Nur noch ein "Grüßaugust" Scharfe Kritik an Westerwelle
24.10.2010, 16:09 Uhr
Liberaler Katzenjammer: die versammelte FDP-Spitze.
(Foto: dapd)
Die FDP-Spitze stellt sich bei einem Treffen mit Kreisvorsitzenden der Kritik der Basis. Und die fällt nicht gerade freundlich aus angesichts desaströser Umfrageergebnisse und eines Vorsitzenden, der sich quasi für unsersetzbar hält. Westerwelle muss sich gar als "Grüßaugust" bezeichnen lassen. Er antwortet mit Durchhalteparolen - und Angriffen auf die Grünen.
Die FDP will nach internen Querelen wieder in die politische Offensive kommen, sieht sich aber weiterhin heftiger Kritik der Basis ausgesetzt. Die FDP solle die Phase kritischer Selbstbetrachtung beenden und sich wieder auf die Gegner konzentrieren, sagte Generalsekretär Christian Lindner auf einer Konferenz mit Kreisvorsitzenden in Berlin.
"Wir haben uns lange mit uns selbst beschäftigt, lange konnten unsere Gegner stärker werden", rief Lindner den Funktionären der Partei zu. Jetzt solle "die Phase der kritischen Selbstbetrachtung enden". "Viel zu lang haben wir die anderen geschont." Auch die politischen Alternativen der FDP seien nicht immer in ausreichendem Maße deutlich geworden.
FDP-Chef Guido Westerwelle rief seine Partei angesichts der vielfachen Kritik an der Partei und der jüngsten Querelen zur Standfestigkeit auf. "Es muss eine Partei stehen, wenn sie regieren will", sagte er. Er wolle nicht "das als richtig Erkannte zurückstellen, nur weil es Gegenwind gibt." Kaum gebe es Angriffe, "werden wir unsicher", rief der Parteichef an die Adresse der Parteibasis. "Eine Partei, die sich von Umfragen weichkloppen lässt, ist nicht erfolgreich", versuchte er zu beruhigen.
Auf der Gewinnerstraße
Der Außenminister und Vizekanzler würdigte zugleich die Erfolge der schwarz-gelben Koalition bei der Bekämpfung der Wirtschaftskrise und griff die Opposition an. Es gebe keine sozialere Politik als Arbeitsplätze zu schaffen durch eine "vernünftige Mittelstandspolitik". Westerwelle forderte mit Blick auf die auch von der Opposition gestützten Proteste gegen die Energiepolitik der Bundesregierung und das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" einen "Stimmungswechsel" in Deutschland. Immer nur gegen etwas zu sein, funktioniere auf Dauer nicht.
Die Liberalen würden die Wahlen im nächsten Jahr gewinnen, so Westerwelle. "Wir werden sie aber nur gemeinsam gewinnen, wenn wir selbstbewusst auftreten und nicht jeden Vorwurf der Gegner uns so zu Herzen nehmen, dass wir mit hängenden Schultern auf die Marktplätze gehen." Die FDP sei wie etwa in der Steuer- und Energiepolitik auf vielen Feldern dabei, ihre Ideen umzusetzen. So gebe es für Familien in diesem Jahr mehr Netto vom Brutto.
Westerwelle wehrte sich auch gegen immer wiederkehrende Forderungen aus seiner Partei, sein Amt als FDP-Chef in andere Hände zu geben, weil es mit dem Posten des Außenministers nicht vereinbar sei. Es sei klar, dass er als Vorsitzender das "Sperrfeuer" zu spüren bekomme, das der Politikwechsel mobilisiere. Eine andere Person an der Spitze werde jedoch innerhalb weniger Wochen dieselben Probleme haben. Eine schwierige Lage sei nicht dadurch zu wenden, "indem man den ein oder anderen in der Führung anschießt".
Auch Fraktionschefin Birgit Homburger rief ihre Partei auf, sich wieder mit den Gegnern auseinanderzusetzen. "Ich finde, jetzt sind mal wieder die anderen dran", betonte die Fraktionschefin.
Basis muckt auf
In der Diskussion mit den Kreisvorsitzenden wurde demgegenüber erneut scharfe Kritik am Agieren der Parteispitze laut. Langsam trauen sich in der eher diskussionsarmen Partei auch die einfachen Mitglieder aus der Deckung. "Ihre Realität ist eine andere als meine", hielt der Vorsitzende des FDP-Kreisverbandes Höxter, Hans-Jürgen Knopff, der Parteispitze mit Blick auf die schlechten Umfragewerte entgegen.
Der Kreisverbandschef von Gütersloh, Michael Böwingloh, kritisierte das Zustandekommen des schwarz-gelben Koalitionsvertrags im vergangenen Jahr als übereilt. Die FDP hätte das Finanzministerium für sich beanspruchen müssen, Westerwelle habe als Außenminister zu wenig Einfluss. Es habe alles schnell gehen soll, weil Westerwelle als frischgebackener Außenminister zum EU-Gipfel habe reisen wollen. "Der Außenminister ist bestenfalls noch ein Grüßaugust mit besonderem Titel."
Der Vorsitzende des FDP-Bezirks von Berlin-Spandau, Kai Gersch, hielt der Parteispitze vor, sie habe "ein Jahr nicht geliefert". Gersch weiter: "Wir haben hier das beste der letzten Parteitagsreden gehört. Das war ein bisschen wenig."
Seit mehreren Monaten kämpft die Partei mit schlechten Umfragewerten – nur noch rund 4 bis 5 Prozent der Wähler würden sichr für die Liberalen entscheiden, wenn jetzt Bundestagswahl wäre. In der Beliebtheitsskala der wichtigsten Politiker landet Außenminister Westerwelle zuverlässig auf dem letzten Platz - ungewöhnlich für die Position, die traditionell starke Werte mit sich bringt. Die Grünen kämen unterdessen auf einen Rekordwert von 20 Prozent.
Auch deswegen suchen die Liberalen ihr Heil nun in verschärften Angriffen auf die Grünen, für die sich möglicherweise viele Ex-FDP-Wähler inzwischen lieber entscheiden. Fraktionschefin Homburger gab dann auch den Kurs vor: "Die Grünen machen eine zwiespältige Politik. Wir werden sie stellen, und zwar an jedem Punkt." Die Grünen seien nicht die moralische Instanz, die entscheide, was gut und was falsch sei.
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Quelle: ntv.de, jmü/dpa/AFP/rts