Politik

Selenskyj fordert Ehrlichkeit London und Paris warnen vor Verhandlungs-Lügen

Anfang März trafen sich Arbeitsgruppen aus Russland und der Ukraine an der ukrainisch-belarussischen Grenze.

Anfang März trafen sich Arbeitsgruppen aus Russland und der Ukraine an der ukrainisch-belarussischen Grenze.

(Foto: picture alliance/dpa/BelTA/AP)

Moskau habe oft gelogen, sagt die britische Außenministerin Truss. Auch die diplomatischen Treffen zwischen Russland und der Ukraine könnten ihrer Ansicht nach hinterlistige Manöver sein. Der Kreml hingegen sieht die Gründe für den ausbleibenden Erfolg der Gespräche woanders - und zwar in Washington.

In der vergangenen Nacht wandte sich Wolodymyr Selenskyj abermals an Russland und forderte den Kreml zu Gesprächen auf. "Sinnvolle Verhandlungen über Frieden und Sicherheit für die Ukraine, ehrliche Verhandlungen und ohne Verzögerungen, sind die einzige Chance für Russland, seinen Schaden durch eigene Fehler zu verringern", sagte der ukrainische Präsident in einer Videoansprache. Die Aufnahme wurde über Facebook verbreitet, sie zeigt Selenskyj bei Dunkelheit in einer menschenleeren Straße Kiews.

"Es ist Zeit, sich zu treffen, zu diskutieren, Zeit, die territoriale Integrität und die Gerechtigkeit für die Ukraine wieder herzustellen", sagte der Regierungschef. Ansonsten würden "die Verluste für Russland so sein, dass es mehrere Generationen braucht, um sich davon zu erholen". Selenskyj bekräftigte seine Forderung nach direkten Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über eine Friedenslösung.

Doch bislang blieben Selenskyjs Aufrufe ohne Erfolg, auch die Verhandlungen zwischen russischen und ukrainischen Delegationen brachten keine greifbaren Ergebnisse. Und außerhalb der Ukraine mehren sich unterdessen Stimmen, die die bisherigen diplomatischen Annäherungen zwischen Kiew und Moskau sogar gänzlich hinterfragen. Nutzt der Kreml die Friedensgespräche als Verschnaufpause oder als Finte, um seine Armee neu aufzustellen und in den kommenden Tagen womöglich noch brutaler angreifen zu können?

Genau das fürchtet die britische Außenministerin Liz Truss. Sie warnt, Moskau könne die Verhandlungen als Ablenkungsmanöver für eine militärische Neuordnung nutzen. "Ich bin sehr skeptisch", sagte Truss in einem Interview in der Londoner "Times". Sie fügte hinzu: "Was wir bislang gesehen haben, ist ein Versuch der Russen, Zeit für eine Reorganisation zu gewinnen." Es gebe keine Anzeichen für einen Abzug russischer Truppen oder ernsthafte Vorschläge auf dem Verhandlungstisch. Moskau habe wieder und wieder gelogen, so Truss weiter. Kiew habe aber selbstverständlich das Recht, Gespräche mit Russland zu führen.

Ähnlich hatte sich am Donnerstag bereits Truss' französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian geäußert und Russland vorgeworfen, nur zum Schein mit der Ukraine zu verhandeln. Der Kreml verfolge dieselbe Strategie wie bereits in Grosny in Tschetschenien und im syrischen Aleppo. "Erst bombardieren, dann sogenannte humanitäre Korridore einrichten, um dem Gegner vorzuwerfen, sie nicht zu respektieren, und schließlich verhandeln, nur um den Eindruck zu erwecken, dass verhandelt wird", sagte Le Drian der Zeitung "Le Parisien". Russland werde "weiter die Waffen sprechen lassen".

