Politik

SPD greift in Gespräche ein Parteien hoffen auf Regierung in diesem Jahr

Bisher haben sich lediglich Grüne und FDP zu Sondierungen getroffen. Am Sonntag allerdings greift auch Wahlsieger SPD ein - und spricht mit beiden Parteien. Auch die Union hofft noch auf das Kanzleramt, trifft sich zumindest schon mit den Liberalen. Doch CDU-Chef Laschet steht unter großem Druck.

Eine Woche nach der Bundestagswahl starten nun auch SPD und Union in konkrete Sondierungen für eine Regierungsbildung. Die SPD-Spitze will am Sonntag jeweils etwa zwei Stunden lang getrennt mit FDP und Grünen über eine von Kanzlerkandidat Olaf Scholz angestrebte Ampel-Koalition beraten. Am Abend wollen dann die Spitzen von CDU und CSU erstmals mit der FDP Chancen für ein Jamaika-Bündnis mit den Grünen ausloten. Nach dem historischen Wahldebakel der Union gerät Kanzlerkandidat und CDU-Chef Armin Laschet parallel zu den Sondierungen in den eigenen Reihen immer weiter unter Druck.

Die Grünen zeigten sich zuversichtlich, einer künftigen Koalition anzugehören. "Wenn wir uns nicht komplett dämlich anstellen, werden wir in den nächsten vier Jahren diese Regierung nicht nur mittragen, sondern maßgeblich mitbestimmen", sagte Parteichef Robert Habeck bei einem Kleinen Parteitag in Berlin. Er stellte seine Partei bereits auf "vier anstrengende Jahre" ein. "Ab jetzt, ab Weihnachten vielleicht, ist jede Krise unsere Krise, ist jede Herausforderung unsere Herausforderung." Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sagte, ihre Partei sei von sieben Millionen Menschen gewählt worden, darunter viele junge Leute. Dies gebe einen Auftrag, als Teil der Regierung für eine wirkliche Erneuerung des Landes zu sorgen.

Die Grünen beharren zudem auf der Vertraulichkeit ihrer Gespräche mit anderen Parteien. "Bei den letzten Sondierungen war es so, dass manchmal die Kommunikation über Twitter relevanter war als das, was im Raum geschehen ist", sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner unter Verweis auf die Jamaika-Gespräche mit der Union und der FDP 2017. Dies wollten die Grünen umkehren. "Es gibt einen gemeinsamen Willen aller Generalsekretäre, dass wir Vertraulichkeit wahren."

Über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen soll ein weiterer kleiner oder großer Parteitag entscheiden. Sobald ein Ergebnis der Sondierungen vorliege, sei dies kurzfristig möglich. "Es würde wenige Tagen brauchen, um das zu tun", sagte Kellner. Über einen Koalitionsvertrag und das Personaltableau der Grünen in einer Regierung sollen laut dem Antrag des Bundesvorstandes am Ende alle über 120.000 Mitglieder per Online-Urabstimmung entscheiden. "Auch das können wir in sehr kurzer Zeit machen", so Kellner. "Das heißt unter zwei Wochen."

"Bis Dezember abschließen"

Die SPD setzt derweil auf zügige Fortschritte in den Gesprächen mit FDP und Grünen. "Ich glaube, es kann gelingen, schnell zu guten Ergebnissen zu kommen", sagte Fraktionschef Rolf Mützenich. "Wir werden uns alle auf Augenhöhe begegnen." SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der "Welt am Sonntag": "Wir müssen diesmal nicht bis zum Umfallen sondieren, denn wir wollen eine Ampel, in die alle drei Partner ihre Stärken einbringen. So gesehen könnten wir im Oktober mit den formellen Koalitionsverhandlungen beginnen und sie bis Dezember abschließen."

"Große Überschneidungen sehe ich bei allen drei Parteien darin, massiv in Infrastruktur, Mobilität und Forschung und Entwicklung investieren zu wollen und Innovation zu fördern", betonte der SPD-Chef. "Aber auch in der Gesellschaftspolitik haben wir viel gemeinsam." Alle drei Parteien stünden zudem "für Weltoffenheit, für leben und leben lassen und für Toleranz und kulturelle Vielfalt".

