Grüne beenden ihren Parteitag Kretschmann spielt zahm
28.04.2013, 14:41 Uhr
Die Spitzenkandidaten, Trittin (l.) und Göring-Eckardt freuen sich über Kretschmanns Auftritt: Er ließ wenig Anlass für Flügelkämpfe.
(Foto: dpa)
Die Grünen beschließen bei ihrem Parteitag in Berlin ihr Wahlprogramm - ein ziemlich linkes Wahlprogramm. Zum Abschluss spricht dann ausgerechnet Ministerpräsident Kretschmann, ein Gegner eines allzu wirtschaftsfeindlichen Kurses. Doch mit seinem Auftritt gelingt es ihm, den Linken- und den Realoflügel zu versöhnen. Zumindest für ein paar Stunden.
Es hätte noch einmal richtig krachen können: Vor dem Parteitag der Grünen in Berlin wetterte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann gegen den Linksrutsch seiner Partei. In einer Wahlperiode könne man nicht mehr als zwei zentrale Steuern erhöhen, sagte er. "Das ist nicht so leicht umgesetzt wie in ein Parteiprogramm geschrieben." Er warnte vor "unzumutbaren Belastungen" für die Wirtschaft. Hätte er diese Sätze bei seiner Rede am Ende des Parteitags wiederholt, die Bundesdelegiertenkonferenz hätte mit einem Eklat geendet.
Denn dass die Delegierten zur Eskalation des Flügelstreits zwischen linken und realpolitischen Grünen bereit waren, haben sie schon am Vortag bewiesen, als Kretschmanns Realo-Kollege Boris Palmer es wagte, an einer sofortigen Angleichung der Löhne von Leiharbeitern und der Stammbelegschaft zu rütteln. Die Delegierten buhten seinen Antrag weg. Doch bei Kretschmann kam alles anders. Dem Ministerpräsidenten gelang es mit seiner Rede gar, den Flügelstreit zu befrieden - zumindest für ein paar Stunden. Die Konflikte sind nicht entschärft, aber die Delegierten konnten ohne Wut im Bauch die Heimreise antreten.
Dabei deutete zunächst einiges darauf hin, dass Kretschmann die Konfrontation suchen, seine Kritik wiederholen würde. Die Grünen haben auf ihrem Parteitag einen Anstieg des Spitzensteuersatzes von 42 auf 49 Prozent beschlossen und stimmten dafür, mit einer Vermögensabgabe 100 Milliarden Euro in die Staatskasse zu spülen. Kretschmann sagte: "Natürlich höre ich aus der Wirtschaft, dass sie überhaupt keine Steuerhöhungen wollen." Und er sagte auch, dass die Wirtschaft genug Eigenkapital brauche, um den ökologischen Wandel der Gesellschaft umzusetzen. Doch die entscheidenden Sätze folgten danach.
Die "richtige Balance"
Kretschmann räumte ein, dass es taktisch vielleicht nicht besonders klug war, kurz vor dem Programmparteitag mit Hilfe der Medien einen Streit über die Steuerpolitik der Grünen zu entfachen und damit offenzulegen, dass es hier an einer gemeinsamen Vision der Grünen fehlt.
Daraufhin machte er deutlich, dass es aber eine Errungenschaft der Grünen sei, derartige Kontroversen auszudiskutieren, Kompromisse zu finden und so für echten Zusammenhalt zu sorgen. Das sei allemal glaubwürdiger als den Zusammenhalt vorzugaukeln. Diese Glaubwürdigkeit erklärte er dann kurzerhand auch zum Schlüssel zum Erfolg bei der Bundestagswahl. "Weil wir untereinander offen miteinander umgehen, kann die Bürgerschaft darauf vertrauen, dass wir mit ihr auch offen umgehen", sagte er.
Von großer Opposition gegen den Kurs seiner Partei war da nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil: Kretschmann sprach sogar davon, dass es beim Wahlprogramm auf die "richtige Balance" zwischen Wirtschaftsinteressen und sozialer Gerechtigkeit ankomme und fügte hinzu: "Wir haben die richtige Balance auf diesem Parteitag gefunden."
Tatsächlich konnten sich die Realos in Berlin aber mit kaum einer ihrer Forderungen durchsetzen. Es gelang ihnen fast nur, Anträge, die noch weiter gingen als die des Bundesvorstands, also Spitzensteuersätze jenseits der 50-Prozent-Marke und eine Vermögenssteuer schon in der nächsten Legislaturperiode, zu verhindern.
Wie ernst Kretschmann seine Rede von der "richtigen Balance" also war, steht damit zumindest in Frage. Nichtsdestotrotz: Sein zahmer, versöhnlicher Auftritt genügte offenbar, um seine Gegner zu befrieden. Auch die eher linken Delegierten entließen Kretschmann mit einem kräftigen Applaus von der Bühne, standen für den Realo aus Baden-Württemberg sogar auf.
Der nächste Streit ist programmiert
Und seine Kampfgenossen? Seine Mitstreiter für eine wirtschaftsfreundlichere grüne Politik? Realo Palmer sagte n-tv.de über Kretschmanns Rede: "Er hat seine große Stärke ausgespielt, nämlich Nachdenkliches und Grundsätzliches, eindrücklich zu erklären." Und zu zahm sei die Rede "überhaupt nicht" gewesen. "Als Ministerpräsident hat er eine Aufgabe, und die lautet: Integrieren und alle mitnehmen. Und das ist ihm nach der Kontroverse über die Wirtschaftspolitik gelungen." Und wie geht es jetzt weiter?
Mindestens so fraglich wie Kretschmanns Postulat von der "richtigen Balance" ist, ob die echte oder gespielte Harmonie zwischen Realos und Linken nah seiner Rede - hier lässt sich nur mutmaßen - allzu weit über den Parteitag hinausreichen wird.
Auf die Frage, ob auch er das Programm gelungen findet, antwortete Palmer noch diplomatisch: "Es ist nie so, dass alle mit jedem Satz einverstanden sind, aber die Richtung stimmt." Wenn die Grünen regieren, dann werde das gut sein für Deutschland. Dass Querelen zwischen Realos und Linken nun bis zur Bundestagswahl ausbleiben, glaubt Palmer dagegen nicht. Obwohl sich die Grünen in ihrem Wahlprogramm ausdrücklich zur SPD als Wunschkoalitionspartner und Wahlkampfalliierten bekannten, rechnet er damit, dass etwa der lästige Streit über schwarz-grüne Bündnisse alsbald wieder entbrennen könnte. Palmer, der selbst schon des Öfteren solche Auseinandersetzungen entfacht hat, sagte: "Mich würde es wundern, wenn die Debatte nicht noch einmal aufkommt."
Quelle: ntv.de