Politik

"Wüsste nicht, was das hervorrufen sollte" Merkel denkt nicht an die Kehrtwende

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Kanzlerin Merkel lässt sich selten auf Talksendungen ein. Bei Anne Will war sie nun schon zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Alle, die von Kanzlerin Merkel ein Umdenken erhofft haben, werden in der Talksendung "Will" enttäuscht: Obergrenzen, Grenzschließungen und nationale Alleingänge lehnt sie weiter ab. Sie wird an diesen Sätzen gemessen werden.

Dass Kanzlerin Angela Merkel in eine Talkshow geht und live Fragen zu ihrer Politik zulässt, ist äußerst selten. Erst zwei Mal hat sie diesen Schritt bisher gewagt. Dass sie sich am Abend nun zum zweiten Mal innerhalb von einem halben Jahr von Anne Will befragen lässt, lässt nur zwei Schlüsse zu: Die Regierungschefin steht unter höchstem Druck. Oder: Sie hat etwas Neues zu verkünden.

Nach einer Stunde ist klar: Nur einer der beiden Schlüsse trifft zu. Merkel steht extrem unter Beschuss. Die Flüchtlingsfrage spaltet die Deutschen, sie spaltet Europa und sie spaltet die Union. In zwei Wochen gibt es drei wichtige Landtagswahlen und Merkels Partei könnte dabei herbe Verluste einstecken. Es gibt sogenannte Parteifreunde, die ihre Absetzung vorbereiten. Da muss die sonst so nüchterne CDU-Chefin in die Offensive gehen.

Doch inhaltlich hat Merkel nicht das zu bieten, was viele von ihr wahlweise erhofft oder befürchtet hatten. Wills Leitfrage "Wann steuern Sie um, Frau Merkel?" ist nach wenigen Momenten beantwortet: Merkel denkt nicht daran. "Nein, ich steuere nicht um", sagt sie. Und: "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Weg, den ich eingeschlagen habe, der richtige ist." Die Regierungschefin bittet um Geduld: "Für die Lösung des Problems brauchen wir eine gewisse Zeit."

"Das ist nicht mein Europa"

Gleichwohl weiß sie, dass immer weniger Menschen dazu bereit sind, ihr diese Zeit einzuräumen. Will konfrontiert Merkel mit einer Umfrage, nach der 81 Prozent sagen, sie habe die Flüchtlingskrise nicht im Griff. "Das verstehe ich, dass sie das sagen", so Merkel, "weil das Problem noch auf dem Weg der Lösung ist. Aber wir haben noch viele Schritte zu gehen."

Und welche das ihrer Meinung nach sind – oder besser: welche das nicht sind -, stellt Merkel klar: "Grenzschließungen beseitigen nicht das Problem." Auch Obergrenzen hält sie "persönlich für falsch": "Ich habe mir vorgenommen, in so einer ernsten Lage nichts zu versprechen, was dann nur drei Wochen hält." Der Weg der Österreicher, der Ungarn und Mazedoniens? Unsolidarisch, findet sie. "Wir können doch Griechenland nicht so einfach sitzen lassen." Und sie wandelt einen Satz ab, mit dem sie immer wieder zitiert worden ist: "Das ist genau das, wovor ich jetzt Angst habe, wenn der eine seine Grenze definiert, muss der andere leiden. Das ist nicht mein Europa."

Es läuft nun, da Merkel die Kehrtwende ausfallen lässt, alles auf den 7. März zu, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU mit der Türkei treffen. Für Merkel der einzige, alternativlose Weg: Die Fluchtursachen müssen bekämpft, die Türkei dabei unterstützt werden, die EU-Außengrenze so dicht wie möglich zu machen. Dass da manch einer ausschert, enttäuscht sie. Aber: "Meine verdammte Pflicht ist es, dafür zu sorgen, dass Europa einen gemeinsamen Weg findet."

"Das ist eine Zeit, die habe ich mir nicht ausgesucht"

Merkel betont immer wieder die besondere Verantwortung Deutschlands in der Flüchtlingskrise. Dass die Osteuropäer eine bisweilen deutlich egoistischere Haltung an den Tag legen, lässt die Kanzlerin nicht als Vorbild für Deutschland gelten. Und über Alternativen, einen Plan B, nachzudenken, verbietet sich in ihrer Logik: "Es hat keinen Sinn, zwei Dinge gleichzeitig zu bewegen", sagt sie. Und meint: Wer nicht voller Überzeugung einen Weg verfolgt, der wird ihn nie erfolgreich zu Ende führen.

Merkel ist so leidenschaftlich, wie sie sonst selten auftritt. Es geht um etwas, das merkt man. Auch um ihre Kanzlerschaft? Wenn es am 7. März nicht klappt, die EU-Partner auf Linie zu bekommen, zieht sie dann Konsequenzen? "Nein, dann muss ich ja weitermachen", antwortet sie lapidar. Und trotzt damit den vielen Kritikern, die sie auch in den eigenen Reihen und bei Verbündeten hat. Edmund Stoibers Vorwurf, sie spalte die Gesellschaft? Kann sie nicht nachvollziehen: "Das ist eine Zeit, die habe ich mir nicht ausgesucht." Sigmar Gabriels Forderungen nach einem Sozialpaket für Alteingesessene? Führt in die falsche Richtung: "So zu tun als bräuchten wir eine riesige neue Anstrengung, das sehe ich nicht." Schließlich hätte sie gemeinsam mit der SPD viele Projekte für die Bevölkerung auf den Weg gebracht. Und all jene, die bei den Wahlen um Stimmen bangen, die womöglich bei der AfD, die Merkel indirekt als undemokratisch bezeichnet, landen, besänftigt sie: Sobald die Wähler den Eindruck gewinnen, die Krisenstrategie der Kanzlerin wirke, kommen sie zurück, so ihre Überzeugung.

Überhaupt: die zunehmende Radikalisierung. "Ist das noch Ihr Volk?", fragt Will gleich zu Beginn etwas pathetisch nach Filmsequenzen von Clausnitz, wo ein wütender Mob verängstigte Flüchtlinge in einem Bus begrüßt. Merkel wiederholt: Sie findet die Bilder abstoßend und schrecklich, vor allem, weil sie in einer "gewissen Kontinuität zu Heidenau" stünden. Sie setzt dem einen "humanitären Imperativ" entgegen. Dass in der Kölner Silvesternacht Flüchtlinge aus Nordafrika Dutzende Frauen sexuell belästigten, war für diese Entwicklung "verheerend", sagt sie. Ein Umdenken schließt Merkel aber aus: "Ich wüsste nicht, was das hervorrufen sollte." An diesen Worten wird sie in den kommenden Wochen gemessen werden.

Quelle: ntv.de

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