Politik

Rebellen erhalten viel Macht Kevin McCarthy legt sich die Zwangsjacke an

Kevin McCarthy ist neuer Sprecher des Repräsentantenhauses, doch viele fragen sich: wie lange wohl?

Kevin McCarthy ist neuer Sprecher des Repräsentantenhauses, doch viele fragen sich: wie lange wohl?

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Im 15. Wahlgang sichert sich Kevin McCarthy doch noch genügend Stimmen für die Wahl zum Sprecher des Repräsentantenhauses. Doch die Zugeständnisse, die er den republikanischen Rebellen macht, sind groß. Er zieht sich eine politische Zwangsjacke an - oder doch eine Sprengstoffweste?

Kevin McCarthy hat es geschafft: Im 15. Versuch gewinnt der 57-jährige Abgeordnete aus Kalifornien doch noch die Wahl zum Sprecher des US-Repräsentantenhauses. Damit hat er lediglich 14 Versuche mehr gebraucht als seine Vorgängerinnen und Vorgänger in den vergangenen 100 Jahren vor ihm. 14 Wahlgänge, in denen McCarthy von einem Teil seiner republikanischen Parteikollegen gedemütigt und vorgeführt wurde. So wie im vorletzten Wahlgang, in dem eigentlich schon alles klar sein sollte, am Ende aber doch eine Stimme zum Sieg fehlte.

Diese eine Stimme sollte von Matt Gaetz kommen, einem der härtesten Gegner McCarthys. Doch in letzter Minute enthielt sich der umstrittene Abgeordnete aus Florida und stellte seinen republikanischen Parteikollegen ein weiteres Mal bloß. Offene Münder waren anschließend im Saal zu sehen, mindestens eine Abgeordnete hatte Tränen in den Augen. Und zwischen dem Lager von Rebell Gaetz und dem betrogenen McCarthy kam es fast zu Handgreiflichkeiten.

Erst einen Wahlgang später kann der 57-jährige Kalifornier doch noch aufatmen. Nicht, weil sich die Republikaner geschlossen hinter ihn gestellt haben, sondern weil sich neben Gaetz nun auch fünf andere Rebellen wie abgesprochen enthalten und die Hürde für den Sieg somit senken.

Eine Partei, zwei Gesichter

Matt Gaetz und Kevin McCarthy gehören zwar derselben Partei an, haben aber grundsätzlich andere Vorstellungen von republikanischer Politik. Der eine, Gaetz, sitzt erst seit 2017 für den ersten Distrikt von Florida im Repräsentantenhaus, ist glühender Anhänger des früheren Präsidenten Donald Trump und gehört dem radikalen Flügel der Republikaner an, dem sogenannten Freedom Caucus.

Der 40-Jährige ist überzeugt, dass die Demokraten 2020 die Präsidentschaftswahl "gestohlen" haben. Im Saal des Repräsentantenhauses soll Gaetz mit Fotos von nackten Frauen auf seinem Smartphone angegeben haben - während einer Abstimmung. Er wird verdächtigt, Sex mit mindestens einer Minderjährigen gehabt zu haben.

Wendehals mit Spendentalent

McCarthy dagegen gehört zum Establishment von Washington D.C. Der 57-Jährige sitzt bereits seit 2007 im Repräsentantenhaus und wird nur vier Jahre später zum ersten Mal Mehrheitsführer, also Fraktionschef der republikanischen Partei.

Er ist gut vernetzt in der US-Hauptstadt und ein Magnet für Wahlkampfspenden. Über die Jahre soll er mehrere Hundert Millionen US-Dollar bei Unternehmen, Millionären und Milliardären für republikanische Wahlkämpfe eingesammelt haben.

Aber McCarthy ist anders als Gaetz auch ein politischer Wendehals ohne Überzeugungen: Erst war er 2016 im Wahlkampf wie viele andere Republikaner gegen Donald Trump, dann aber für ihn. 2021 gab er dem eingeschnappten Milliardär anfangs Schuld am Sturm auf das Kapitol und setzte sich intern für dessen Rücktritt ein. Als es wichtig wurde, stimmte er aber wie Gaetz gegen die Anerkennung der Präsidentschaftswahl. Nach dem mehrtägigen Drama im Repräsentantenhaus war es ebenfalls Trump, den McCarthy namentlich erwähnte: "Ich möchte mich besonders bei Präsident Trump bedanken", sagte er vor laufenden Kameras.

Denn McCarthy weiß, dass er im Repräsentantenhaus ohne Trump und dessen Anhänger keine Mehrheiten organisieren kann. Deshalb habe er Gaetz und anderen Mitgliedern des Freedom Caucus schon im Dezember, also lange vor dem ersten Wahlgang, viele Zugeständnisse gemacht, sagt Philipp Adorf im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Der Politologe forscht an der Universität Bonn zur republikanischen Partei, von der immer mehr Mitglieder Politik im Stile von Trump machen.

