Politik

Ukraine braucht Nachschub Munition wird zur entscheidenden Frage

Der Krieg in der Ukaraine ist an der Front im Osten vor allem ein Krieg der Artillerie.

Der Krieg in der Ukaraine ist an der Front im Osten vor allem ein Krieg der Artillerie.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Seit Wochen häufen sich die Warnungen, sei es aus Kiew, vom NATO-Generalsekretär oder von deutschen Politikern: Der Ukraine geht die Munition aus. Deren Nachschub dürfte aber fast noch wichtiger sein als neue Waffengattungen wie Kampfjets.

Gleich nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet hatte, dass deutsche Leopard-2-Panzer in die Ukraine rollen sollen, meldete sich Andrij Melnyk zu Wort. Auf Twitter forderte der ukrainische Vize-Außenminister, nun müssten auch Kampfflugzeuge, U-Boote und Kriegsschiffe geliefert werden. Und tatsächlich wird ernsthaft darüber diskutiert, der Ukraine das US-Modell F16 zu überlassen. Doch möglicherweise benötigt das Land etwas anderes noch dringender: Munition.

Denn der Verbrauch ist enorm. Im vergangenen November schätzte ein US-Regierungsvertreter, dass die Russen täglich rund 20.000 Artillerieschüsse abgeben. Bei den Ukrainern seien es 4000 bis 7000. Wegen des sich abzeichnenden Mangels sind diese Zahlen mittlerweile gesunken, doch warnte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg diese Woche: "Die gegenwärtige Frequenz des Munitionsverbrauchs der Ukraine ist um ein Vielfaches höher als unsere gegenwärtige Produktionsrate."

"Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass Präsident Putin sich auf den Frieden vorbereitet", sagte der Norweger am Dienstag in Brüssel. "Er bereitet sich auf mehr Krieg vor, auf neue Offensiven und neue Angriffe." Deshalb sei jetzt die Waffenhilfe für die Ukraine besonders wichtig. "Aber es ist auch äußerst wichtig, sicherzustellen, dass alle bereits gelieferten Systeme so funktionieren, wie sie sollten." Neben Munition meinte er damit auch die Wartung und Reparatur.

"Kapazitäten jetzt maximal hochfahren"

Auch deutsche Politiker haben das Problem erkannt. Verteidigungsminister Boris Pistorius appellierte an die deutsche Rüstungsindustrie, ihre Produktion wegen des Krieges in der Ukraine zu steigern. "Die Rüstungsindustrie kann ich nur herzlich bitten, schnellstmöglich alle Kapazitäten jetzt maximal hochzufahren", sagte er diese Woche. Dies sei in den kommenden Monaten entscheidend auch bei der Hilfe für die Ukraine. Mit einem baldigen Ende des Krieges sei nicht zu rechnen. Die "Süddeutsche Zeitung" zitierte Anfang Februar einen Brigadegeneral aus dem Verteidigungsministerium mit den Worten: "Munition ist und bleibt die entscheidende Frage - und das für längere Zeit."

FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber weist darauf hin, dass mit der bevorstehenden russischen Offensive der Munitionsverbrauch auf beiden Seiten stark steigen werde. "Es werden Hunderttausende kommen, um zu morden, und jeden wird man mit einer Granate besser von der Heimreise überzeugen können", sagte er ntv.de. Die Ukraine benötige nun Raketen wie die PAC-2 zur Luftverteidigung und Artilleriemunition des Kalibers 155 Millimeter. CDU-Verteidigungsexperte Hennig Otte forderte im Südwestrundfunk sogar einen Nachtragshaushalt, um Munition für die Ukraine zu finanzieren. Das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro reiche dafür nicht aus.

Das Problem bei der Munition ist, dass Russland am längeren Hebel sitzt. Denn auch wenn die Ukrainer teilweise überlegene westliche Artillerie wie die amerikanische M777, die deutsche Panzerhaubitze 2000 oder die HIMARS-Raketenwerfer nutzen, feuern sie weiterhin mit alten Sowjetkanonen auf die Russen. Der Kreml aber hat ukrainische Waffenfabriken längst zerstört, sodass die Ukrainer selbst keinen Nachschub produzieren können. Wichtig ist es im Krieg, Kontrolle über die Munitionslager zu haben. Die zweite Quelle für alte Sowjetmunition sind für die Ukraine die anderen ehemaligen Ostblock-Staaten wie Polen, die baltischen Staaten oder Tschechien. Doch auch bei dort neigen sich die Vorräte dem Ende entgegen.

In Rumänien und Bulgarien gebe es zwar noch Anlagen, die solche Munition herstellen könnten, sagte der russische Historiker und Journalist Nikolay Mitrokhin ntv.de. Die Mengen reichten aber nicht aus. Ihm zufolge baut die Ukraine gerade ein Werk in einem osteuropäischen NATO-Land. Auch Russland bereitet der hohe Munitionsverbrauch Probleme. Mitrokhin zufolge setzt der Kreml deutlich weniger Raketen ein. Doch immerhin kann das Land ungestört nachproduzieren.

Munitionsproduktion für Gepard wieder in Deutschland

Der Westen hat begonnen auf den befürchteten Mangel in der Ukraine zu reagieren. An diesem Mittwoch beauftragten die USA zwei Rüstungskonzerne für umgerechnet mehr als 486 Millionen Euro Artillerie-Munition für die Ukraine herzustellen. Schon im kommenden Monat soll es eine erste Lieferung geben.

Für Deutschland gab Pistorius bekannt, dass künftig auch hierzulande wieder Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard hergestellt werden wird. 300.000 Schuss sollen produziert und ab Juli ausgeliefert werden. 32 des von der Bundeswehr ausrangierten Modells sind seit Mitte des vergangenen Jahres in der Ukraine im Einsatz. Von Anfang an war Munition dabei ein Problem. Gerade einmal 6000 Schuss lieferte Deutschland mit den 32 Panzern mit. Das Verteidigungsministerium bemühte sich, weitere Munition aus anderen Ländern zusammenzukaufen. Das war nicht überall erfolgreich: So lehnte beispielsweise die Schweiz einen Export von dort hergestellter Munition ab.

Zuletzt senkte Brasiliens Präsident Ignacio Lula da Silva den Daumen. Das bezog sich nicht nur auf die brasilianischen Geparden, sondern auf jegliche Munition - also auch die für den Kampfpanzer Leopard 1, der ebenfalls in die Ukraine exportiert werden soll. Da das Modell nicht mehr gebaut wird, gibt es nur noch Altbestände an Munition, unter anderem in Brasilien. Hier droht also ein ähnliches Problem wie beim Gepard.

Die Produktion und Lieferung von mehr Munition ist aber nur eine Möglichkeit, mit dem Mangel umzugehen. Großbritannien bildet beispielsweise ukrainische Soldaten für einen Kampf mit weniger Munition aus. "Die Ukraine verbraucht riesige Mengen Munition, um sich selbst zu verteidigen", sagt Verteidigungsminister Ben Wallace dem Sender Times Radio. "Das ist einer der Gründe, warum wir sie darin unterrichten, auf westliche Art zu kämpfen." Die russische oder sowjetische Art zu kämpfen sei sehr "munitionslastig" mit massiven Artillerie-Bombardements. "So haben wir uns nie organisiert, um in der NATO zu kämpfen."

Quelle: ntv.de

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