Kritik an "barbarischer" Aktion Russland vernichtet westliche Lebensmittel
06.08.2015, 15:38 Uhr
Käse, Wurst und Obst aus der EU und anderen Staaten dürfen in Russland nicht mehr verkauft werden.
(Foto: REUTERS)
Käse, Pfirsiche, Nektarinen - tonnenweise werden Lebensmittel aus dem Westen an Russlands Grenze vernichtet. Sie fallen unter das Embargo und dürfen nicht ins Land. Doch die Aktion bringt selbst Freunde des Kreml gegen die Regierung auf.
Trotz großer Empörung in der Bevölkerung haben die russischen Behörden damit begonnen, Lebensmittel aus dem Westen zu vernichten. Produkte, die unter das vor einem Jahr verhängte Embargo fallen, werden an den Grenzen nicht mehr zurückgeschickt, sondern beschlagnahmt und zerstört. Präsident Wladimir Putin hatte dies vergangene Woche angeordnet. Prominente und Bürger forderten, die Lebensmittel lieber an Bedürftige zu verteilen.
"Von heute an müssen alle landwirtschaftlichen Produkte und Lebensmittel aus einem Land, das Sanktionen gegen Russland oder russische Staatsbürger verhängt hat, zerstört werden", teilte das Landwirtschaftsministerium in Moskau mit. Die Lebensmittelaufsichtsbehörde erklärte, an der Grenze zu Weißrussland seien drei Lastwagenladungen Pfirsiche und Nektarinen mit falscher türkischer Herkunftsbezeichnung entdeckt worden. Sie seien mit Hilfe von Traktoren und Bulldozern ungenießbar gemacht worden. Das Fernsehen zeigte, wie in Belgorod an der ukrainischen Grenze Dampfwalzen eine große Ladung Käse plattmachten. Die neun Tonnen würden anschließend vergraben, sagte eine Sprecherin der Aufsichtsbehörde. Allein am ersten Tag vernichteten die Behörden nach Angaben aus Moskau insgesamt mehr als 300 Tonnen an Lebensmitteln.
Russland hatte das Embargo vor einem Jahr als Antwort auf die Sanktionen des Westens wegen der Ukraine-Krise verhängt. Der Import von Milchprodukten, Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse aus Australien, Kanada, der EU, Norwegen und den USA ist seitdem verboten. Importeure würden aber die verbotenen Waren einfach umdeklarieren und behaupten, sie kämen aus nicht betroffenen Lieferländern, mutmaßt die russische Regierung.
Hunderttausende nehmen an Petition teil
Die Aufsichtsbehörde hat angekündigt, allein zum Auftakt der Aktion würden Hunderte Tonnen von Lebensmitteln zerstört. Bereits am Montag waren, um die Entschlossenheit zu zeigen, 114 Tonnen Schweinefleisch aus Europa vernichtet worden. Ein Sprecher der Behörde warnte, dass jeder, der die Lebensmittel esse, statt sie zu zerstören, eine Straftat begehe, berichtet die Zeitung "Iswestija".
In der Bevölkerung kommt die Kampagne überhaupt nicht gut an. Fast 260.000 Russen unterschrieben eine Petition auf change.org und riefen dazu auf, die Nahrungsmittel lieber an Kriegsveteranen, Rentner, Behinderte, Großfamilien oder Opfer von Naturkatastrophen zu verteilen.
Die Zeitung "Wedomosti" kritisierte, die Zerstörung von Lebensmitteln sei "barbarisch". Kommunistenchef Gennadi Sjuganow nannte die Anordnung eine "extreme Maßnahme". Er schlug vor, die Nahrungsmittel an Kinder- und Waisenheime zu verteilen. Auch "unsere Freunde in Donezk und Lugansk" in den von pro-russischen Rebellen kontrollierten Regionen in der Ost-Ukraine könnten die Lebensmittel brauchen.
"Diese Menschen brauchen das Fleisch"
Der Fernsehmoderator Wladimir Solowjow, normalerweise ein Freund der Regierung, schrieb auf Twitter, er könne nicht verstehen, dass ein Land, "das durch den grausamen Hunger während des Krieges und die schrecklichen Jahre nach der Revolution ging", Lebensmittel zerstören könne. Der Verbraucheranwalt Alischer Sachidow mahnte im Radiosender Kommersant FM, die Regierung solle auf die 18 Millionen Menschen schauen, die unterhalb der Armutsgrenze lebten. "Diese Menschen brauchen das Fleisch."
Den deutschen Landwirten sind durch das russische Embargo Einnahmen in Höhe von fast einer Milliarde Euro entgangen, wie der Bauernverband in Berlin mitteilte. Die Exporte nach Russland hätten sich von 1,8 auf 0,9 Milliarden Euro halbiert. Bei Fleischwaren und Milchprodukten sei die Ausfuhr "praktisch auf Null" zurückgegangen; das gelte auch für Obst und Gemüse.
Quelle: ntv.de, mli/AFP