Die SPD war bei der Bundestagswahl mit 25,7 Prozent stärkste Kraft geworden. Die Union stürzte auf ein historisch schlechtes Ergebnis von 24,1 Prozent. Die Grünen kamen als Nummer drei auf 14,8 Prozent, dahinter lag die FDP mit 11,5 Prozent. Grüne und FDP waren in dieser Woche bereits vorab zweimal zu vertraulichen Runden zusammengekommen. Dabei hatte vor allem ein gemeinsames Foto der Parteispitzen für Aufsehen und zahlreiche Kommentare in den sozialen Netzwerken gesorgt.

Am Sonntag trifft sich die SPD zunächst um 15.30 Uhr mit der FDP und dann mit den Grünen um 18 Uhr in einem Büro- und Konferenzgebäude in Berlin. Für die SPD soll eine Sechser-Delegation kommen. Grüne und FDP schicken jeweils Zehner-Delegationen. Die FDP-Gruppe um Parteichef Christian Lindner kommt dann am Abend um 18.30 Uhr auch noch zu einer ersten Gesprächsrunde mit der Union zusammen.

Druck auf Laschet wächst

Unterdessen traf sich Laschet im Laufe des Tages etwa zwei Stunden lang mit Mitgliedern des CDU-Sondierungsteams in der Parteizentrale in Berlin, um die Gespräche mit der FDP und am kommenden Dienstag mit den Grünen vorzubereiten. In der CDU hieß es, es sei Vertraulichkeit vereinbart worden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur glichen die Teilnehmer unter anderem die programmatischen Positionen der CDU mit jenen von FDP und Grünen ab. Es gehe etwa darum, wo es weitgehende oder schnelle Übereinstimmung geben könne und wo es Spielräume für Kompromisse gebe.

In der Partei wird zugleich immer offener über eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung diskutiert. "Dafür muss es einen Bundesparteitag geben, spätestens im Januar", sagte Parteivize Jens Spahn der "Welt am Sonntag". "Dass im Wahlkampf Fehler passiert sind und unser Spitzenkandidat nicht richtig gezogen hat, kann niemand leugnen. Allein das hat viele Prozente gekostet." Unabhängig vom Ausgang der Sondierungen müsse klar sein: "Einfach so weitermachen ist keine Option."

Spahn übte auch deutliche Kritik am Zustand der Partei - und am Umgang zwischen CDU und CSU untereinander. Die CDU habe seit vielen Jahren keine großen programmatischen Debatten mehr geführt. Seit Oktober 2018 habe sie um die Führungsfrage gerungen. "So sind viele offene Fragen vertagt worden, statt sie profilbildend zu entscheiden", beklagte er. Das Offensichtliche dürfe nicht den Blick auf die strukturellen Probleme verstellen. "CDU und CSU können nur erfolgreich sein, wenn sie zusammenstehen. Daran hat es nicht nur in den letzten Monaten, sondern in den letzten Jahren zu oft gefehlt." Für die Zukunft sei ein neues Verfahren zur Aufstellung des Kanzlerkandidaten und zur Ausarbeitung des Wahlprogramms nötig.

Mehrere CDU-Politiker forderten ein Mitgliedervotum über eine personelle Neuaufstellung, wenn die Jamaika-Sondierungen scheitern sollten. Außenexperte Norbert Röttgen sagte dem "Tagesspiegel": "Wir sollten lernen, dass man wichtige Personalfragen wie eine Kanzlerkandidatur nicht mit einer Gremienmehrheit durchdrücken kann - gegen die Mehrheit der Abgeordneten, der Mitglieder, der Öffentlichkeit." Der Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann sagte der "Bild"-Zeitung: "Um die Einbindung der Mitglieder werden wir bei der nächsten Entscheidung über den Vorsitz nicht herumkommen." Die Zeitung hatte zuvor berichtet, der bereits zweimal erfolglos als Kandidat angetretene Friedrich Merz wolle sich wieder um den Parteivorsitz bewerben, sollte es eine Mitgliederbefragung oder Basiswahl geben.

Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP/rts

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