Ein Streitgespräch Sie mag Putin - er nicht
14.05.2015, 13:09 Uhr
Putin mit einigen Russen nach seiner Fernsehsprechstunde im April
(Foto: REUTERS)
Viele Russen glorifizieren ihren Präsidenten Wladimir Putin. Dennoch gibt es auch Kritiker. Ein Treffen mit zwei Menschen, die in vielen Fragen weit auseinander liegen.
Die Luftlinie zum Kreml beträgt weniger als einen Kilometer. Zwei junge Russen - Eugen und Marina - sitzen in einem Moskauer Café. Er ist 37 Jahre alt, sie 31, sie sind befreundet, beides Juristen, beruflich erfolgreich. Eugen arbeitet als Anwalt, Marina als Geschäftsführerin einer Reinigungsfirma. Wie sehen junge Russen wie sie Präsident Wladimir Putin? Wie beurteilen sie die politische Situation in ihrem Land? Darüber soll diskutiert - und gerne auch beherzt gestritten werden.
Marinas Meinung über Putin: Er habe viel gemacht für das Land. Die Menschen hätten mehr Geld als früher, das Lebensniveau sei gestiegen. Putin sei verlässlich. Er mache, was er verspricht. Marina mag ihn, sagt sie und lächelt verlegen. Eugen sieht das anders. Er hält Putin für gefährlich. Die Situation in Russland erinnere ihn an Nazi-Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg. Wie Hitler werde Putin als Führer bezeichnet. Ein weiteres Alarmsignal für ihn: dass der Präsident beim Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel den umstrittenen Molotow-Ribbentrop-Pakt verteidigte.
Warum Putin so beliebt ist? Marina erklärt die russische Mentalität. Die Sanktionen hätten dem Präsidenten einen Popularitätsschub beschert. "Wenn es einen Aggressor gibt, schweißt das die Russen zusammen." Marina spricht über Russlands Verletzbarkeit durch die Sanktionen. "Nur Öl und Gas reichen nicht. Früher hatten wir so viel Industrie, heute müssen wir alles importieren", sagt Marina. "Warum produzieren wir nicht mehr Dinge selbst? Wir haben doch so viel Territorium und Erde." Eugen nickt.
"Alle haben brav Heil Hitler gerufen"
Doch dann ist es vorbei mit der Einigkeit. Thema: USA, der große Feind. Die redeten viel von Demokratie, aber handelten häufig ganz anders - das findet Marina. Die Amerikaner sollten sich in der Ukraine nicht einmischen. "Warum wollen sie dort ein Raketenabwehrsystem bauen?" Das versteht sie nicht. Eugen interveniert. Warum denn nicht? "Und wenn etwas passiert", fragt sie. Es gehe doch um reine Defensivwaffen, sagt Eugen. Er verdreht die Augen und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Cappuccino.

Eugen stellte n-tv.de ein Bild zur Verfügung. Marina wollte nicht, dass ein Bild von ihr veröffentlicht wird.
Frage: Ob sie, Marina, die Kritik an Putin versteht? Sie habe keine politische Ausbildung und könne daher nicht sagen, ob seine Ukraine-Politik richtig oder falsch sei, sagt sie ausweichend. Eugen spricht wieder vom Dritten Reich, von der Kraft der Propaganda. "Bis zur Kapitulation waren sich die Deutschen einig. Da hat niemand gewagt zu widersprechen. Alle haben brav Heil Hitler gerufen." Dasselbe beobachte er jetzt in Russland. Ein Feind werde geschaffen, die eigenen Probleme ausgeklammert. Eugen kommt in Fahrt. Die Presseerklärungen des russischen Außenministeriums ähnelten in ihrem Ton denen aus Sowjet-Zeiten. Er sieht auch Parallelen zu NS-Propagandaminister Joseph Goebbels.
Eugen hat einige Jahre in Deutschland gelebt. Über viele Russlanddeutsche spricht er kritisch. Sie nutzten die Vorzüge der Fremde, duldeten aber keine Kritik an Putin. Russen führen Jaguar, BMW, Mercedes, besäßen iPhones, gingen zu McDonalds und Starbucks und trügen Klamotten aus den USA. "Feindliche Erzeugnisse", sagt Eugen. Er wendet sich an Marina. "Hand aufs Herz, hast du irgendetwas Russisches an?" Marina zeigt auf ihre Jacke, Eugen fordert Beweise. Sie sucht nach einem Etikett, sie zieht die Jacke aus, findet aber nichts. Dennoch kontert sie. Die großen US-Marken produzierten doch auch in Taiwan oder China. Mit unschuldigem Blick fügt sie hinzu. "Ich mag den Komfort." Sie könne ja nichts dafür, dass ihr Land kaum etwas produziert. Irgendwas müsse sie ja tragen. Sie könne nicht nackt auf die Straße gehen. Eugen lacht: "Putin ist gut, an den Problemen sind andere Schuld."
"Ich halte es wie die Schweiz"
Das Gespräch dreht sich jetzt um den 9. Mai, den "Tag des Sieges", diesen großen stolzen Feiertag in Russland. Marina bedeutet er viel. Ihr Opa kämpfte als Rotarmee-Soldat im Zweiten Weltkrieg, kam unverletzt zurück und starb erst vor zwei Jahren. Leider habe er wenig über den Krieg erzählt. "Die Soldaten haben Russland geliebt und für ihr Land gekämpft. Das beeindruckt mich." Sie spricht von einem Siegertag mit Tränen in den Augen. Auch Eugen hat der 9. Mai mal etwas bedeutet. Als Kind habe er häufig geweint. "Wenn diese Propaganda schon im Kindergarten in dich reingepumpt wird …", erklärt er. Inzwischen sei ihm der Tag gleichgültig. Er habe viel gelesen, etwa über die Erschießungskommandos. "Sowjetische Soldaten waren keine Helden", sagt er.
Eugen findet den Umgang der Russen mit ihrer Geschichte unehrlich. "Ein Land, das einen so schrecklichen Krieg überstanden hat, droht einem anderen mit einem Atomkrieg." Marina will das nicht glauben. Eugen wird lauter: "Marina, ich schicke dir heute noch einen Link vom ersten Kanal. Wenn im russischen Fernsehen gesagt wird, dass Russland die USA in Asche verwandeln kann, dann ist das eine Kriegserklärung." Marina schüttelt mit dem Kopf. Die Wahrheit liege irgendwo in der Mitte. "Ich halte es wie die Schweiz. Ich muss viel über ein Thema wissen, bevor ich mir ein Urteil erlaube."
Eugen hat ein anderes Problem. Die politische Atmosphäre wirkt tief in sein Privatleben hinein. Er habe viele Kontakte zu Freunden abgebrochen. "Einige Leute sind so fanatisch, dass es unmöglich ist, mit ihnen zu sprechen. Ich möchte mit denen nichts mehr zu tun haben." Für Marina gelte das jedoch nicht. "Sie sagt zwar, dass sie Putin mag, aber ich bin mir da nicht so sicher." Noch, das sagt er lachend und schaut zu ihr herüber, "ist sie nicht hoffnungslos verloren".
Quelle: ntv.de