Politik

Reise durchs Baltikum Steinmeier auf heikler Mission

Zwei Tage, drei Länder: Steinmeier bereist die baltischen Staaten von Süden nach Norden. Zuerst war er in Litauen, dann in Lettland, schließlich in Estland.

Zwei Tage, drei Länder: Steinmeier bereist die baltischen Staaten von Süden nach Norden. Zuerst war er in Litauen, dann in Lettland, schließlich in Estland.

(Foto: dpa)

Die baltischen Staaten, vor allem Litauen, verlangen mehr Schutz vor Russland durch die Nato. Bei seiner Reise durch die Region muss Außenminister Steinmeier sich vorwerfen lassen, zu viel Rücksicht auf Russland zu nehmen.

Nach dem Gespräch mit seinem lettischen Amtskollegen in Riga kommt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kurz ins Grübeln: "Ich habe nicht mitgezählt, wie oft ich schon hier war." Sechs Mal mindestens. So wichtig ist die Region an der Grenze zu Russland für die Sicherheit in Europa.

Diese heikle Nachbarschaft ist auch der Grund, warum Steinmeier wieder einmal die Balten besucht – wenige Wochen vor dem nächsten Nato-Gipfel in Warschau. Alle drei, Litauen, Lettland und Estland, befinden sich in Dauersorge vor den Russen, seit sie sich 1990 beziehungsweise 1991 nach der sowjetischen Okkupation für unabhängig erklärt haben.

Nach einem Vierteljahrhundert könnte das eigentlich Schnee von gestern sein, aber die Annexion der Krim hat die alten Ängste wieder zum Vorschein gebracht. In Estland und Lettland gibt es große russische Minderheiten, immerhin um die 26 Prozent der Bevölkerung, in Litauen sind es sieben Prozent. Die Sorge, der russische Präsident Wladimir Putin könne die drei Länder in sein Riesenreich integrieren wollen, ist da zumindest nachvollziehbar.

Litauen wirft Deutschland vor, zu viel Rücksicht auf Russland zu nehmen

Als Nato-Mitglieder genießen die baltischen Staaten einen anderen Schutz als die Ukraine, die vor zwei Jahren machtlos mitansehen musste, wie Putin sich die Krim einverleibte. Aber genau das ist auch ein Problem. Auf ihrem Gipfel 2014 in Wales hatte die Nato als Reaktion auf den Konflikt in der Ost-Ukraine eine Aufrüstung in Osteuropa beschlossen – zum Schutz der baltischen Staaten und Polens.

Anfang Juli wollen die Balten in Warschau eine Ausweitung dieses Engagements erreichen, die Esten wollen sogar eine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen. Dass das eine unmittelbare Reaktion der russischen Seite provoziert, ist zu erwarten. Entsprechende Androhungen aus Moskau gibt es längst. Frank-Walter Steinmeier versichert jedem seiner baltischen Gesprächspartner, dass Deutschland zu seiner Verantwortung im Bündnis steht. Das gelte auch für den Fall einer Aufstockung der Truppen. Der SPD-Politiker wirbt aber gleichzeitig dafür, auf keinen Fall den Gesprächsfaden mit Moskau abreißen zu lassen.

Die Gesprächskanäle nach Moskau will auch die litauische Präsidentin Grybauskaite offenhalten - mehr aber auch nicht.

Die Gesprächskanäle nach Moskau will auch die litauische Präsidentin Grybauskaite offenhalten - mehr aber auch nicht.

(Foto: AP)

Den Vorwurf, zu viel Rücksicht auf russische Befindlichkeiten zu nehmen, hört Steinmeier hier häufig. Vor allem in Litauen gibt es große Ressentiments gegen Moskau. Steinmeiers litauischer Amtskollege Linas Antanas Linkevičius macht daraus keinen Hehl.

Steinmeier reagiert dünnhäutig

Lettland und Estland haben auch Sorgen, sind aber näher dran und haben – vermutlich aufgrund dieser geografischen Lage – einen gewissen Pragmatismus im Umgang mit Moskau entwickelt. Die einen sagen, dass Letten und Esten viel stärker mit Russland und den russischen Märkten verbunden sind, für andere ist es schlicht eine ökonomische Abhängigkeit. Entsprechend gelassen wird in diesen Ländern die vermeintliche Nähe der Deutschen zu Russland gesehen. In Lettland ist es eher Steinmeier, der auf eine entsprechende Journalistenfrage dünnhäutig reagiert.

Seine Erfahrung sei, so der deutsche Chefdiplomat, den sonst eigentlich nichts so leicht aus der Ruhe bringen kann, dass man Probleme nicht löse, in dem man sie wegdrücke oder ignoriere. Man könne Sanktionen und auch militärische Lösungen in Betracht ziehen, aber man komme eben nicht weiter, wenn man nicht auch die Verhandlungsoption in Betracht ziehe. Immerhin will auch die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite die Gesprächskanäle nach Moskau offenhalten, mehr aber auch nicht.

Steinmeier hat in zwei Amtszeiten und sieben Jahren als Außenminister gelernt, dass manchmal nur kleine, mitunter sogar nur noch kleinere Schritte machbar sind – aber auch, dass man einen langen Atem braucht, wenn man die wirklich dicken Bretter erfolgreich bohren will. Also wird er nicht müde, immer wieder Verhandlungen mit den Russen ins Gespräch zu bringen.

Was beschließt die Nato auf ihrem Gipfel in Warschau?

In den Gesprächen mit dem lettischen Ministerpräsidenten Maris Kučinskis und Außenminister Edgars Rinkevičs dieselben Themen wie zuvor in der litauischen Hauptstadt Vilnius: die Sicherheit in Osteuropa, die Angst vor einer russischen Invasion und die Hoffnung auf Hilfe von der Nato, bei der Deutschland bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, wie Steinmeier auch hier immer wieder geduldig versichert.

In der lettischen Hauptstadt Riga ist der Ton deutlich freundlicher als in Vilnius. Rinkevičs bedankt sich ausdrücklich für das deutsche Engagement bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarung. Die Arbeit im Normandie-Format, in dem Frankreich und Deutschland mit der Ukraine und Russland sprechen, sei "schwierig und undankbar, aber wichtig, um die Minsker Vereinbarung wenigstens am Leben zu erhalten". Gleichwohl wünschen sich auch die Letten mehr Nato-Präsenz.

Ob Deutschland dauerhaft Truppen ins Baltikum schicken wird, ist noch nicht entschieden. Der Außenminister und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sind in dieser Frage eher zurückhaltend, zum einen, weil die Bundeswehr aufgrund ihrer diversen Engagements im Ausland längst an ihre Grenzen geraten ist, zum anderen, weil dadurch die Verhandlungen mit Moskau im immer noch nicht ausgestandenen Konflikt in der Ost-Ukraine nicht einfacher würden.

Immerhin hatte sich im Frühjahr der Nato-Russland-Rat zum ersten Mal seit 2014 wieder getroffen, was aber vor allem für die Balten nicht heißt, dass man nun zum "business as usual" zurückkehren könne. Mit einiger Spannung ist zu erwarten, wie die Nato auf ihrem Warschauer Gipfel auf die Forderungen der Balten reagiert. Dass Deutschland bei einer Ausweitung des Engagements eine größere Rolle spielen wird, gilt als ausgemacht. Genauso, dass Moskau darauf in irgendeiner Form reagieren wird. Dann wird der deutsche Außenminister zum Telefon greifen oder in ein Flugzeug steigen und das Gespräch mit den Russen suchen, um nur ja nie den Gesprächsfaden abreißen zu lassen.

Quelle: ntv.de

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