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Angriffe durch rechten Mob Nach den "Hetzjagden" - Prozess in Chemnitz beginnt

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Die Ausschreitungen hatten über Wochen die Berichterstattung dominiert.

Die Ausschreitungen hatten über Wochen die Berichterstattung dominiert.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Im September eskalieren nach dem Tod eines Menschen Proteste in Chemnitz. Rechtsextremisten solidarisieren sich mit bis dahin unauffälligen Bürgern. Mehrere Menschen werden bei Angriffen verletzt. Kanzlerin Merkel spricht von Hetzjagden in der sächsischen Stadt. Nach jahrelangen Ermittlungen stehen nun sieben Angeklagte vor Gericht.

Mehr als fünf Jahre nach dem Angriff beginnt am morgigen Montag vor dem Landgericht Chemnitz ein Prozess gegen sieben Angeklagte im Alter von 26 bis 51 Jahren. Ihnen wird vorgeworfen, nach einem sogenannten Trauermarsch von AfD, Pegida und Pro Chemnitz am 1. September 2018 Teilnehmer einer Gegendemonstration angegriffen zu haben. Es ist das erste von insgesamt drei Verfahren zu den damaligen Krawallen. Insgesamt sind nach Justizangaben 29 Beteiligte ermittelt worden. Damals waren elf Menschen verletzt worden.

Am Rande eines Stadtfestes in der sächsischen Stadt war am 26. August 2018 ein Deutscher im Streit mit Asylbewerbern erstochen worden. Ein Syrer wurde später wegen Totschlags verurteilt, ein weiterer Beteiligter ist auf der Flucht. Die Tat löste massive Proteste aus, bei denen Neonazis und Fußball-Hooligans Seite an Seite mit zuvor unauffälligen Bürgern demonstrierten. Es gab rassistische Angriffe und einen Anschlag auf ein jüdisches Restaurant. Außerdem gründete sich eine rechtsextreme Terrorgruppe.

Der damalige Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von Hetzjagden, später auch Kanzlerin Angela Merkel. Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen hatte dies mehrfach bezweifelt. Neben anderen Äußerungen führte dies Anfang November 2018 zu seiner Abberufung durch Innenminister Horst Seehofer.

Nebenklage: Startschuss für neue Generation von Rechtsterroristen

Mit Blick auf das anstehende Verfahren haben Opfervertreter die sächsische Justiz scharf kritisiert. Sie habe Betroffene rechter Gewalt wiederholt im Stich gelassen, erklärte die Nebenklagevertreterin Kati Lang. Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) sprach von einer "katastrophalen juristischen Aufarbeitung". Dies entmutige die Angegriffenen und stärke militante Neonazi-Netzwerke.

In Chemnitz habe es 2018 einen Schulterschluss der extremen Rechte gegeben. Zugleich sei es der Startschuss für eine neue Generation von Rechtsterroristen gewesen, betonte Heike Kleffner vom VBRG. Bei den nun vor Gericht Angeklagten handle es sich in großen Teilen um organisierte Neonazis, erklärte André Löscher, der für den Verein RAA Sachsen seit vielen Jahren in Chemnitz Betroffene rechter Gewalt berät. Sie seien kampfsportgeschult, um politische Gegner einzuschüchtern, anzugreifen und zu verletzen.

240 Ermittlungsverfahren - 235 Verdächtige

Die Ausschreitungen zogen nach früheren Angaben insgesamt mehr als 240 Ermittlungsverfahren nach sich. Dabei wurden 235 Tatverdächtige ermittelt. Es ging um Volksverhetzung, Beleidigung, Widerstand und Angriff auf Polizisten, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

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Ursprünglich sollte auch gegen zwei weitere Angeklagte verhandelt werden: Bei einem Bulgaren konnte laut Gericht die Ladung nicht zugestellt werden, so dass das Verfahren abgetrennt wurde. Bei einem anderen Mann wurde das Verfahren eingestellt, weil "die zu erwartende Strafe angesichts der in einem anderen Verfahren verhängten Strafe nicht beträchtlich ins Gewicht fiele", erklärte eine Gerichtssprecherin. Bei dem Prozess gibt es verschärfte Einlasskontrollen. Es sind elf Termine bis Ende Januar geplant.

Dass das Verfahren erst jetzt stattfindet, hat das Gericht unter anderem mit Einschränkungen durch die Corona-Pandemie begründet. Rechtsanwältin Lang räumte ein, dass es sich um ein sehr umfangreiches Verfahren handle. Aus ihrer Sicht hätte das Ganze aber auch mit Blick auf die bundesweite Tragweite engagierter vorangetrieben werden müssen. "Das Landgericht Chemnitz schreibt bisher kein Ruhmesblatt für die Aufklärung rechter Gewalttaten", konstatierte sie. "Für die Betroffenen ist das extrem frustrierend."

Quelle: ntv.de, jwu/dpa

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