Politik

Vorsichtige NATO-Unterstützung Polen und die Ukraine - zwei Schritte vorwärts, einen zurück

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (l.) und Polens Regierungschef Donald Tusk unterzeichneten im Juli ein Sicherheitsabkommen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (l.) und Polens Regierungschef Donald Tusk unterzeichneten im Juli ein Sicherheitsabkommen.

(Foto: Rafal Guz/PAP/dpa)

Die ersten F-16-Kampfjets sind in der Ukraine eingetroffen. Doch wie vorsichtig die NATO weiterhin bei ihrer Unterstützung für die Ukraine agiert, zeigt das jüngst geschlossene polnisch-ukrainische Sicherheitsabkommen. Auch wenn es dabei indirekt um die Sicherheit eines NATO-Staates geht.

Nachdem die Ukraine bis Ende Juni bereits Sicherheitsabkommen mit den USA, Deutschland und 17 weiteren Staaten sowie der Europäischen Union unterzeichnet hatte, kam Anfang Juli ein weiterer Vertrag hinzu. Bei seinem Besuch in Warschau unterzeichneten der ukrainische Präsident Wolodomyr Selensky und der polnische Ministerpräsident Donald Tusk ein Sicherheitsabkommen, das im Ausland vor allem wegen der Gründung einer "Ukrainischen Legion" auf polnischem Boden für Schlagzeilen sorgte. Für diese können sich im Ausland lebende Ukrainer freiwillig melden. Sie werden dann von Polen ausgebildet und ausgerüstet.

Für weniger Schlagzeilen sorgte ein anderer Passus, der die Unterstützung Polens sowie des Westens für die von Russland angegriffene Ukraine auf ein neues Level gehoben hätte. Auch wenn diese Unterstützung nicht so weit gegangen wäre wie die Entsendung von Bodentruppen, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einigen Monaten ins Spiel gebracht hat. Doch auch der Passus im polnisch-ukrainischen Vertrag und die darauffolgenden Reaktionen zeigen, wie vorsichtig die NATO aus Sorge vor einer Eskalation mit Russland bei ihrer Unterstützung für die Ukraine agiert.

"Die Teilnehmer sind sich einig darüber, den bilateralen Dialog sowie den mit weiteren Partnern fortzusetzen, um die Notwendigkeit und Durchführbarkeit eines möglichen Abfangens von in Richtung des Staatsterritoriums Polens abgeschossenen Raketen und umbenannten Luftfahrzeugen im ukrainischen Luftraum zu bewerten. Wobei dabei die von den Ländern und Organisationen vereinbarten und erforderlichen Verfahren zu beachten sind", heißt es in einem Absatz des Abkommens. Oder um es weniger kompliziert auszudrücken: In Abstimmung mit der NATO und seinen Bündnispartnern hätte Polen das Recht, Raketen, die auf das Territorium Polens zufliegen, bereits über der Ukraine abzuschießen.

Mehrfach den polnischen Luftraum verletzt

"Wer heute die Ukraine verteidigt, verteidigt auch sich selbst", sagte dementsprechend der polnische Regierungschef Tusk bei der Vertragsunterzeichnung. Dieser Vertragspassus unterstreicht das besonders. Denn es gab mehr als einen Vorfall:

  • Im November 2022 stürzte eine ukrainische Luftabwehrrakete auf das an der polnisch-ukrainischen Grenze gelegene Dorf Przewodów und tötete dabei zwei Menschen.
  • Von Russland auf die Ukraine abgeschossene Raketen haben in den vergangenen zwei Jahren mehrmals den polnischen Luftraum verletzt.
  • Im Dezember 2022 stürzte sogar eine russische Rakete unweit von Bydgoszcz ab, der achtgrößten Stadt Polens, die nordwestlich von Warschau liegt und von der man schneller nach Deutschland als in die Ukraine gelangt. Wegen der späteren Vertuschungsmaßnahmen des damaligen PiS-Verteidigungsministers Mariusz Błaszczak war dieser Vorfall einer der Gründe für die Wahlniederlage der seit 2015 in Polen regierenden Nationalkonservativen im vergangenen Herbst.

Wenig verwunderlich ist, dass der Abschuss von Raketen durch Polen vor allem in der Ukraine viele Befürworter hat. Noch wenige Tage vor der Unterzeichnung des polnisch-ukrainischen Sicherheitsabkommens nutzte Olena Kondratiuk, stellvertretende Vorsitzende des ukrainischen Parlaments, einen Besuch in Litauen, um dort mit der ebenfalls anwesenden Małgorzata Kidawa-Błońska, Marschallin der zweiten Kammer des polnischen Parlaments, über das Thema zu sprechen. Dabei machte Kondratiuk deutlich, warum die Ukraine Polens Hilfe gut gebrauchen könnte: Für ihr Land wäre es eine Möglichkeit, "durch die polnische Luftabwehr den Luftraum in den grenznahen Regionen der Ukraine zu schützen", wie die Politikerin erklärte.

Das Thema abgeräumt

Doch so sehr Tusk auch hervorheben mag, dass eine Verteidigung der Ukraine auch eine Verteidigung Polens wäre - was in diesem Fall sogar sehr zutreffend wäre -, so zurückhaltend ist Polens Regierungschef, wenn es um die praktische Umsetzung der Idee geht, auf Polen zufliegende Raketen bereits im ukrainischen Luftraum abzuschießen. Das unterstreichen nicht nur die schwammige Formulierung in dem Abkommen, sondern auch die Kommentare polnischer und westlicher Politiker nach der Vertragsunterzeichnung.

Mehr zum Thema

"Seit längerer Zeit sprechen wir über die Idee, die in Polen geboren wurde", erklärte Donald Tusk noch bei der Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj. "Polen war das erste Land, das mit der Ukraine darüber sprach", so der polnische Ministerpräsident weiter, um dann jedoch ein großes Aber hinzuzufügen: "Hier brauchen wir aber eine eindeutige Zusammenarbeit im Rahmen der NATO, weil solche Aktionen eine gemeinsame NATO-Verantwortung brauchen."

Ebenso zurückhaltend äußerten sich andere Politiker. "Es ist normal, dass die Ukraine mehr sagt, als sie erreichen könnte. Und so könnte es auch in diesem Fall sein", sagte beispielsweise der polnische Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamisz. Und er irrte nicht: "Wir unterstützen die Ukraine bei der Zerstörung russischer Flugzeuge. Aber die NATO wird sich bei dieser Aufgabe nicht uneingeschränkt engagieren", erklärte der scheidende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gegenüber dem ukrainischen Nachrichtenportal "Kyiv Independent" und beendete so das Thema. Das sorgte in der Ukraine für Enttäuschung, was von der polnischen Politik jedoch hingenommen wurde.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen