Wachsende Milliardenlücken Lindner sieht das Geld ausgehen
17.07.2024, 18:16 Uhr Artikel anhören
Finanzminister Lindner sagt, die Ampel sei bei der Erstellung des Haushalts 2025 an ihre Grenzen gegangen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Bei der Vorstellung des vom Bundeskabinett verabschiedeten Bundeshaushalts macht Bundesfinanzminister Lindner keinen Hehl daraus, wie schwierig diese Einigung war. Die wirklich harten Entscheidungen stünden Deutschland aber erst noch bevor.
"An die Grenzen der Kompromissfähigkeit" sei die Ampel-Koalition zur Sicherstellung eines Haushalts für das kommende Jahr gegangen, sagt Bundesfinanzminister Christian Lindner bei der Vorstellung des am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedeten Pakets. Wie schwer der Ampel-Koalition diese Einigung gefallen ist, lässt sich an einer Zahl ablesen: Geplante Ausgaben in Höhe von 17 Milliarden Euro sind bislang weder durch Einnahmen noch durch Kredite gedeckt.
Mindestens 8 Milliarden davon will Lindner decken, indem er Zuschüsse an Bahn und Autobahn GmbH in Darlehen umwandelt und Überschüsse der Staatsbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus der Gaspreisbremse in den Staatshaushalt überführt. Bis Anfang August soll ein unabhängiger Gutachter darlegen, ob das rechtlich so zulässig ist. Wenn nicht, muss sich die Koalition erneut zusammensetzen.
Wenn es rechtssicher möglich ist, bleiben immer noch 9 Milliarden ungedeckt, die dann hoffentlich doch nicht benötigt würden. "Das ist Staatspraxis, das ist Erfahrungswissen, das ist seriös", wehrt Lindner Kritik aus Opposition und Medien an dieser sogenannten Minderausgabe ab. "Etwa 2 Prozent sind die Mittel, die einfach übrig bleiben", sagt Lindner über die 9 Milliarden Euro Anteil am Gesamtetat von 480 Milliarden. Wenn man diese Mittel allerdings fest verplant, fehlen sie auch als Puffer.
2028 fehlen schon 39 Milliarden Euro
Die - je nachdem - 9 bis 17 Milliarden Euro große Lücke setzt sich zudem fort und wächst noch weiter an: Mit jeweils 13 Milliarden kalkuliert Lindner für 2026 und 2027. Im darauffolgenden Jahr sind es dann schon 39 Milliarden Euro, weil dann das Sondervermögen zur Ertüchtigung der Bundeswehr aufgebraucht ist. Weil Deutschland aber weiter die NATO-Vereinbarung von Verteidigungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erfüllen will und muss, müssten dann zusätzliche 28 Milliarden Euro aus dem regulären Haushalt an die Bundeswehr fließen. Angesichts der Konflikte mit Russland und China könnte dieser Bedarf aber auch noch deutlich mehr wachsen.
"Das ist eine politische Richtungsentscheidung, die wir jetzt einleiten und auslösen müssen", sagt Lindner. Wachsende Verteidigungs- und Sozialausgaben stellten Deutschland vor eine Finanzierungsfrage. Lindners Antwort ist so klar wie erwartbar: Er will die Einnahmen durch mehr Wirtschaftswachstum steigern. "Aus meiner Sicht gibt es keine anderen Optionen, als durch Strukturreformen und Wirtschaftsfreundlichkeit den Wachstumspfad der Wirtschaft zu stärken." Dafür müsste aber dauerhaft eine Zahl größer 2 vor dem Komma des jährlichen Wachstums stehen. Die Ampel peilt für 2025 nun 0,9 bis 1 Prozent an und selbst das ist ambitioniert.
Mehreinnahmen durch höhere Schuldenquoten würden auch andere EU-Staaten zu mehr Krediten verleiten. "Wir müssen führen durch Vorbild in der Finanzpolitik", mahnt Lindner. Bis Ende des Jahrzehnts könne Deutschland die Staatsschuldenquote auf EU-konforme 60 Prozent senken. Immerhin ist dieser Wert jetzt schon von 69 auf 63 Prozent gesunken und ist ein wesentlicher Grund für Deutschlands exzellente Schuldnerbewertung an den Finanzmärkten, die auch zu niedrigeren Zinsen führt. Bei jährlich 50 Milliarden Euro Neuverschuldung im Rahmen der Schuldenbremse ist das eine relevante Größe.
