Personalmangel bei Bundeswehr Pistorius prüft schwedisches Wehrpflichtmodell
16.12.2023, 08:53 Uhr Artikel anhören
In Schweden werden alle jungen Frauen und Männer gemustert.
(Foto: picture alliance / DPR)
In Deutschland ist die Wehrpflicht ausgesetzt - für Verteidigungsminister Pistorius ein Fehler. Die Bundeswehr kämpft mit einem Personalnotstand. Gleichzeitig muss die Truppe auf 500 Millionen Euro verzichten. Pistorius überlegt, ein neues Modell der Dienstpflicht einzuführen. Die FDP widerspricht.
Verteidigungsminister Boris Pistorius lässt angesichts eines Personalmangels bei der Bundeswehr Modelle einer Dienstpflicht prüfen. Darunter sei das in Schweden praktizierte Modell. "Dort werden alle jungen Frauen und Männer gemustert, und nur ein ausgewählter Teil von ihnen leistet am Ende den Grundwehrdienst. Ob so etwas auch bei uns denkbar wäre, ist Teil dieser Überlegungen", sagte Pistorius der "Welt am Sonntag". Er prüfe alle Optionen. "Aber jedes Modell, egal welches, braucht auch politische Mehrheiten", sagte er.
Die Pflicht zum Wehrdienst war in Deutschland im Jahr 2011 nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Pistorius hatte das kurz nach seinem Amtsantritt als Fehler bezeichnet, den man aber nicht im Handumdrehen korrigieren könne. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte einer Debatte über eine Rückkehr zur Wehrpflicht im Februar eine Absage erteilt. Nun sagte Pistorius: "Es hat seinerzeit Gründe gegeben, die Wehrpflicht auszusetzen. Rückblickend war es aber ein Fehler." Sie jetzt wieder einzuführen, sei strukturell, verfassungsrechtlich und politisch schwierig. Daher schaue er sich weitere Modelle an.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: "Die Bundeswehr muss demografiefest und langfristig auch mit Blick auf die Altersstruktur ausbalanciert sein." Auf die Frage, wie das gelingen solle, sagte Pistorius: "Wir haben eine Task Force Personal eingerichtet im August. Ich habe jetzt das erste Extrakt der Arbeit gesehen, es geht um 65 sehr konkrete Vorschläge für Anwerbung, Rekrutierung, Ausbildung und Einstiegsvoraussetzungen." Mit der Umsetzung werde man Anfang des Jahres starten, sagte der Minister.
FDP widerspricht - Union gesprächsbereit
Vom liberalen Koalitionspartner gab es Widerspruch. Dessen verteidigungspolitischer Sprecher im Bundestag, Alexander Müller, warnte, die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre ein "enormer Eingriff in die Freiheitsrechte, der nicht im Verhältnis zur Bedrohung Deutschlands steht". Für eine Grundgesetzänderung fehle die politische Mehrheit. "Es wird nicht gelingen, die jeweils sportlichsten und fittesten jungen Menschen in die Truppe zu zwingen, und allen anderen ihre berufliche Freiheit zu lassen. Die Bundeswehr braucht motivierte und gut bezahlte Männer und Frauen, die freiwillig und aus innerer Überzeugung ihren Dienst tun." Es sei nicht Aufgabe des Staates, durch "Zwangsmaßnahmen" in die Berufsfreiheit junger Menschen einzugreifen, um damit Lücken zu stopfen.
Hingegen zeigte sich Unionsfraktionsvize Johann Wadephul offen, über verschiedene Modelle zu diskutieren. Er sagte der "Rheinischen Post": "Die CDU tritt für eine allgemeine Dienstpflicht ein, von der die Bundeswehr erheblich profitieren würde. Grundsätzlich sind wir auch hinsichtlich anderer Modelle und Wege gesprächsbereit." Pistorius müsse endlich konkrete Entscheidungen treffen zur Behebung der Personalprobleme. "Wer eine kriegstüchtige Bundeswehr fordert, muss auch die dafür notwendigen Weichenstellungen vornehmen", mahnte Wadephul.
Sparbeitrag der Bundeswehr im Haushalt "tragbar"
Die Vereinbarung der Ampelkoalition, der Bundeswehr im Haushalt für das Jahr 2024 eine halbe Milliarde Euro zu streichen, verteidigt Pistorius als "tragbar". "Auf 500 Millionen verzichten zu müssen, tut weh, ist aber unter den Umständen noch tragbar", so der Verteidigungsminister. Mit Bundeskanzler Olaf Scholz sei abgesprochen, dass diese Einsparung einmalig bleiben und nur für 2024 gelten solle.
"Klar ist: Die Haushaltslage ist schwierig. Auch andere Ressorts müssen einsparen", so Pistorius. Er pochte allerdings darauf, den Wehretat mittelfristig aufzustocken. Zunächst wolle er nun von dem Geld aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen "möglichst viel und möglichst schnell" investieren, "bevor die Inflation große Teile davon frisst".
Der Haushaltskompromiss der Ampelkoalition sieht vor, dass bei der Bundeswehr Ausgaben für Wiederbeschaffung und Ertüchtigung im Volumen von 0,52 Milliarden Euro statt aus dem Haushalt aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Streitkräfte bestritten werden. Damit steht das Geld dort nicht mehr für andere Zwecke zur Verfügung. Das Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, soll jedoch eingehalten werden.
Keine großen Auslandseinsätze der Bundeswehr
Pistorius rechnet nicht mit weiteren Auslandseinsätzen der Bundeswehr in der Größenordnung des gerade in Mali beendeten. "Ich sehe derzeit nicht, dass wir so große Einsätze wie Afghanistan oder Mali wiederholen", sagte der SPD-Politiker. Kleinere Engagements, insbesondere im Bereich der militärischen Beratung, blieben aber wichtig. "Die Zusammenarbeit auch mit Ländern, die vielleicht nicht alle unsere Werte teilen, halte ich für essenziell. Die Alternative wäre, keine Kontakte mehr zu diesen Ländern zu haben und sie von vornherein den Russen und den Chinesen zu überlassen. Und das wäre noch viel gefährlicher."
Auch nach dem Ende des Bundeswehr-Einsatzes in Mali brauche es strategische Kontakte in die Sahel-Region, sagte Pistorius in Wunstorf bei Hannover, wo er die letzten deutschen Soldaten des Einsatzes in Mali empfing. "Ich werde deshalb Anfang der Woche nach Niger fliegen." Auf dem Lufttransportstützpunkt Niamey in Malis Nachbarland Niger waren zuletzt noch 120 Männer und Frauen der Bundeswehr. Die Zukunft dieses Auftrags ist nach einem Militärputsch in dem Land ungewiss.
Die letzten Bundeswehrsoldaten waren am Freitag aus Mali zurückgekehrt. Die Vereinten Nationen hatten den Einsatz der Friedenstruppen Minusma dort wegen der prekären Sicherheitslage und mangelnder Unterstützung der Militärregierung zum Jahresende für beendet erklärt. In dem westafrikanischen Land waren vor Beginn des Abzugs noch rund 1000 deutsche Soldaten im Rahmen von Minusma stationiert.
Quelle: ntv.de, gut/dpa/AFP/rts