Politik

Pegida beendet die Sprachlosigkeit Spahn: Beschimpfungen bringen nichts

Jens Spahn ist Mitglied des CDU-Präsidiums. In der Talkshow sagte er: "Pauschale Beschimpfungen tausender Bürger bringen nichts."

Jens Spahn ist Mitglied des CDU-Präsidiums. In der Talkshow sagte er: "Pauschale Beschimpfungen tausender Bürger bringen nichts."

(Foto: imago/Müller-Stauffenberg)

Politiker sprechen in der ARD erstmals mit einer Vertreterin der Pegida-Bewegung. Ein Millionenpublikum schaut zu und erlebt, wie sich Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel bei der "Lügenpresse" schlägt. CDU-Politiker Jens Spahn über den öffentlichen Dialog.

n-tv.de Hallo Herr Spahn. In der Talkshow von Günther Jauch haben Sie Pegida-Sprecherin Kathrin Oertel kennengelernt. Was haben Sie - vor und hinter den Kulissen - für einen Eindruck von ihr und von Pegida?

Richter, Spahn, Thierse, Moderator Jauch, Oertel und Gauland diskutieren über die Pegida-Bewegung.

Richter, Spahn, Thierse, Moderator Jauch, Oertel und Gauland diskutieren über die Pegida-Bewegung.

(Foto: imago/Müller-Stauffenberg)

Jens Spahn: Wir haben uns gut und intensiv unterhalten. Entscheidend ist doch, dass die Sprachlosigkeit überwunden wird. Und das haben Frau Oertel und ich verbindlich im Ton und klar in der Sache getan. Ich habe den Eindruck, auch Frau Oertel und ihren Mitstreitern ist bewusst, dass es kein Dauerzustand sein kann, wenn die einen demonstrieren und die anderen schimpfen. Mit dem Neonazi oder dem Dynamo-Hooligan, der da auch mitläuft, ist die Diskussion wahrscheinlich sinnlos. Aber mit den vielen tausend Bürgern, die sich als Mitte der Gesellschaft empfinden, muss man doch zumindest versuchen, zu einem echten Dialog zu kommen. Aus zahlreichen Zuschriften und Anrufen weiß ich, dass viele Demonstranten aus den unterschiedlichsten Gründen frustriert oder verunsichert sind, was ihre Zukunft betrifft. Da geht es auch um hohe Lebenshaltungskosten, niedrige Renten, hohe Krankenkassenbeiträge. Das hat mit Angst vor der Islamisierung dann wenig zu tun. Warum aber laufen dann unter der Überschrift so viele mit? Das möchte ich verstehen und vor allem auch kritisch hinterfragen.

So richtig hart angegangen wurde Frau Oertel nicht in der Runde. Unter den Teilnehmern hatte sie verhältnismäßig wenig Redeanteil. Waren Sie zu sanft mit ihr?

Das fand ich nicht. Und man führt ja keinen Dialog, indem man jemanden in die Ecke drängt. Wir haben uns mit den Forderungen auseinandergesetzt, soweit das im Rahmen einer solchen Sendung möglich ist. Frau Oertel und die Pegida-Organisatoren müssen zudem mehr als bisher tun, um sich von hasserfüllten oder ausländerfeindlichen Parolen abzugrenzen und ihnen keine Plattform zu geben. Wichtig ist, dass wir mit denen, die wollen, wieder ins Gespräch kommen und pauschale Aussagen wie "Lügenpresse" und "Politiker sind nicht ehrlich" überwunden werden. Da haben wir gestern einen Schritt nach vorne gemacht. Ich glaube, darauf lässt sich aufbauen. Pegida kann ja auch nicht noch drei Jahre weiterdemonstrieren, irgendwann muss man konkret werden, wenn man mit seinem Protest tatsächlich etwas erreichen möchte. Wir können gerne mal ausführlich über die 19 Forderungen diskutieren, die Pegida erhoben hat.

Warum ist im Gegensatz zu Ihnen und Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse offenbar kein Minister bereit, sich gemeinsam mit einem Pegida-Vertreter in eine Talkshow zu setzen?

Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass pauschale Beschimpfungen von tausenden Bürgern, die von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, selten weiterhelfen und den Frust nur vergrößern.

Sie haben in der Sendung angekündigt, sich in Dresden in einer Diskussion den Pegida-Anhängern stellen zu wollen. Wie wollen Sie diesen Menschen ihre Politikverdrossenheit nehmen?

Meine Erfahrung aus fast dreizehn Jahren als Abgeordneter zeigt, dass das Gespräch von Angesicht zu Angesicht vieles auflöst. Der vorherrschende Eindruck ist ja, dass wir Politiker uns in Berlin verkriechen und nicht wissen, was draußen los ist. Meistens ändert sich das, wenn man miteinander gesprochen hat. Ich weiß auch nicht, wieviele derer, die politikerverdrossen sind, tatsächlich schon einmal ihren Abgeordneten kontaktiert haben. Aber genau das wäre der erste Schritt, denn die allermeisten Kolleginnen und Kollegen sind rund um die Uhr für ihren Wahlkreis im Einsatz.

Wo sehen Sie Versäumnisse der Politik, die zur Entstehung einer Protestbewegung wie Pegida beigetragen haben könnten?

Offensichtlich bemühen wir uns unsererseits zu wenig um das Gespräch vor Ort. Ganz klar: Da müssen wir besser werden. Die Welt dreht sich immer schneller, das hat auch Veränderungen im konkreten Alltag überall im Land zur Folge. Ich kann verstehen, wenn dadurch Verunsicherung entsteht und die Sehnsucht nach klaren Orientierungspunkten wächst. Die sind aber nicht einfach zu finden und schon gar nicht ist es akzeptabel, eine vermutete Islamisierung hetzerisch zum Sündenbock zu machen. Mir scheinen auch viele Verschwörungstheorien unterwegs zu sein. Das alles bringt uns gemeinsam nicht weiter. Alles in allem leben wir doch in einem freien, wohlhabenden und großartigen Land. Das sollte - bei allen Problemen - Grundlage unseres Austausches sein.

Wie geht es aus Ihrer Sicht nach der Terrordrohung gegen Pegida-Chef Lutz Bachmann und der Absage der Demo in Dresden weiter mit Pegida?

Wenn eine konkrete Bedrohung vorliegt, handelt die Dresdner Polizei in Abstimmung mit den Organisatoren von Pegida völlig richtig. Das darf aber nicht zum Dauerzustand werden. Ich habe den Eindruck, das wissen die Verantwortlichen vor Ort und arbeiten an einer Lösung, damit die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit auch weiterhin garantiert sind. Denn das ist ein sehr hohes Gut in einer freien Gesellschaft.

Mit Jens Spahn sprach Christian Rothenberg

Quelle: ntv.de

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