten Deutschland und andere westliche Staaten unter Hochdruck daran, Botschaftsmitarbeiter und Ortskräfte in Sicherheit zu bringen. Neben Deutschland kündigten auch andere europäische Länder wie Großbritannien und Spanien die Ausreise von Botschaftspersonal an. Die USA sagten das Ausfliegen Tausender Menschen täglich zu und veranlassten die Zerstörung sensiblen Materials in ihrer Botschaft in Kabul.
Roth: "Migrationsdruck" wird zunehmen
Bundesaußenminister Heiko Maas erklärte, die deutsche Botschaft solle "arbeitsfähig" bleiben, das Personal werde aber "auf das operativ notwendige absolute Minimum" reduziert. Dänemark und Norwegen kündigten die vorläufige Schließung ihrer diplomatischen Vertretungen in Kabul an. Die "ohnehin für diesen Monat vorgesehenen Charterflüge" für das diplomatische Personal werden laut Maas vorgezogen. Sie sollen auch afghanische Ortskräfte nach Deutschland bringen.
Die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann kritisiert die Bundesregierung scharf für ihren Umgang mit afghanischen Ortskräften. Die FDP-Politikerin sagte dem Nachrichtenportal "Watson", es sei "von der Bundesregierung respektlos, dass man sich jetzt dafür lobt, eine Lösung hierfür zu diskutieren, nachdem der Abzug der Bundeswehr bereits seit so langer Zeit bekannt war".
Auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert die Aufnahme von Menschen aus Afghanistan und warnt vor einer Wiederholung von Versäumnissen wie während des syrischen Bürgerkriegs. Die europäischen Länder seien damals auf fatale Weise unvorbereitet gewesen, dass Menschen in so einer dramatischen Situation ihr Land verlassen müssten, sagte Baerbock in einem Interview des Deutschlandfunks. Man dürfe nicht warten, bis sich alle 27 EU-Länder dazu entschließen. Vielmehr müsse man sich mit den europäischen Ländern zusammenschließen, die dazu bereit seien. Grünen-Co-Chef Robert Habeck forderte in der "Süddeutschen Zeitung" zudem "eine Luftbrücke, um diese Menschen aus Lebensgefahr zu bringen". Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte zuvor eine erleichterte Einreise für die afghanischen Ortskräfte zugesagt.
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth, warnte unterdessen vor einem starken Anstieg der Zahl afghanischer Flüchtlinge, mit dem auch Deutschland konfrontiert sein werde. Er sei "sicher, dass der Migrationsdruck auf die EU und Deutschland" zunehmen werde, sagte der SPD-Politiker der "Rheinischen Post".
Quelle: ntv.de, mbe/AFP/rts