Karl Lauterbach verteidigt sich Krankenkassen warnen vor Milliardendefizit
07.09.2023, 15:02 Uhr Artikel anhören
Der Gesundheitshaushalt stabilisiere sich, meint Karl Lauterbach.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Die gesetzlichen Krankenkassen rechnen für das kommende Jahr mit einem Milliardendefizit - und das könnte womöglich am oberen Ende der Schätzung liegen. Gesundheitsminister Lauterbach verteidigt die geringeren Bundeszuweisungen. Auf Versicherte und Arbeitgeber könnten steigende Zusatzbeiträge zukommen.
Die gesetzlichen Krankenkassen warnen für 2024 vor einem Milliardendefizit als Folge der Politik der Bundesregierung. Bislang gehen die Kassen von einer Lücke zwischen 3,5 Milliarden und 7 Milliarden Euro aus. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verteidigte hingegen im Bundestag geringere Ausgaben für das Gesundheitssystem: Dies sei auf wegfallende Kosten für die Corona-Pandemie zurückführen. Im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie wachse der Gesundheitsetat, sagte der SPD-Minister. "Somit haben wir keinen insgesamt schrumpfenden Haushalt, sondern einen sich stabilisierenden Haushalt." Darauf, wie sich der Etatentwurf auf die Finanzierung der Krankenkassen auswirken könnte, ging er in seiner Rede nicht ein.
Die Vorständin des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK), Anne Klemm, geht dabei von einem Defizit am oberen Ende der Schätzungen aus. "Ich befürchte, dass wir eher bei sieben Milliarden Euro herauskommen werden", sagte sie dem "Handelsblatt". Neben Mehrbelastungen durch die von Lauterbach geplanten Reformen bei Notfallversorgung und Kliniken gebe es auch "durch die Konjunktur und steigende Arbeitslosigkeiten große Risiken für die Einnahmen" der Kassen, warnte die BKK-Chefin.
Durchschnittlicher Zusatzbeitrag steigt wohl
Bundesfinanzminister Christian Lindner setzte bei den Haushaltsberatungen durch, dass in den vergangenen Jahren gezahlte zusätzliche Bundeszuschüsse an die Krankenkassen nun wegfallen. Ohne politische Maßnahmen müsste der durchschnittliche Zusatzbeitrag 2024 daher laut "Handelsblatt" wohl um 0,4 Prozentpunkte steigen. Für Versicherte und deren Arbeitgeber würde dies demnach eine Mehrbelastung von jeweils mehr als drei Milliarden Euro bedeuten. Klemm nannte die steigenden Beiträge eine "Bankrotterklärung der Bundesregierung".
Karl Lauterbach schrieb auf der Plattform X: "Der Zusatzbeitrag wird wahrscheinlich für einen Durchschnittsbürger um etwa 3 Euro pro Monat steigen. Dafür bekommen wir bessere Medikamente, modernere Technologie, mehr Spezialisierung im Krankenhaus, mehr Digitalisierung. Das muss es uns wert sein."
Auf Nachfrage erläuterte Lauterbach: "Ich rechne mit einer sehr moderaten Erhöhung der Zusatzbeiträge." Ein Anstieg um 3 Euro ergebe sich, wenn der Zusatzbeitrag um 0,2 Beitragssatzpunkte steigen würde. Bei einem Verdienst von 3000 Euro ergäbe sich angesichts der paritätischen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer 3 Euro für die Kassenmitglieder. Der Schätzerkreis für die gesetzliche Krankenversicherung werde aber erst noch zusammenkommen, um eine genaue Finanzprognose zu erstellen.
Zuschuss für Pflegeversicherung soll komplett entfallen
Laut Etatentwurf soll der Zuschuss für die Pflegeversicherung im kommenden Jahr komplett entfallen. Scharfe Kritik daran übte der Sozialverband SoVD: "Es darf keinen Automatismus geben, der steigende Kosten ausschließlich durch Beitragssatzsteigerungen in der Kranken- und Pflegeversicherung kompensiert", erklärte die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier. So würden kleine und mittlere Einkommen zusätzlich belastet, was "zu mehr sozialer Ungerechtigkeit" führe. Als Alternative schlug Engelmeier angesichts der knappen Mittel eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes oder auch der Erbschaftsteuer vor.
Der evangelische Sozialverband Diakonie kritisierte die Streichung der Zuschüsse für die Pflegeversicherung ebenfalls. "Statt die Pflegeversicherung endlich auf finanziell solide Füße zu stellen, werden die Mehrkosten auf die Versicherten abgewälzt, teilte Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide mit. Das habe "fatale Folgen". Die Unterfinanzierung der Pflegeversicherung führe dazu, dass Pflegebedürftige nicht mehr ausreichend versorgt werden und pflegende Angehörige ihren Beruf aufgeben müssen.
Ähnlich äußerte sich der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP): "Die Ampel-Regierung weigert sich, Verantwortung für eine langfristig solide Finanzierung der Pflegeversicherung zu übernehmen", erklärte Verbandspräsident Thomas Greiner. Statt mehr Belastungen für Pflegebedürftige und Beitragszahlende forderte er einen "großen Wurf" für den Ausbau der Altenpflege einschließlich eines Rechtsanspruchs auf einen Platz im Pflegeheim.
Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus verteidigte die Haushaltskürzungen. "Der strikte Haushaltskurs des Finanzministers ist der einzig richtige Weg", betonte sie. Allerdings sollten statt Beitragserhöhungen besser Gesundheitsausgaben auf den Prüfstand gestellt werden. "Hohe Ausgaben im Gesundheitssystem allein führen nicht automatisch zu einer besseren Versorgung", argumentierte die FDP-Politikerin.
Quelle: ntv.de, rog/AFP/dpa