Großbritannien will nicht zahlen Merkel versteht Camerons Ärger über EU
24.10.2014, 15:48 Uhr
Die Briten sollen Milliarden Euro an Brüssel überweisen. Das schmeckt Premier Cameron überhaupt nicht: "Wir werden keinen Scheck schreiben", poltert er vor Zorn. Bundeskanzlerin Merkel zeigt sich milde - im Gegensatz zu Frankreich und Finnland.
Forderungen der Europäischen Union nach Geld führen stets zu Streit mit Großbritannien, doch dieses Mal ist die Empörung besonders groß: Nachdem die EU von London eine Nachzahlung in Höhe von zwei Milliarden Euro forderte, ist Premier David Cameron auf dem EU-Gipfel in Brüssel der Kragen geplatzt. Erbost forderte der Konservative, der zu Hause unter Druck der EU-Gegner steht, ein Sondertreffen aller Finanzminister. "Wir werden nicht plötzlich unser Scheckbuch herausholen und einen Scheck über zwei Milliarden Euro schreiben. Das wird nicht passieren."
Er spüre "regelrechten Zorn", sagte Cameron am Rande des Treffens der 28 Staats- und Regierungschefs. Der Premier zweifelte die Höhe des Betrags an: Er wolle von der Kommission wissen, "wie in aller Welt man bei diesen Zahlen angekommen" sei. Cameron fühlt sich von Italien, den Niederlanden, Malta und Griechenland unterstützt, die ebenfalls von Nachforderungen betroffen sind. Brüssel beruft sich auf die Rechtsgrundlage. Frankreichs Präsident François Hollande sagte, das europäische Recht müsse respektiert werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte derweil Verständnis für Camerons Ärger: "Es ist auch nicht einfach, in drei Wochen zwei Milliarden Euro zu zahlen, wenn man gerade in Haushaltsplanungen ist." Camerons Vorschlag, die Finanzminister einzuschalten, sei richtig. Merkel betonte: "Auch ich war erstaunt, wie der eine was kriegt und der andere was zahlen muss." Sie schränkte zugleich ein: "Dass, was da errechnet wurde, wird von uns erst einmal nicht angezweifelt." Der scheidende EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso versicherte, es werde ein Treffen der Finanzminister mit der Kommission geben, um dieses Thema zu besprechen.
Der Grund der Verärgerung: Die EU-Kommission hat die fälligen Nachzahlungen der Mitgliedstaaten an Brüssel für das laufende Jahr kalkuliert und demnach soll Großbritannien 2,1 Milliarden Euro überweisen. Auch andere Länder sind betroffen, aber nicht in diesem Ausmaß. Deutschland hingegen soll den vorläufigen Berechnungen zufolge 779 Millionen Euro zurückerhalten, das mit Haushaltsproblemen kämpfende Frankreich sogar etwa eine Milliarde Euro.
"BIP höher als gedacht"
Etwa 70 Prozent des EU-Budgets werden aus den Hauptstädten in einer Art Mitgliedsbeitrag nach Brüssel überwiesen. Er richtet sich nach der Wirtschaftsleistung der Länder. "Im Fall von Großbritannien und den Niederlanden ist das Bruttoinlandsprodukt 2014 wesentlich höher gewesen, als sie selbst Anfang des Jahres gedacht haben, also wird ihr Beitrag erhöht", sagte der Sprecher von EU-Haushaltskommissar Jacek Dominik.
Auf der britischen Insel ließ die Nachricht die Stimmung hochkochen. "Das ist einfach empörend", sagte der Chef der EU-feindlichen United Kingdom Independent Party (Ukip), Nigel Farage. Cameron habe versprochen, die Zahlungen an die EU zu verringern - doch nun steige der Betrag, setzte Farage den Premier unter Druck. "Die EU ist wie ein durstiger Vampir, der sich vom Blut der britischen Steuerzahler ernährt."
Camerons regierende Konservative müssen sich im Frühjahr Parlamentswahlen stellen. Bei den Europawahlen im vergangenen Mai war die Ukip stärkste Kraft geworden. Der britische Premier hat den Briten unter dem Druck der EU-Skeptiker bei einer Wiederwahl für 2017 ein Referendum über den Verbleib in der EU versprochen.
Prostitution mitberechnet
Die starken Veränderungen in der EU-Rechnung sind offenbar eine Folge der von der Statistikbehörde Eurostat eingeführten Neuerung, bei der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes etwa auch illegale Wirtschaftsbereiche wie Prostitution und Drogenhandel sowie Investitionen zu berücksichtigen. Zudem trage die gute wirtschaftliche Entwicklung in Großbritannien zu der Nachzahlung bei, sagte Kommissionssprecher Fiorilli. "Die britische Wirtschaft wächst viel schneller als die der anderen und die Logik ist dieselbe wie bei Steuern: Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuern."
Die Niederlande sollen ebenfalls Geld an Brüssel überweisen, Regierungschef Mark Rutte zufolge mehr als 600 Millionen Euro. "Diese Nachricht ist eine unschöne Überraschung und wirft viele Fragen auf", sagte Rutte dem Rundfunksender NOS.
Berichten zufolge hatten sich der britische Premierminister David Cameron und sein niederländischer Kollege bereits in der Nacht zum Freitag getroffen um zu beraten, wie sie den Forderungen begegnen können, die bereits am 1. Dezember fällig sein sollen.
Österreich erfreut
Zufrieden war hingegen Österreichs Kanzler Werner Faymann, der den bisherigen Berechnungen zufolge Geld zurückerhalten soll. "Ich freue mich, wenn zusätzliches Geld ins Haus kommt, das können wir gut brauchen", sagte der Sozialdemokrat. "Aber den Tag soll man nicht vor dem Abend loben." Über das Thema werde sicherlich noch gesprochen. "Nachdem mehrere Länder betroffen sind, wird es da sicherlich eine gemeinsame Debatte geben."
Der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb kritisierte beim EU-Gipfel die Haltung seines britischen Kollegen: "Die EU ist keine Verrechnungsübung, in der man nachschaut, wieviel man hineinzahlt und wie viel man herausbekommt. Großbritannien ist wie Finnland ein reiches Land. Und anders als Finnland hat Großbritannien einen Rabatt." Stubb spielte damit auf den sogenannten "Britenrabatt" an, den die damalige britische Premierministern Margaret Thatcher in den 1980er Jahren herausgeschlagen hatte.
Quelle: ntv.de, rpe/AFP/dpa/rts