"Sie genießen diese Dysfunktion, dieses Chaos", erklärt Adorf. Ihre Politik basiere nicht auf ideologischen Standpunkten, sondern darauf, das politische System irgendwie zu attackieren. "Entnervte Republikaner haben die Mitglieder, die gegen McCarthy gestimmt haben, auch gefragt, was sie wollen, es gab aber keine konkrete Antwort. Die Rebellen sind aus Prinzip gegen McCarthy und das Washingtoner Establishment."

Vollmundiger Gaetz

Der "politische Sumpf" in Washington muss ausgetrocknet werden - mit dieser Position hat sich Donald Trump 2016 ins Weiße Haus katapultiert. Abgeordnete wie Gaetz sind auf dieser Welle aber ebenfalls von Wahlerfolg zu Wahlerfolg geritten. Sie kontrollieren die republikanische Partei zwar nicht und können wichtige Posten oder Ämter nicht selbst übernehmen. Sehr wohl können sie aber aussichtsreichen Kandidaten wie McCarthy gerade bei knappen Mehrheitsverhältnissen die Regeln diktieren, so wie sie es in den vergangenen Tagen im Repräsentantenhaus gemacht haben.

Wo finde ich "Wieder was gelernt"?

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"Das endet auf eine von zwei Arten", hatte Gaetz vollmundig bereits am Donnerstag bei Fox News angekündigt: "Entweder Kevin erkennt, dass es keinen Weg für ihn gibt, Sprecher des Hauses zu werden. Oder er wacht auf, zieht sich eine Zwangsjacke an und akzeptiert das Regelpaket, das wir ihm vorgelegt haben. Der Typ gehört seit 14 Jahren zur politischen Führung in Washington D.C. und diese Stadt muss sich ändern."

Washington? "Gar nicht so wichtig"

Die republikanischen Rebellen haben kein Vertrauen zu McCarthy und dessen Verbündeten, das betonen sie häufiger. Denn die sind nach wie vor bereit, mit den Demokraten zusammenzuarbeiten und bei bestimmten Themen Kompromisse zu finden - zum Beispiel in Haushaltsfragen. Der Freedom Caucus aber wolle, dass ausschließlich Gesetze verabschiedet werden, die republikanischen Idealen wie geringen Staatsausgaben entsprechen und die rein mit republikanischen Stimmen verabschiedet werden könnten, beschreibt Politologe Adorf.

Und wenn dafür beinahe erpresserische Methoden notwendig sind oder der politische Betrieb in Washington dadurch zum Stillstand kommt, dann ist das eben so. Damit habe der Freedom Caucus kein Problem, erklärt der Parteienforscher. "Das Argument lautet: Wenn der Regierungsapparat schließt und die Abgeordneten keine Gesetzesvorlagen debattieren können, wird das Volk mitbekommen, dass Washington gar nicht so wichtig ist."

Doch eine Sprengstoffweste?

Kevin McCarthy hat sich deswegen für die politische Zwangsjacke entschieden. Was er den Rebellen angeboten hat, ist offiziell nicht bekannt. Aber unter anderem soll er ihnen ranghohe Posten in wichtigen Ausschüssen zugesagt haben. Zum Beispiel auch in dem Ausschuss, der darüber entscheidet, über welche Gesetze schlussendlich überhaupt im Repräsentantenhaus abgestimmt wird, wie die "Washington Post" berichtet.

Laut CNN soll McCarthy auch zugestimmt haben, dass er und verbündete Republikaner sich mit ihren Lobbygruppen nicht mehr in republikanische Vorwahlkämpfe einmischen, bei denen Mitglieder des Freedom Caucus antreten. Das kam in der Vergangenheit häufiger vor, um eher moderatere Kandidaten durchzusetzen, hat aber radikale Abgeordnete wie Gaetz sauer gemacht. Außerdem sollen neue Ausgaben des Bundes nur noch dann genehmigt werden, wenn gleichzeitig an anderer Stelle gekürzt wird.

Das aber vielleicht wichtigste Zugeständnis betrifft McCarthy selbst: Bisher waren fünf Abgeordnete nötig, um ein Misstrauensvotum gegen den Sprecher des Repräsentantenhauses zu beantragen. Ab sofort soll ein einziger verstimmter Abgeordneter ausreichen, um diese Abstimmung durchzusetzen, berichten US-Medien überstimmend.

McCarthy habe sich keine Zwangsjacke, sondern eine Sprengstoffweste angezogen, lautet ein Kommentar. Und der Zünder befindet sich in den Händen der republikanischen Rebellen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

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Quelle: ntv.de

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