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Abschieben und integrieren, die deutschen Grenzen offen halten, die europäischen schließen: Im Bundestag wirbt Kanzlerin Merkel für ihren Mittelweg in der Flüchtlingskrise.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Flüchtlingskrise als "historische Bewährungsprobe Europas" bezeichnet. In einer Regierungserklärung im Bundestag betonte sie, es gebe nicht "den einen Schalter", den man umlegen könne, um diese Krise zu lösen.
In den vergangenen Tagen war Merkel aus ihrer eigenen Partei wiederholt dafür kritisiert worden, nicht dafür gesorgt zu haben, dass die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge sinkt. Merkel griff diese Kritik indirekt auf und sagte, Abschottung sei eine "Illusion" und keine vernünftige Alternative, weder für Deutschland noch für Europa insgesamt.
Der Anlass für Merkels Regierungserklärung war das Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Sie nutzte ihre Rede aber auch, um für die Zustimmung zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz zu werben, das noch heute im Bundestag diskutiert und verabschiedet werden soll. Eine Enthaltung sei in einer solchen Frage "keine Option", so Merkel. Eine Enthaltung hatten die Grünen angekündigt.
Ziel des Gesetzes sei es, dass die Menschen, die aus wirtschaftlicher Not nach Deutschland kämen "und sich zu Unrecht auf das Asylrecht berufen", schneller in ihre Heimatländer geschickt würden. Wer vor Verfolgung und Krieg geflohen sei, solle dagegen schneller Hilfe bekommen. Merkels Rede war, wie ihre Flüchtlingspolitik insgesamt, ein Spagat: Ihren Kritikern in den Reihen von CDU und CSU signalisierte die Kanzlerin, sie wolle durchaus dafür sorgen, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Zugleich hielt sie, möglicherweise mit Blick auf die Grünen, an ihrer Linie fest, dass die deutschen Grenzen nicht geschlossen werden sollen. Im Bundesrat braucht die Koalition die Zustimmung von mindestens vier grün-mitregierten Ländern. Ausdrücklich bat Merkel die Abgeordneten "um Ihrer aller Unterstützung".
"Ohne die Türkei geht es nicht"
Über die Integration der Flüchtlinge, die in Deutschland bleiben würden, sagte Merkel, diese müsse "auf der Grundlage unserer Verfassung, auf der Grundlage unserer Werte und auf der Grundlage unserer Gesetze" geschehen. In einem kurzen Einschub wies sie darauf hin, dass der Aufenthaltsstatus für Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten auf drei Jahre beschränkt sei. Danach werde geprüft, ob die Fluchtursachen noch gegeben seien.
Merkel machte aber deutlich, dass sie nicht damit rechne, dass der Bürgerkrieg in Syrien bald beendet werden kann. Nötig sei ein Prozess des Dialogs, der internationale und regionale Akteure einschließe. Den syrischen Machthaber Baschar al-Assad erwähnte Merkel an dieser Stelle nicht, Russland dagegen schon. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier reist in den nächsten Tagen nach Kuwait, in den Iran und nach Saudi-Arabien, sie selbst in die Türkei. Dieses Land spiele eine Schlüsselrolle in der Flüchtlingskrise, so Merkel: "Wir werden die Flüchtlingsbewegungen nicht ordnen und eindämmen können ohne die Türkei."
Erklärtes Ziel der Kanzlerin ist es, dass möglichste viele Flüchtlinge in der Türkei bleiben. Mehr als zwei Millionen Syrer, Iraker und Afghanen halten sich derzeit in dem Nato-Land auf, die weitaus meisten ohne jede Unterstützung der Behörden.
Merkel sagte, sie verstehe, "dass manche von uns besorgt sind, ob es Europa gelingt, nicht nur aktuelle Interessen zum Ausdruck zu bringen, sondern gleichzeitig auch unsere Werte zu behaupten". Bei ihren Gesprächen in der Türkei würden alle Fragen auf den Tisch kommen: der Krieg in Syrien, eine mögliche Visafreiheit für Türkei bei Reisen nach Europa, der Kampf gegen den Terrorismus, aber auch die Situation der Menschenrechte in der Türkei.
Über die Verteilung von Flüchtlingen in Europa sagte Merkel, hier werde "noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein, aber wir werden nicht nachlassen". Außerdem will Merkel die Lage an den Außengrenzen der EU "besser in den Griff bekommen". Es habe nicht funktioniert, diese Aufgabe den jeweiligen Staaten zu überlassen; die Kontrolle der EU-Außengrenze müsse daher als gesamteuropäische Aufgabe verstanden werden. Mit Blick auf die Abschiebung von nicht anerkannten Asylbewerbern sagte sie, die europäische Rückführungsquote, die im vergangenen Jahr unter 40 Prozent gelegen habe, müsse verbessert werden - das gelte vor allem auch für Deutschland.
Quelle: ntv.de