
Baerbock und Habeck wollen wieder in die Offensive kommen.
(Foto: dpa)
Nach denkbar schwierigen Wochen versuchen Kanzlerkandidatin Baerbock und ihr Mitstreiter Habeck wieder Oberwasser zu bekommen. Mit viel Tam-Tam stellen sie ihr Klima-Sofortprogramm vor. Vor dem Hintergrund der Naturkatastrophen in Deutschland und Europa kehren die Grünen zu ihren Wurzeln zurück.
Nur wenige Zentimeter fehlen und die Grünen-Spitze hätte einen Laubfrosch auf dem Gewissen. Denkbar knapp kann der Kameramann noch ausweichen, als er den Auftritt der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und ihres Co-Parteivorsitzenden Robert Habeck inmitten des Naturschutzgebiets Biesenthaler Becken filmt. Dieses von Gewässern und Mooren durchzogene Wald- und Wiesengebiet nördlich von Berlin ist der Schauplatz, an dem das Politiker-Duo vor Dutzenden Medienvertretern ein "Klimaschutz-Sofortprogramm für die nächste Bundesregierung" vorstellt - und dafür auch ein paar Kollateralschäden in der örtlichen Tierwelt in Kauf nimmt. Wobei: Die höchste Opferzahl hat die hiesige Mückenpopulation zu beklagen, als sie sich an den versammelten Hauptstädtern zu vergehen versucht. Man könnte meinen, die Grünen übten unter Zuhilfenahme der Stechmücken Blutrache an der Presse für die zuletzt so kritische Berichterstattung.
Tatsächlich bezweckt der Schönwettertermin samt geführter Moorwanderung das Gegenteil. Die Partei versucht wieder in die Offensive zu kommen im Bundestagswahlkampf. Über Monate hinweg hatte die Strategie geheißen, sich den Menschen als Vollsortimenter zu präsentieren; als eine Partei, die auch Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- und Außenpolitik beherrscht. Mit einem Pietätsabstand von zwei Wochen nach der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz stellen Baerbock und Habeck nun wieder ihre Kernkompetenz ins Schaufenster: Klima- und Umweltschutz.
"Klima retten, Menschen schützen" lautet die Überschrift des Sofortprogramms, dessen Dringlichkeit Baerbock damit begründet, dass "nicht nur die letzten Wochen in Deutschland, sondern gerade ja auch im Süden Europas deutlich gemacht haben: Die Klimakrise ist nichts Abstraktes, sondern sie passiert hier mitten unter uns". Der Zehn-Punkte-Plan soll deutlich machen, was die Partei im Falle einer Regierungsbeteiligung sofort umzusetzen gedenkt.
Die Grünen fordern ein Klima-Ministerium mit Vetorecht
Das Sofortprogramm ist vor allem ein Best-of des seit Wochen bekannten Bundestagswahlprogramms. Einzige Neuerung: Die Grünen wollen ein Klimaschutzministerium schaffen, das gegen alle Gesetze und Novellen anderer Ministerien ein Veto einlegen darf, wenn diese den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens zuwiderlaufen. Dieses Ministerium soll zudem während der ersten 100 Tage einer neuen Bundesregierung eine wöchentlich tagende "Klima-Task-Force" mit Beteiligten aller Ressorts anleiten. Deutschland habe "keine Zeit mehr für Hin- und Hergeeiere zwischen den Ministerien", erklärt Baerbock die Idee hinter der Task-Force, die eine "Richtlinienkompetenz für alle Ressorts" haben soll.
Fraglich ist, wie begeistert mögliche Regierungspartner von der Idee einer Art Klima-Kanzleramt sind, das in Form des Klimaschutzministeriums in jedes andere Ressort reinreden dürfte. Zumal die Grünen gar nicht anders könnten, als dieses neue Ministerium für sich zu beanspruchen. Baerbock spricht auf Nachfrage davon, dass dieses neu zu schaffende Ministerium Ökologie und Ökonomie zusammenbringen müsse. "Wir führen jetzt hier keine zugeschnittenen Ressortzuteilungen", wehrt Baerbock die Nachfrage nach einer Fusion von Wirtschafts- und Umweltministerium ab. Die Kanzlerkandidatin wahrt sich Verhandlungsspielraum für denkbar komplizierte Koalitionsverhandlungen. Eine Liebesheirat erwartet nach der Wahl niemand.
