Fragestunde im Unterhaus Labour-Abgeordnete fallen über Truss her
19.10.2022, 17:04 Uhr
Premierministerin Truss wird im Unterhaus regelrecht gegrillt - sie muss einiges aushalten.
(Foto: dpa)
In Großbritannien wird nur noch gefragt, wann die konservative Partei ihre Premierministerin absägt, nicht mehr ob. Die gescholtene Liz Truss stellt sich an diesem Mittag den Fragen, der Wut und dem Spott der Abgeordneten im Unterhaus. Es ist dramatisch.
Nerven hat sie, die Premierministerin von Großbritannien - das beweist Liz Truss an diesem Mittag, als sie sich den Fragen der Abgeordneten im Unterhaus stellt. Wütende Abgeordnete, insbesondere der Labour-Partei, erwarten sie dort, als sie gegen 12 Uhr Londoner Zeit in den engen Sitzungssaal kommt. Sie hauen ihr ihre katastrophale Bilanz der vergangenen Tage nur so um die Ohren. Doch sie behält die Fassung, hält einigermaßen durch und bricht nicht zusammen. Der "Guardian" schreibt, dank ihres Auftritts sei ihre Stellung gesichert - für die nächsten paar Stunden.
Insbesondere Oppositionsführer Keir Starmer nimmt sie in die Mangel: "Letzte Woche stand die Premierministerin hier und versprach, dass die Ausgaben auf keinen Fall reduziert werden und ihre Abgeordneten haben alle gejubelt. Diese Woche hat der Finanzminister eine neue Welle von Einsparungen angekündigt. Was soll man mit einer Premierministerin, deren Versprechen nicht einmal eine Woche halten?"
Er fordert ihren Rücktritt: "Die wirtschaftliche Glaubwürdigkeit - weg. Und ihr einstmals bester Freund, der Finanzminister, weg. Sie sind alle weg. Warum also ist sie noch hier?" Dann ätzt er: "Arbeitende Menschen müssen 500 Pfund mehr für ihre Hypotheken bezahlen. Und was ist ihre Antwort? Es tut ihr leid. Ist das alles?" Und so geht es weiter, immer wieder johlen die Abgeordneten der Opposition, lachen und schütteln die Köpfe. Ian Blackford von der Schottischen Nationalpartei konstatiert, "diese Premierministerin ist im Amt, aber nicht an der Macht."
"Ich gebe nicht auf"
Und Truss? Hält dagegen. Sagt: "Ich bin eine Kämpferin und keine, die aufgibt." Versucht, der Labour-Partei vorzuwerfen, dass sie möglicherweise einen Bahnstreik und übergriffige Gewerkschaften unterstützt. Zwischendurch stellen ihr ihre eigenen Abgeordneten seichte Entlastungsfragen, etwa ob sie Soldaten für eine erfolgreich absolvierte Übung gratulieren wolle, oder ob man nicht für gute Infrastruktur sorgen solle, wenn neue Häuser gebaut werden. Doch dann geht das Donnerwetter der Opposition weiter.
Ihr Auftritt war dabei nicht desaströs, sie hielt einiges aus - doch ein Millionenpublikum wird nun in den Fernsehnachrichten sehen, wie ihre Sechs-Wochen-Premierministerin gegrillt wird. Und manch einer dürfte wie die Abgeordneten dabei johlen und lachen.
Am Mittwoch kam eine neue Umfrage heraus, wonach sie die unbeliebteste Premierministerin Großbritanniens ist seit Umfragen gemacht werden. 80 Prozent der Briten haben demnach eine schlechte Meinung von ihr. Das hat sich Truss letztlich selbst zuzuschreiben, auch wenn ihre Partei wusste, was sie vorhatte und sie dafür in einem langen Verfahren zu ihrer Chefin erkoren hatte.
Kneifen konnte Truss vor diesem Auftritt im Unterhaus nicht - das hatte sie vergangene Woche bereits getan und schweigend auf der Regierungsbank gesessen, während ihre Minister sich abmühten, sie zu verteidigen. Nun konnte sie noch froh sein, dass ihre eigenen Leute nicht in die Tiraden der Opposition einstimmten. Einen Teil könnte sie hinter den Kulissen beruhigt haben, indem sie eine harte Brexit-Linie versprach. So sagte sie im Unterhaus, sie unterstütze den Gesetzentwurf zum Nordirland-Protokoll. Damit wird der im Brexit vereinbarte Status Nordirlands ausgehöhlt.
Sogar Boris Johnson ist wieder im Gespräch
Truss ist die einsamste Frau im politischen Großbritannien. Sie ist eine Premierministerin auf Abruf, die nur noch im Amt zu sein scheint, weil sich ihre Partei noch nicht auf einen Nachfolger geeinigt hat. Die Lage ist so chaotisch, dass manche nun sogar wieder Boris Johnson als Nachfolger ins Spiel bringen. Das Vereinigte Königreich ringt um Fassung.
Gerade erst sah das Land dem finanziellen Kollaps ins Auge, weil Truss wie ihr Idol Margaret Thatcher vorhatte, radikal die Steuern zu senken, um Wachstum zu entfesseln. Doch die Märkte reagierten panisch, weil es keine Gegenfinanzierung gab. Und so hastete Truss zurück auf Los, warf kurzerhand ihre eigenen Überzeugungen über Bord und den Finanzminister aus dem Amt. Deren Nachfolger kündigte am Montag an, dass ein Großteil ihrer Pläne zurückgenommen werde. Truss entschuldigte sich in einem Fernsehinterview, sagte, sie habe verstanden. Schon da bewies sie Nerven: Sie verkündete, trotz ihrer dramatischen Fehleinschätzung, im Amt bleiben zu wollen.
Doch der Schaden war da. Das finanzielle Loch muss nun wieder gefüllt werden. Kommt jetzt die nächste Sparrunde bei Schulen, Krankenhäusern und Polizei? Die Wut der Opposition und vieler Menschen im Lande ist groß, die konservative Partei fällt auf einen neuen Tiefpunkt. Die Umfragewerte sind im freien Fall, die von Labour schießen nach oben. Dabei sollte Truss die Torys eigentlich wieder zu alter Stärke führen, nachdem sie Boris Johnson vom Hof gejagt hatte, den seine ständigen Lügen schließlich doch noch eingeholt hatten. Die konservative Partei wirkt wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen und Truss ist mittendrin. Ein Befreiungsschlag war dieser Auftritt nicht. Allenfalls eine Verschnaufpause.
Quelle: ntv.de