"Richtigstellen, was falsch war" London begnadigt Tausende Schwule
20.10.2016, 19:46 Uhr
Benedict Cumberbatch als Alan Turing in "The Imitation Game".
(Foto: picture alliance / dpa)
Bis zu 100.000 Männer verurteilt Großbritannien über die Jahre wegen vermeintlicher Sexualstraftaten, weil sie schwul sind - unter ihnen Schriftsteller Oscar Wilde und Kriegsheld Alan Turing. Jetzt sollen sie rehabilitiert werden.
Großbritannien will Tausende Männer begnadigen, die wegen homosexueller Akte verurteilt worden waren. Die britische Regierung kündigte die Verabschiedung eines Gesetzes namens "Turing Law" an. Es ist nach dem britischen Kriegshelden Alan Turing benannt, der 1952 wegen seiner Sexualität kastriert wurde. Turing tötete sich 1954 im Alter von 41 Jahren selbst.
Homosexuelle Akte zwischen Männern ab 21 Jahren standen in England und Wales bis 1967 unter Strafe. Schottland schaffte das Gesetz erst 1980 ab, Nordirland folgte 1982. Unter dem neuen Gesetz sollen verurteilte Männer automatisch begnadigt werden - auch diejenigen, die bereits verstorben sind. Bislang mussten Verurteilte beim Innenministerium eigens eine Löschung entsprechender Vorstrafen beantragen.
Der Kriegsheld Alan Turing
"Es ist unheimlich wichtig, dass wir Menschen begnadigen, die wegen einer historischen Sexualstraftat verurteilt wurden, die nach heutigen Maßstäben unschuldig wären", sagte Justizminister Sam Gyimah. Das Gesetz stelle richtig, was falsch war. Auch der liberale Politiker Lord John Sharkey bezeichnete das Gesetz als "bedeutsamen Tag für tausende Familien in ganz Großbritannien".
Sharkey hatte einst einen Gesetzentwurf zur Begnadigung von Turing eingereicht. Dessen Schicksal war einem breiten Publikum durch den im Jahr 2014 erschienenen Film "The Imitation Game" mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle bekannt geworden. Turing hatte im Zweiten Weltkrieg maßgeblich zur Entschlüsselung des deutschen Kodierungssystems Enigma beigetragen.
Berliner Gesetz in Arbeit
Die britische Nachrichtenrichtenagentur PA schätzt, dass bis zu 100.000 Männer betroffen sein könnten, die von 1885 bis 2003 verurteilt wurden, als die letzten Anti-Schwulen-Paragrafen fielen. Andere Schätzungen sprechen von 65.000 Betroffenen, von denen noch 15.000 lebten. Als eines der prominentesten Opfer neben Turing gilt der Schriftsteller Oscar Wilde, der 1895 als Sittlichkeitsverbrecher verhaftet wurde.
Ein heute über 90 Jahre alter Verurteilter lehnte eine solche "Begnadigung" allerdings ab. Dies würde bedeuten, dass man schuldig gewesen sei, sagte er der BBC. Stattdessen fordere er eine Entschuldigung der Regierung.
Auch die Bundesregierung will noch im Oktober einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem Homosexuelle rehabilitiert werden sollen. In Deutschland wurden nach 1945 mehr als 50.000 Männer auf Grundlage des schwulenfeindlichen Paragrafen 175 verfolgt und zu teils mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Quelle: ntv.de, chr/dpa,AFP