
Seit dem Rücktritt von Sozialistenführer Sánchez Anfang Oktober konnte Rajoy mit dem Votum der PSOE rechnen - bereits auf dem EU-Gipfel in Brüssel vergangene Woche wirkte er deutlich entspannter als zuvor.
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Zehn Monate lang warten die Spanier darauf, dass ihre Politiker eine neue Regierung bilden. Jetzt ist es so weit – Amtsinhaber Rajoy darf dank der Sozialisten im Amt bleiben. Für die ist das nur auf den ersten Blick eine Niederlage.
Endlich ist es vorbei, endlich endet die Blockade, endlich bekommt Spanien wieder eine vollwertige Regierung. Zehn Monate lang haben die politischen Parteien, insbesondere die sozialdemokratische PSOE, die konservative Volkspartei (PP) des amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy abblitzen lassen. Das hatte durchaus gute Gründe – wirkliche Begeisterung empfanden nur wenige über eine weitere Legislaturperiode jener Regierung, die das Land mit einem knochenharten Sparkurs quälte und zudem durch umfangreiche Korruptionsskandale von sich reden machte. Genau deswegen wollte der einstige Chef der Sozialisten (PSOE) Pedro Sánchez partout keine weitere Amtszeit Rajoys ermöglichen. Doch mit seiner Kompromisslosigkeit isolierte er sich zusehends in der Parteiführung, weswegen er Anfang Oktober zurücktreten musste.
Dass die PSOE sich nun dazu entschlossen hat, eine neue Regierung ihres bisherigen Erzfeindes Rajoy zu dulden und damit das Land wieder zu stabilisieren, ist die logische Folge. Und eine gute Nachricht: die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone in Zeiten von Brexit, Eurokrise und Terrorismus ohne Führung - das konnte in niemandes Interesse sein. Doch die PSOE erweist nicht nur dem Land einen Dienst, sondern vor allem auch sich selbst.
Zum einen gab es kaum gangbare Alternativen – ein Bündnis der Sozialisten mit der neuen Linkspartei Podemos war kaum möglich, da diese ein Unabhängigkeitsreferendum für Katalonien wollte. Das wiederum hätte aber die Sozialisten spalten können, die stets für die Einheit Spaniens eintraten. Für eine Große Koalition nach deutschem Vorbild waren den Sozialisten die Gräben dann doch zu tief.
Tolerierung das kleinere Übel
Wegen dieses Patts war es bereits im Frühjahr zu Neuwahlen gekommen. Das Ergebnis war alarmierend: Rajoys Konsvervative legten zu, während die linken Parteien Stimmen verloren. Wichtige Regionalwahlen brachten ähnliche Ergebnisse – insofern lag es im eigenen Interesse der PSOE, nochmalige Neuwahlen zu verhindern. Neben der Blamage für die gesamte politische Klasse drohten auch ein weiterer Stimmengewinn Rajoys und noch herbere Verluste für die eigene Partei. Da wirkte eine Tolerierung einer konservativen Regierung dann wohl doch wie das kleinere Übel.
Ministerpräsident Rajoy darf sich nun freuen: Er hat sich durchgesetzt. Als Kandidat der Partei mit den meisten Stimmen hatte er den größten Anspruch auf das Amt des Regierungschefs, den er auch immer wieder lautstark artikuliert hat. Doch in Euphorie braucht er auch nicht zu verfallen. Die nun zu erwartende Minderheitsregierung wird es im feindlich gesinnten Parlament nicht leicht haben. Rajoy droht ein ständiger Spießrutenlauf, wenn er für jeden Gesetzentwurf neu um Mehrheiten werben muss. Insofern ist es aus PSOE-Sicht machtpolitisch durchaus klug, Rajoy genüsslich dabei zuzusehen, wie er sich abstrampelt, während man selbst als Oppositionsführer neues Vertrauen bei den Wählern aufbaut - und möglicherweise schmerzhafte Reformen wieder zurücknehmen kann.
Abgesehen davon birgt das Ende der Blockade aber auch eine historische Dimension. Dass die spanischen Politiker doch noch in der Lage waren, die größte Regierungskrise seit dem Übergang zur Demokratie im Jahre 1977 beizulegen, spricht für sie. Bereits mit dem Aufkommen neuer Parteien wie Podemos und Ciudadanos hatte sich die Vitalität der spanischen Demokratie gezeigt – dass nun die Vernunft über die Sturheit siegt, zeigt auch ihre Reife.
Quelle: ntv.de