Lindner will weitermachen
Lindners Prämissen sind in der Ampel-Koalition mehr als umstritten. Insbesondere die SPD mahnt, dass für sie die Diskussion über eine Aussetzung der Schuldenbremse nicht beendet sei. Doch Lindner ist auch FDP-Vorsitzender und erinnert in dieser Funktion an den Koalitionsvertrag, der weder Mehrbelastungen für die Bürger vorsieht noch eine Reform der Schuldenregeln. Und ein Aussetzen wegen der Folgekosten des Ukrainekrieges sei weder ökonomisch sinnvoll noch juristisch abgesichert, sagt Lindner. Er sei "persönlich sehr motiviert" seine Arbeit als Finanzminister fortzusetzen. Logisch: Ist die FDP nicht Teil der nächsten Bundesregierung, könnte etwa eine von der Union geführte Koalition mit SPD oder Grünen die Schuldenbremse zugunsten größerer Investitionsvolumen lockern.
Vor allem die CDU-geführten Länderregierungen stehen dem offen gegenüber, weil sie in Zeiten knapper Kassen unter den engen Verschuldungsspielräumen ächzen. Das ist für Lindners kurzfristige Vorhaben ein Problem: Sie sollen für mehr Wirtschaftswachstum erst einmal auf Einnahmen verzichten. So sieht es die zusammen mit dem Haushalt ausgehandelte Wachstumsinitiative der Ampel vor. Mindereinnahmen ergeben sich einmal aus der Möglichkeit für Unternehmen, Investitionen und Forschungsausgaben in einem größeren Umfang als bisher von ihrer Steuerlast abzuschreiben.
Ziehen die Länder mit?
Teurer kommt sie aber noch Lindners Lieblingsprojekt zu stehen: die Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um 23 Milliarden Euro. So viel kostet die Anpassung der Steuersätze, um die Inflationseffekte bei den Löhnen auszugleichen. Aus ersten Länderregierungen war darüber schon ein Murren zu vernehmen. "Ich rate ab davon, den Bürgerinnen du Bürgern zu sagen, dass der Staat sich jetzt an der Inflation bereichern will", hält Lindner diesen Stimmen entgegen.
Der FDP-Vorsitzende Lindner hatte den Ausgleich der kalten Progression gegen SPD und Grüne im Bund durchgesetzt. Wenn die Länder aber den Mindereinnahmen im Bundesrat zustimmen müssen, sitzt die FDP nur in den Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt mit am Kabinettstisch. Auch die Zustimmungen zu den Änderungen beim Bürgergeld müssen erst einmal beide Parlamente passieren. Die angenommenen 6,9 Milliarden Euro Mehreinnahmen bei einem zusätzlichen Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozentpunkten durch die Wachstumsinitiative stehen damit auf wackligen Füßen.
Dabei ist es Lindner wichtig, dass die erwarteten Effekte bei der Arbeitsmarktintegration kommen. Wiederholt erinnert er daran, wie sehr die hohen Kosten des Bürgergelds und anderer Sozialhilfen auf die aus ihren Herkunftsländern nach Deutschland geflüchteten Menschen zurückgehe. "Arbeit und Integration" seien daher der beste Weg, die ausufernden Bürgergeldkosten zu senken. Integration in den Arbeitsmarkt sei zudem "ein Gebot der Mitmenschlichkeit".
Dem Hinweis eines Journalisten, dass insbesondere Ukrainerinnen wegen fehlender Kita-Plätze nicht arbeiteten, widerspricht Lindner nicht. Doch die Finanzierung und Bereitstellung der Kita-Plätze sei nun einmal "eine Domäne der Landespolitik und auch der Städte und Gemeinden". Dennoch schieße der Bund 2025 erneut freiwillig zwei Milliarden Euro zum Kita-Ausbau zu. "Ich ziehe übrigens das Wort Elementarpädagogik vor, weil auch in der frühen Kindheitsentwicklung Sprach- und Persönlichkeitsbildung erfolgt." Ein eher überraschender Hinweis darauf, mit welchen Themen sich dieser Bundesfinanzminister nebenher noch so auseinandersetzt.
Quelle: ntv.de