Ähnlich handhabt es Habeck, der zum Ziel eines Kohleausstiegs bis zum Jahr 2030 sagt: "Am Ende ist entscheidend, dass Emissionen zurückgehen." Da komme es nicht zwingend darauf an, wann das letzte Kohlekraftwerk vom Netz geht. Habeck, der nach seinem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur angekündigt hatte, hinter den Kulissen Koalitionsverhandlungen vorzubereiten, will sich nur auf eine rote Linie festlegen: "Ich würde sagen, eine Regierungsbeteiligung der Grünen, ohne dass wir überprüfbar mit Maßnahmen auf einem Pfad sind, der uns in das Pariser Abkommen bringt, das macht keinen Sinn."
Es gebe aber verschiedene Möglichkeiten, um das Ziel einer maximalen Erderwärmung von 1,5 bis 2 Grad zu erreichen, sagt Habeck und spricht von "kommunizierenden Röhren". Er meint: Potenzielle Koalitionspartner, die an der Kohle länger als die Grünen festhalten wollen, müssten dann andere Vorschläge zur Reduktion des CO2-Ausstoßes vorlegen. Vorschläge, die womöglich tiefer in das Alltagsleben aller Wähler eingreifen würden als der Kohleausstieg, der eine vergleichsweise begrenzte Zahl an Menschen und Regionen treffen wird.
Die Laune ist demonstrativ gut
Es fällt einmal mehr Habeck zu, die Themen Wirtschaft und Finanzen zu erläutern. "Grüne Pressekonferenz, wir reden von Wachstum, in der Tat", beendet Habeck seine Ausführungen. Überraschender ist aber noch, dass Habeck in weißem Hemd, blauem Anzug und hellbraunen Lederschuhen durch den teils matschigen Wald streift. Ungewöhnlich ministeriell für den Mann, der sich bisher am liebsten in Jeans und schwarzem Hemd zeigte. Hatte die Pressestelle nicht Outdoor-Kleidung bei den Teilnehmern vorgeschlagen? "Anschlusstermine", heißt es zur Erklärung. Die hat sicher auch Baerbock, doch die Kanzlerkandidatin erscheint in Lederjacke und einfachen Sneakern.
Nach den schwierigen Wochen um Baerbocks nachgemeldete Einkünfte und Ämter sowie ihre Buch-Affäre ist der wohlvorbereitete Auftritt beider von demonstrativ guter Laune geprägt. Die Stimmung mag von der Hoffnung herrühren, die Talsohle durchschritten zu haben. Es geht bergauf in den Umfragen, zumindest aber bergab für Unionskandidat Armin Laschet. Baerbock und Habeck lächeln viel und lassen sich von Christian Unselt, Vizepräsident des Naturschutzbundes NABU, ausführlich die Bemühungen zur Renaturierung der Moore im Biesenthaler Becken erklären.
95 Prozent der Moore in Deutschland sind trocken und emittieren CO2, weiß Habeck zu berichten. Hauptursache sind Gräben zur Absenkung des Wasserspiegels, damit vor allem Ackerflächen, aber auch Bauland entstehen. Nasse, gesunde Moore hingegen binden CO2, weshalb ihre Wiedervernässung großes Potenzial nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch zum Erhalt gesunder Wälder und der Artenvielfalt bergen.
Stichwort Klima: "Das Klima ist bestens. Es gibt keine Notwendigkeit für Aussprachen", sagt Habeck über die Schwierigkeiten der vergangenen Wochen und mögliche atmosphärische Störungen in der Grünen-Spitze. Die Partei wolle "zum Angriff blasen", kündigt er an. Und Baerbock sagt mit Blick auf die beginnende Wahlkampftour: "Am Montag geht der Wahlkampf richtig los." Gegen Ende ihrer Tour findet Habeck eine Erdkröte am Wegrand und legt sie der etwas ratlosen Baerbock in die Hand. Die gibt das Tier, dunkelbraun und kaum größer als ein 2-Euro-Stück, sicherheitshalber gleich wieder frei. Dann verschwindet der Medien-Tross aus dem Biesenthaler Becken, und es herrscht wieder Ruhe am idyllischen Hellsee und seinen umliegenden Mooren.
Quelle: ntv.de