Helfer geben UN Mitschuld an Leid Kein Geld für Syriens Kinder
12.03.2015, 07:56 Uhr
Mehr als fünf Millionen syrische Kinder brauchen Hilfe, nur ein Teil von ihnen bekommt sie auch.
(Foto: REUTERS)
Die Zahl der Opfer im syrischen Bürgerkrieg steigt ständig. Das Hilfswerk Unicef bekommt jedoch kaum Geld, um Millionen vertriebenen und traumatisierten Kindern zu helfen. Andere Organisationen geben der UN Mitschuld am Leid.
Es gibt Tage, da schlagen Leid und Elend wie eine Welle über Hanaa Singer zusammen. Wenn das passiert, besucht die Leiterin der Operation des UN-Kinderhilfswerks Unicef in Damaskus am liebsten eine Schule. "Ich sehe mir diese Kinder an, die alle schon fürchterliche Gewalt erlebt haben. Ich sehe, wie sie trotzdem unbedingt lernen wollen, das gibt mir Kraft für meine Arbeit", sagt Singer.
Vier Jahre nach Beginn des Aufstandes gegen Präsident Baschar al-Assad ist ein Viertel aller syrischen Schulen zerstört. Eine Generation von teilweise schwer traumatisierten Kindern wächst heran. "Wenn wir diese jungen Menschen jetzt nicht retten, dann können sie von verschiedenen Gruppen manipuliert und benutzt werden", warnt Singer. Sie ist diese Woche in Berlin, um auf die großen Finanzierungslücken von Unicef in Syrien hinzuweisen.
"Wir schätzen, dass wir in diesem Jahr 297 Millionen US-Dollar für unsere Operationen in Syrien brauchen werden, davon sind bisher erst drei Prozent eingegangen", sagte die Leiterin von Unicef in Syrien, Hanaa Singer. Bereits 2014 habe Unicef wegen fehlender Finanzmittel in dem Bürgerkriegsland nicht alle geplanten Hilfsprojekte umsetzen können.
Zu Singers Aufgaben in Syrien gehört es auch, schwere Verletzungen von Kinderrechten zu dokumentieren. Anfang dieser Woche traf sie dazu die Mutter eines Mädchens, das beim Spielen im Umland von Damaskus von einer Mörsergranate getroffen worden war. "Der Kopf des Mädchens war abgetrennt worden, die Mutter redete mit mir, sie hatte keine Tränen mehr, sie war wie viele Menschen in Syrien, sie hatte einfach schon zu viel Schreckliches erlebt."
Kinder als Köche und Spione im Krieg
Die Unicef-Vertreterin sprach auch mit zwei Jungen, die bei demselben Angriff schwer verletzt worden waren. "Der eine Junge, er war sieben oder acht Jahre alt, ihm fehlte ein Auge, mit dem anderen Auge sah er mich an, sein Blick war wie tot und voller Bitterkeit."
Bislang hat Unicef drei Tätergruppen identifiziert, denen schwere Verletzungen von Kinderrechten zur Last gelegt werden: die syrische Armee, die islamistische Al-Nusra-Front und die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Laut Singer rekrutieren nicht nur die Terroristen Kinder als Kämpfer. Sie sagt: "Auch in anderen bewaffneten Gruppen kämpfen Kinder, teilweise werden sie auch als Köche oder Spione eingesetzt."
Zu den von den IS-Terroristen kontrollierten Gebiete und zu einigen belagerten Ortschaften hat Unicef derzeit keinen Zugang. In den Regionen, die von der Regierung und den Rebellen kontrolliert werden, verteilt die Hilfsorganisation vor allem Chlortabletten für die Trinkwasserdesinfektion und Schulbücher. Die IS-Terroristen in Al-Rakka und Deir as-Saur haben die blauen Unicef-Rucksäcke mit den Schulbüchern zurückgewiesen. Sie haben ihren eigenen Lehrplan entwickelt und zwingen die Lehrer, den Kindern ihre eigene extreme Interpretation des Islam zu vermitteln. "Teilweise bringen sie ihnen auch in den Schulen bei, wie man kämpft", sagt Singer.
UN-Resolutionen untergraben
Private Hilfsorganisationen machen unterdessen die internationale Gemeinschaft und die Unicef-Mutter UN für das Leiden der syrischen Zivilbevölkerung mit verantwortlich. Im vergangenen Jahr habe der UN-Sicherheitsrat drei Resolutionen zum Schutz von Zivilisten im Bürgerkrieg verabschiedet, erklärten die 21 Gruppen in einem Bericht mit dem Titel "Failing Syria". Untersuchungen zeigten jedoch, "in welchem Ausmaß Konfliktparteien, Mitglieder des Sicherheitsrats und andere UN-Mitgliedstaaten die Resolutionen ignoriert oder untergraben" hätten.
Verfasst wurde der Bericht unter anderem von Save the Children, World Vision und Oxfam. Die Organisationen kritisierten, dass das Jahr 2014 das bisher blutigste in dem seit vier Jahren andauernden Konflikt gewesen sei. Insgesamt habe es 220.000 Tote gegeben, davon allein 76.000 im vergangenen Jahr. Der Zugang zu Hilfen sei nicht besser geworden. 4,8 Millionen Menschen befänden sich in von der UN als "schwer zugänglich" deklarierten Gebieten - 2,3 Millionen mehr als noch 2013.
Weiter hieß es, der Hilfsbedarf habe zugenommen. 5,6 Millionen Kinder seien mittlerweile auf Hilfen angewiesen. Doch der Umfang der Nothilfe entspreche immer weniger dem Bedarf. Im Jahr 2013 seien nur 71 Prozent der erforderlichen Maßnahmen finanziert gewesen, ein Jahr später hingegen nur noch 57 Prozent.
Der Bericht warf zudem den Konfliktparteien in Syrien, Regierungssoldaten sowie bewaffneten Aufständischen, vor, wahllos Einrichtungen und Infrastruktur von Zivilisten anzugreifen.
Quelle: ntv.de, mbo/dpa