"Keinesfalls zustimmungsfähig" Länder-Kritik am Entlastungspaket ebbt nicht ab
17.09.2022, 21:09 UhrLange hat die Ampelkoalition über ein drittes Entlastungspaket verhandelt. Doch das Ergebnis stößt bei den Ländern auf Ablehnung. Dabei geht es vor allem um die Kosten, die ihnen aufgebürdet werden. Vom "unverantwortlichen" Umgang mit den Bundesländern ist die Rede.
In den Bundesländern gibt es anhaltende Widerstände gegen das dritte Entlastungspaket der Ampelkoalition. Bemängelt wird vor allem eine fehlende Abstimmung des Bundes mit den Ländern bei der Finanzierung der einzelnen Entlastungsmaßnahmen. "In der jetzigen Form ist das Entlastungspaket keinesfalls zustimmungsfähig", sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der "Welt am Sonntag". Zuvor hatte auch schon Baden-Württemberg mit einem Nein im Bundesrat zu Teilen des Maßnahmenbündels gedroht.
Die Ampelkoalition hatte Anfang September ein drittes Maßnahmenpaket als Ausgleich für die rasant steigenden Preise vorgestellt, dessen Umfang die Regierung auf etwa 65 Milliarden Euro beziffert. Zu den Maßnahmen zählen beispielsweise Einmalzahlungen für Rentner und Studenten und ein Preisdeckel für einen Grundbedarf an Energie. Auch strebt die Koalition einen Nachfolger für das bundesweite 9-Euro-Ticket zum Preis von 49 bis 69 Euro im Monat an - wenn die Länder dies mit finanzieren.
Beim letzten Punkt gibt es besonders viel Streit. "Es kann nicht sein, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing sich nur an einem Preissignal beteiligt, und dann ist es für ihn erledigt mit dem ÖPNV. Der Nahverkehr muss nicht nur günstig, sondern in vielen Gegenden erstmal vorhanden sein", sagte die Ministerpräsidentin des Saarlands, Anke Rehlinger von der SPD, der Zeitung.
Grundsätzlich dreht sich der Streit um die Kostenverteilung der Entlastungsmaßnahmen zwischen Bund und Ländern. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte von der SPD sagte der "Welt am Sonntag": "Bleibt es bei der vom Bund vorgeschlagenen Aufteilung, kosten Bremen alleine die bisherigen drei Entlastungspakete fast 300 Millionen Euro. Hier muss der Bund deutlich nachbessern." Söder sagte: "Es werden zentralistische und einsame Entscheidungen getroffen, die von den Ländern im Rahmen der Schuldenbremse nicht mehr zu finanzieren sind - während der Bund in Schattenhaushalten mit gigantischen Summen hantiert". Noch nie seien die Länder von einer Bundesregierung so schlecht behandelt worden wie heute.
"Merkel war immer ansprechbar"
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff nannte den Umgang der Bundesregierung mit den Ländern "unverantwortlich". Gerade jetzt brauche man ein dauerhaft institutionalisiertes Abstimmungsverfahren zwischen Bund und Ländern, "ähnlich wie das Bundeskanzlerin Merkel in der Corona-Krise praktiziert hat. Sie war immer ansprechbar. Heute findet diese Vorabstimmung nicht statt", sagte der CDU-Politiker. Am 28. September ist eine Sonderkonferenz der Länderchefs mit Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD geplant, bei der die Streitpunkte aus dem Weg geräumt werden sollen.
Mehr Tempo bei den Maßnahmen forderte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. "Wir haben einen gemeinsamen Strommarkt und deshalb finde ich es richtig, wenn wir eine gemeinsame, europäische Lösung entwickeln. Aber wir haben nicht beliebig viel Zeit. Dabei denke ich nicht nur an die Privathaushalte, sondern auch an die vielen Unternehmen", sagte der SPD-Politiker ntv.de. Während man beim Gas eine echte Knappheit habe, sehe man beim Strom ein Regulierungsproblem. "Deshalb steht hier die Politik in besonderer Verantwortung. Wenn wir uns in Europa nicht schnell einigen, muss Deutschland alleine vorneweggehen."
Zudem fordert Weil Härtefallfonds für Bürger und kleinere und mittlere Betriebe. "Der Grundgedanke ist: Wir haben immer wieder Fälle, wo die normalen sozialen Sicherungssysteme aus verschiedenen Gründen nicht greifen." Das Leben sei sehr bunt und vielfältig. "Für solche Fälle brauchen wir ein Notfallsystem, das kein Regelsystem sein kann. Es gehe "vor allem darum, dass aus der Energie-Krise keine soziale und wirtschaftliche Krise wird und daraus dann keine politische".
Kritik am Entlastungspaket kommt auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Dessen Chefin Yasmin Fahimi forderte eine andere Schwerpunktsetzung. "Die Ampelkoalition wäre besser beraten, sich auf einige wenige, dafür aber auf umso umfangreichere Maßnahmen zu verständigen", sagte sie der "Welt am Sonntag". Auch sollte sich die Regierung stärker darauf konzentrieren, was private Haushalte und Betriebe mittelfristig brauchen, um über einen längeren Zeitraum durch die Krise zu kommen. Fahimi forderte einen Gaspreisdeckel und kurzfristig eine weitere Energiepreispauschale in Höhe von 500 Euro pro Person, plus 100 Euro für jedes Kind. Für Empfänger von Sozialleistungen seien weitere Hilfen nötig, für Mieter mehr Schutz bei Zahlungsausfällen.
Quelle: ntv.de, mli/dpa