Briten offen für Rolle als Garantiemacht

Auf die Frage, ob Großbritannien als Garantiemacht für einen Friedensschluss in der Ukraine auftreten könne, zeigte sich die britische Außenministerin Truss offen. Bisherige Bemühungen, der Ukraine Sicherheit und Selbstbestimmung zu geben, seien aber gescheitert. Daher müssten neue Lösungen gefunden werden, mahnte sie. Keinesfalls dürfe aufgrund von Verhandlungen auf Sanktionen gegen Moskau oder Waffenlieferungen an Kiew verzichtet werden. Voraussetzung sei zudem, dass Russland die Ukraine verlasse, so Truss.

Gleichzeitig warnte die konservative Politikerin aber auch vor einer weiteren Verschärfung des Konflikts. Der russische Präsident Wladimir Putin werde durch das zunehmende Scheitern seines Vorhabens in der Ukraine immer verzweifelter. "Es gibt immer das Risiko, dass er zu immer extremeren Maßnahmen greift, wenn er keinen Fortschritt macht, und wir haben bereits entsetzliche Gräueltaten in der Ukraine gesehen", sagte Truss.

Zuvor hatte der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk die Souveränität und territoriale Unversehrtheit seines Landes sowie die staatliche Unabhängigkeit als rote Linien für die Friedensverhandlungen hervorgehoben. Diese seien "unverrückbar", so Stefantschuk in einem Beitrag auf der Webseite der Obersten Rada. Daher könne es nur ein Ergebnis geben: "Das ist unser Sieg." Stefantschuk ist in die derzeitigen Verhandlungen mit dem Kriegsgegner und den damit verbundenen Entscheidungsprozess eingebunden. Auf dem Weg zu diesem "Sieg" gehe man "Schritt für Schritt" die wichtigen Punkte an. "Wir bewegen uns in die richtige Richtung", schrieb Stefantschuk. Aber das ukrainische Volk habe für seine Unabhängigkeit bereits mit dem Leben vieler Bürger bezahlt.

"Es ist uns wichtig, die Sicherheit wiederherzustellen und Garantien für das sichere Funktionieren unseres Staates zu erhalten", fuhr Stefantschuk fort. Mit Blick auf die von Moskau geforderte Anerkennung der abtrünnigen Gebiete, der selbst ernannten "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk, betonte er, diese lägen weiterhin innerhalb der international anerkannten Grenzen der Ukraine.

Lawrow: Verbindung zu China wird stärker

Derweil warf der russische Außenminister Sergej Lawrow den USA vor, die Friedensverhandlungen zwischen Moskau und Kiew zu erschweren. "Als (der ukrainische Präsident Wolodymyr) Selenskyj Verhandlungen vorschlug, stimmte unser Präsident zu, die Verhandlungen sind im Gange", sagte Lawrow der Agentur Interfax zufolge. "Ein Teil des Dialogs hat sich verbessert, obwohl man ständig das Gefühl hat, dass die ukrainische Delegation an der Hand gehalten wird, höchstwahrscheinlich von den Amerikanern, und es ihnen nicht erlaubt wird, den Forderungen zuzustimmen, die meiner Meinung nach absolut minimal sind."

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Kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine begannen Delegationen beider Länder mit Verhandlungen. Moskau fordert etwa einen Verzicht der Ukraine auf einen NATO-Beitritt und eine Anerkennung der ostukrainischen Separatistengebiete Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten sowie der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim als russisches Gebiet. Kiew will eine Waffenruhe, den Abzug russischer Truppen sowie Sicherheitsgarantien.

Lawrow erklärte außerdem, dass die zunehmenden Spannungen mit dem Westen Russlands Beziehungen zu China stärken würden. Über mögliche zukünftige Kooperationen mit dem Westen sagte er: "Natürlich sind wir weiterhin offen für die Zusammenarbeit mit allen Ländern, auch mit westlichen, obwohl wir unter den Umständen, wie der Westen sich verhalten hat, keine Initiativen entwickeln werden." Die Initiative müsse dann vom Westen ausgehen.

Quelle: ntv.de, mbe/dpa/AFP

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