Gedenken im Bundestag "Keine deutsche Identität ohne Auschwitz"
27.01.2015, 10:29 Uhr
Bundespräsident Gauck warnt die Deutschen davor, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Die Erinnerung an den Holocaust bleibe eine Sache aller Bürger.
Bundespräsident Joachim Gauck hat die Menschen in Deutschland 70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor einem Schlussstrich unter den Holocaust gewarnt. "Die Erinnerung an den Holocaust bleibt eine Sache aller Bürger, die in Deutschland leben", sagte er in einer Gedenkstunde des Bundestages. Er gehöre zur Geschichte dieses Landes.
Gauck verwies in seiner Rede auch darauf, dass die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen insbesondere bei den jungen Menschen schwinden könnte. "Ich teile diese Befürchtung nicht, bin mir aber bewusst, dass sich die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit weiter verändern wird und verändern muss".
Nachfolgende Generationen würden neue Formen des Gedenkens suchen, zeigte sich der Bundespräsident überzeugt. "Und mag der Holocaust auch nicht mehr für alle Bürger zu den Kernelementen deutscher Identität zählen, so gilt doch weiterhin: Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz."
Vermächtnis der Nachgeborenen
Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte, Auschwitz stehe wie kein anderer Ort als Synonym für das, was Menschen Menschen antun könnten. Die Erinnerung an den Holocaust mahne eindringlich, solche Verbrechen nie und nirgendwo mehr zuzulassen. Lammert betonte: "Für die schreckliche Vergangenheit unseres Landes sind die Nachgeborenen nicht verantwortlich, für den Umgang mit ihr aber schon". Hier könne es Anlass für Hoffnung sein, wenn sich die Deutschen humanitären Herausforderungen der Gegenwart stellten.
An der Veranstaltung des Bundestags nahmen auch Auschwitz-Überlebende auf der Tribüne teil. Das Konzentrationslager war am 27. Januar 1945 von Soldaten der Roten Armee befreit worden. Unter nationalsozialistischer Herrschaft waren in dem Lager mindestens 1,1 Millionen Menschen vergast, zu Tode geprügelt oder erschossen worden, oder sie starben an Krankheiten und Hunger. Eine Million von ihnen waren Juden.
Gauck wird auch am Nachmittag dabei sein, wenn in Auschwitz-Birkenau die Gedenkfeiern zum 70. Jahrestag der Befreiung im Zeichen der Überlebenden abgehalten werden. Dann wollen rund 300 der inzwischen hochbetagten früheren Häftlinge an die vielen Opfer erinnern, die Auschwitz nicht überlebt haben.
Putin ist nicht dabei
Vor Staats- und Regierungschefs sowie Regierungsmitgliedern aus rund 40 Ländern werden drei ehemalige Auschwitz-Häftlinge das Wort ergreifen. Als einziger Politiker wird der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski ein kurzes Grußwort sprechen. Der russische Präsident Wladimir Putin ist nicht dabei. In Russland gab es zum Teil empörte Reaktionen, dass er als Vertreter der Befreier nicht explizit als Ehrengast eingeladen worden war. Die Gedenkstätte Auschwitz wies allerdings darauf hin, dass die Gedenkfeier nicht von der Warschauer Regierung organisiert werde. Es sei jedem frei gestellt, zu kommen. Offizielle Einladungen habe Polen an niemanden verschickt.
Das Lager im Süden des besetzten Polen war das größte der deutschen Vernichtungslager. Die allermeisten Opfer waren Juden. Aber auch Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, Polen, Homosexuelle und politische Häftlinge wurden in Auschwitz getötet.
Nach einem UN-Beschluss wird seit 2006 alljährlich am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus gedacht, in Deutschland seit 1996.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa